Kurdenkonflikt in der Türkei:"Wenn es so weitergeht, wird es hier wie in Syrien"

Kurdenkonflikt in der Türkei: Trauernde tragen den getöteten kurdischen Kämpfer Osman Karadeniz zu Grabe.

Trauernde tragen den getöteten kurdischen Kämpfer Osman Karadeniz zu Grabe.

(Foto: AFP)

Die Türkei lässt den Kurdenkonflikt wieder eskalieren. Mehr als 200 Kurden soll das türkische Militär in zwei Wochen getötet haben. Das hilft der Terrormiliz IS.

Von Julia Ley

Morde an Journalisten haben in der Türkei traurige Tradition. Ging es dabei früher meist um innenpolitische Konflikte - so wie 2007, als ein türkischer Nationalist den türkisch-armenischen Journalisten Hrant Dink erschoss -, trifft es in jüngster Zeit zunehmend Reporter aus Syrien, die im Nachbarland Schutz suchen. Die Opfer sind häufig syrische Oppositionelle, die sich vor ihren Verfolgern auf türkischem Gebiet in Sicherheit wägen.

Das jüngste Mordopfer ist der syrische Journalist Nadschi al-Dscherf, der am Wochenende in der südosttürkischen Stadt Gaziantep erschossen wurde. Der bekannte Filmemacher kritisierte Präsident Assad genauso wie die Terrormiliz Islamischer Staat. Zuletzt drehte er einen Dokumentarfilm über die Gräueltaten des IS in der nordsyrischen Stadt Aleppo. Der Film ist auf YouTube zu sehen.

Das syrische Netzwerk "Raqqa is being slaughtered silently" (Rakka wird leise abgeschlachtet), das regelmäßig aus der selbst ernannten Hauptstadt des IS berichtet und Kontakte zu syrischen Oppositionellen unterhält, bestätigte seinen Tod auf Twitter.

Der amerikanischen Journalistenvereinigung Committee to Protect Journalists (CPJ) zufolge soll Al-Dscherf tagsüber durch eine Pistole mit Schalldämpfer vor einem Gebäude getötet worden sein, in dem sich oppositionelle syrische Journalisten treffen. Der Organisation zufolge haben türkische Behörden Ermittlungen eingeleitet.

Allzu große Hoffnungen knüpfen sich an diese Ankündigung allerdings nicht. Erst im Oktober waren in der türkischen Stadt Şanlıurfa die beiden syrischen Journalisten Abdul Kadir und Fares Hamadi enthauptet worden, offensichtlich von Dschihadisten. Ihre Mörder veröffentlichten im Internet Bilder der Leichen - als Warnung an ihre Gegner. In keinem der beiden Fälle haben die türkischen Behörden Verdächtige gefasst.

Sherif Mansour, Programmdirektor des CPJ für Nordafrika und den Nahen Osten, berichtet, dass viele syrische Journalisten in der Türkei Zuflucht gesucht hätten. Dort seien sie aber keineswegs in Sicherheit. Er ruft die türkischen Behörden auf, die Mörder von Al-Dscherf zu finden und vor Gericht zu stellen. Außerdem fordert er Maßnahmen, um syrische Journalisten auf türkischem Boden besser zu schützen.

Statt gegen den IS vorzugehen, bekämpft die Armee die Kurden

Doch im Moment deutet wenig darauf hin, dass die türkische Polizei dieser Aufgabe gerecht wird. Zumindest im Inland scheinen die Sicherheitskräfte ihre gesamte Energie auf die Auseinandersetzung mit den Kurden zu konzentrieren. Die Regierung will verhindern, dass das Erstarken der Kurden in Syrien ihren Abspaltungswillen innerhalb der Türkei befeuern könnte.

