Kurt Becks "Erfolgsmodell":Wie der Nürburgring in die Pleite fuhr

Im Landtagswahlkampf 2011 erklärte Kurt Beck, der teure Nürburgring sei "auf dem Weg zu einem Erfolgsmodell". Ahnte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident wirklich nicht, wie die Realität aussah? Ein Papier belegt, dass zumindest Wirtschaftsprüfer schon 2010 vor horrenden Verlusten warnten.

Klaus Ott und Marc Widmann

Kurt Beck war empört. Die EU mache alles kaputt, schimpfte der Mainzer Ministerpräsident. Der schöne Freizeitpark am Nürburgring, der die Eifel aufwerten solle, leide unter den Bürokraten in Brüssel, klagten der Regierungschef und seine wichtigsten Minister. Den Banken gewähre die EU staatliche Stützen in Milliardenhöhe. "Und uns hat man ein paar Millionen Euro Übergangshilfen verweigert." Das sei die "bittere Wahrheit".

Nürburgring ADAC

Die EU mache alles kaputt, schimpfte der Mainzer Ministerpräsident. Der schöne Freizeitpark am Nürburgring, der die Eifel aufwerten solle, leide unter den Bürokraten in Brüssel, klagten der Regierungschef und seine wichtigsten Minister.

(Foto: dpa)

Beck tat so, als hätte sein Land den legendären Nürburgring locker vor der Pleite retten können, wenn Brüssel nur nicht dazwischen gefunkt hätte. Die anderen sind schuld, lautete die Botschaft, als Deutschlands dienstältester Ministerpräsident vergangene Woche die bevorstehende Insolvenz des Rings ankündigen musste. Es ist nicht einmal mehr sicher, ob die Formel 1 dort künftig noch einmal fährt.

War Becks Zorn auf die EU ein Ablenkungsmanöver? Das Prestigeprojekt am Ring, das scharenweise Touristen in die Eifel locken sollte, ist längst ein Desaster. Hunderte Millionen Euro wird Rheinland-Pfalz bei dem Freizeitpark mit "Erlebniswelt" und Einkaufs-Boulevard, Multi-Media-Theater und Achterbahn an der historischen Rennstrecke wohl draufzahlen müssen.

"Auf dem Weg zu einem Erfolgsmodell"

Absehbar war die finanzielle Talfahrt schon lange. Jedenfalls lange genug vor der Landtagswahl im März 2011, um den Bürgern zwischen Rhein und Mosel die Wahrheit zu sagen. Stattdessen verkündete Beck seinen Landsleuten, nach anfänglichen Fehlern habe man die Wende geschafft.

Man sei "auf dem Weg zu einem Erfolgsmodell", behauptete der einst so populäre SPD-Mann noch einen Monat vor der Wahl, bei der seine Partei schließlich um zehn Punkte abstürzte. Auch wegen des Reinfalls am Ring. Nur mit Hilfe der Grünen konnte sich Beck an der Macht halten.

Was er den Wählern über "beste Chancen" am Nürburgring erzählte, steht in krassem Widerspruch zu einem "Arbeitspapier" der Wirtschaftsprüfgesellschaft Ernst & Young vom 12. Juli 2010, in dem von horrenden Verlusten die Rede war. Ernst & Young beriet die landeseigene Nürburgring GmbH, die zusammen mit privaten Investoren den Freizeitpark verwirklichen sollte. Am vergangenen Freitag musste die GmbH Insolvenz anmelden.

Auf dem ersten Blatt des 16-seitigen Arbeitspapiers von Ernst & Young vom Juli 2010 steht groß und deutlich: "Nur für den internen Gebrauch". Die Wirtschaftsprüfer notierten darin über die Ring-Gesellschaft, das jährliche Finanzergebnis werde bis zum Jahr 2020 negativ ausfallen. Bis dahin würden sich Verluste in Höhe von 191,9 Millionen Euro anhäufen.

Potenziale, aber auch Probleme

Unter Umständen sei sogar eine "Patronatserklärung" von Rheinland-Pfalz nötig, also eine Zusage, finanziell einzuspringen. Auch notfalls erforderliche Hilfen aus dem "Liquiditätspool" des Landes wurden erwähnt. Mit anderen Worten: Zusätzlich zu den bereits investierten öffentlichen Mitteln sollten bei Bedarf weitere Steuermittel eingesetzt werden, damit die Nürburgring GmbH zahlungsfähig bleibe.

Das Arbeitspapier endet mit den Worten "vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!" Wer aber sollten die aufmerksamen Leser sein? Die Geschäftsführer der landeseigenen Nürburgring GmbH? Auch deren Aufsichtsräte, die vor allem aus den Ministerien kommen? Und sogar die Regierung selbst?

Elf Tage nach dem 12. Juli 2010, auf den das Arbeitspapier datiert ist, schickte Ernst & Young Anmerkungen und Zahlen zur mittelfristigen Finanzplanung an die Geschäftsführung der landeseigenen Nürburgring GmbH. Darin war von "möglichen positiven Potenzialen" die Rede, aber auch von drohenden Problemen und einer eventuell nötigen Bürgschaft des Landes. Das las sich auch nicht gerade rundweg ermunternd. Aber es war ja "Persönlich/Vertraulich".

Die Wähler jedenfalls sollten von den Problemen am Ring offenbar nichts erfahren. Diesen Verdacht legt der Umgang der Regierung mit früheren Warnungen von Ernst & Young nahe. Die Wirtschaftsprüfer hatten bereits im November 2009 ein Minus zwischen 151 und 250 Millionen Euro bis zum Jahr 2020 prognostiziert, inklusive der Ausgaben für die teuren Formel-1-Rennen.

Als dieses Szenario wenige Monate später, im Februar 2010, an die Öffentlichkeit gelangte, beschwichtigte das Wirtschaftsministerium in Mainz nach Kräften. Diese möglichen Verluste seien nur ein Zwischenergebnis gewesen, unter der Annahme, dass man die Strukturen nicht verändere. Aber nun gebe es ja ein "Zukunftskonzept" der Landesregierung für den Ring. Und Ernst & Young habe auf dieser neuen Grundlage prognostiziert, dass es im kommenden Jahrzehnt möglich sein werde, mit den Erlösen am Nürburgring die Zinsen und Abschreibungen zu erwirtschaften. Von drohenden Verlusten fand sich in der Erklärung des Ministeriums kein Wort.

Dumm nur, dass Ernst & Young auch in dem Arbeitspapier vom Juli 2010 immer noch ein stattliches Minus bis 2020 prophezeite: besagte 191,9 Millionen Euro. Wäre diese neue Vorhersage ebenfalls bekannt geworden, damals wenige Monate vor der Landtagswahl, dann hätte es für Beck und seine Regierung ziemlich schlecht ausgesehen. So aber zog der Regierungschef weiterhin mit positiven Parolen durchs Land. Der Nürburgring laufe jetzt sogar im Winter gut, sagte er.

Seit Mai 2011 befasst sich das Mainzer Innenministerium mit dem Ring-Drama. Das Ministerium erklärte zu dem Arbeitspapier von Ernst & Young, man könne die genannten Zahlen "nicht verifizieren".

Jetzt ist die staatliche Ring-Gesellschaft pleite, und jede Menge Steuergeld erst einmal weg. Die EU-Kommission beziffert die geflossenen Fördermittel für die Rennstrecke und den Freizeitpark auf 486 Millionen Euro. In Brüssel mag man sich die Schuld für das Desaster nicht zuschieben lassen.

In dem Bescheid aus der vergangenen Woche, mit dem weitere Subventionen des Landes verboten wurden, verweist die EU auf die "Unwirtschaftlichkeit" des Projektes. Mit den erhofften Pachteinnahmen von den privaten Betreibern des Rings ließen sich die Kosten nicht decken. Und fast nebenbei schreiben die Brüsseler: "Die Kommission erinnert ferner daran, dass die Nürburgring-Gesellschaft mindestens seit 2006 defizitär wirtschaftete."

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