Seit im Sommer ein zweijähriger Waffenstillstand endete, flammt der Konflikt mit fast vergessener Brutalität wieder auf. Allein in den vergangenen zwei Wochen tötete das türkische Militär 200 kurdische Aufständische. Am Sonntag explodierte eine Bombe in der sudosttürkischen Stadt Cizre, drei türkische Soldaten kamen dabei ums Leben. Das Militär bezichtigt die Kurdische Arbeiterpartei PKK, den Sprengsatz gelegt zu haben. Die PKK, die auch in der Europäischen Union und den USA als terroristische Organisation gilt, kämpft seit drei Jahrzehnten für Autonomie.

Bei den Parlamentswahlen im Juni hatte Erdoğans AKP die absolute Mehrheit verloren, weil viele Wähler ihre Stimme stattdessen der gemäßigten Kurdenpartei HDP gaben. Die AKP verweigerte sich danach einer Koalitionsbildung, die Wahl musste wiederholt werden. Doch auch seit die AKP die absolute Mehrheit im November zurückgewann, hat sich die Lage nicht gebessert, wie von vielen erhofft. Die Zusammenstöße wurden noch intensiver.

"Wenn es so weitergeht, wird es hier wie in Syrien werden", sagt Mehmet Salih Bagata, ein Anwalt in der Stadt Cizre, von wo besonders viele Tote gemeldet werden. Viele Kurden haben das Gefühl, dass die aktuelle Gewalt sogar jene der 1990er-Jahre übertrifft. Anders als damals nähmen Panzer nun auch Kämpfer unter Beschuss, die sich in Wohngebieten von Cizre und Silopi verschanzt hätten.

Eine politische Lösung des Konflikts scheint in weiter Ferne

Eine politische Lösung, die noch zu Beginn des Jahres greifbar schien, ist nun in weite Ferne gerückt. Der Dachverband kurdischer Organisationen DTK erklärte am Sonntag, dass der Konflikt nur beizulegen sei, wenn die Kurdenregionen im Südosten Autonomie erhielten. Das Bündnis, dem auch die HDP angehört, teilte mit, der Aufstand sei ein Ruf nach mehr Eigenständigkeit auf lokaler Ebene.

Für Premierminister Davutoğlu und seine AKP-Regierung ist dies eine Provokation. Davutoğlu will im Laufe der Woche mit den im Parlament vertretenen Parteien erste Gespräche über die von der AKP anvisierte Verfassungsänderung führen, eigentlich war dazu auch die HDP eingeladen. Nach der Erklärung der DTK änderte der Parteivorstand aber seine Meinung: Nach den "unverfrorenen" Autonomieforderungen der Kurden könne man sie nicht länger als Gesprächspartner akzeptieren, sagte der islamisch-konservative Politiker.

Die türkische Regierung schließt eine Selbstverwaltung der kurdischen Gebiete nach wie vor kategorisch aus. Erst am Samstagabend bekräftigte Präsident Erdoğan, die Türkei werde die Gründung eines weiteren Staats innerhalb ihrer Grenzen nicht dulden. Gleichzeitig zeigen sich linke Gewerkschaften solidarisch mit den Kurden. Sie haben für Dienstag zu einem landesweiten Streik aufgerufen, um gegen das Vorgehen des türkischen Staats zu protestieren. Auch in Düsseldorf gingen am Wochenende mehr als 15 000 Kurden auf die Straße.

Immer wieder war in den vergangenen Monaten Kritik laut geworden, dass die Türkei nicht entschlossen genug gegen den IS vorgeht. Auch HDP-Politiker werfen der türkischen Regierung vor, IS-Kämpfer ungehindert nach Syrien reisen zu lassen, sogar Waffen und Nachschub sollen problemlos über die Grenze gelangt sein.

Die vielleicht größte Hilfestellung für den IS aber ist das rabiate Vorgehen der Türken gegen die Kurden in Syrien und im eigenen Land - denn die Kurden gelten als der bislang erfolgreichste Gegner des IS. Von der anhaltenden Gewalt in der Türkei profitieren deshalb indirekt auch die Dschihadisten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: