Kurden gegen den IS:Erst belächelt - jetzt greifen die Peschmerga wieder an

Kurden gegen den IS: Die Peschmerga wollen die Linie zwischen den IS-Hochburgen Raqqa und Mossul durchtrennen.

Die Peschmerga wollen die Linie zwischen den IS-Hochburgen Raqqa und Mossul durchtrennen.

  • Kurdische Peschmerga-Kämpfer haben den Versuch gestartet, die strategisch wichtige irakische Kleinstadt Sindschar von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu befreien.
  • Bei der Offensive geht es den Peschmerga nicht nur um den IS, sondern auch inner-kurdisch um das Ringen um internationale Aufmerksamkeit.

Von Ronen Steinke

Das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) kontrollierte Gebiet in Syrien und dem Irak ist nur durch einen schmalen Streifen Land verbunden. Eine einzige Schnellstraße führt von Raqqa, der nominellen Hauptstadt der Dschihadisten in Syrien, hinüber nach Mossul, in die irakische Millionenstadt, die ebenfalls vom IS beherrscht ist. Dies sind ihre zwei Hochburgen. Am Donnerstag nun haben Kämpfer der kurdischen Peschmerga den Versuch gestartet, das IS-Gebiet an dieser Stelle zu durchtrennen. Die Offensive wurde seit Wochen erwartet, hatte sich jedoch immer wieder verzögert.

Unterstützt von US-Luftangriffen rückten etwa 7500 Kämpfer der Peschmerga auf die Kleinstadt Sindschar vor, die an der Verbindungsstraße liegt, der irakischen Autobahn 47. Bislang steht dieser Ort unter der Kontrolle des IS. Über die Autobahn versorgt sich die Miliz mit militärischem Gerät. Die Peschmerga vermuten, dass in und um Sindschar etwa 600 Dschihadisten ausharren, um diese strategisch wichtige Position zu halten. Amerikanischen Militärberater der Kurdenkämpfer ließen verlauten, man werde die Stadt in zwei bis vier Tagen zurückerobern. Eine weitere Woche werde wohl benötigt, um sie zu sichern.

Der Befehlshaber der Peschmerga ist der Präsident der Kurden im Nordirak, Massud Barsani, und bereits nach wenigen Stunden verbreitete sein Führungskreis Erfolgsmeldungen: Die Kämpfer hätten die Kontrolle über Teile der Stadt Sindschar sowie drei Vororte errungen, ein Dorf im Westen der Stadt sowie zwei Dörfer östlich davon. Nach einigen Stunden der Kämpfe erklärte ein kurdischer Kommandeur der New York Times, man habe "die Straße zwischen Syrien und dem Irak" unterbrochen.

Der Marsch auf die Stadt soll den Peschmerga international wieder mehr Geltung verschaffen

Der Ort der Offensive ist auch psychologisch bedeutend: Die Kleinstadt Sindschar mit ihren etwa 40 000 Einwohnern liegt am Fuße des weltweit viel bekannteren Gebirges desselben Namens. Im Sommer vergangenen Jahres waren infolge der Blitzoffensive der IS-Dschihadisten im Nordirak Zehntausende Jesiden in dieses karge Gebirge geflohen, wo sie weder Wasser noch Essen hatten. Die Angehörigen dieser religiösen Minderheit werden von den Extremisten als Teufelsanbeter verfolgt. Auch im Gebirge waren sie nicht sicher, der IS belagerte sie, es drohte ein Völkermord. Die Gewalt war der Anstoß für die USA, in den Konflikt einzugreifen. Im Dezember vertrieben dann Kurden-Kämpfer den IS aus dem Nordteil des Sindschar-Gebirges, die belagerten Jesiden konnten sich retten.

Das Verdienst, die Jesiden gerettet zu haben, kam damals allerdings nicht allein den Peschmerga zu, sondern vor allem kurdischen Kämpfergruppen, die der PKK nahestehen. Die Peschmerga erlebten in der Folge, wie man sie im Ausland ein wenig zu belächeln begann: Zwar bekamen sie die teuren Waffen aus dem Ausland, auch aus Deutschland kam im Spätsommer 2014 eine Spende von Tausenden Gewehren, 30 Raketenwerfer-Systemen vom Typ Milan sowie 25 Feldküchen. Aber die eigentlich erfolgreicheren Sindschar-Kämpfer waren die anderen Kurden, jene, die der Westen aufgrund seiner Brandmarkung der PKK als terroristische Organisation nicht direkt mit Waffen und Logistik unterstützen konnte.

So ist die am Donnerstag begonnene Offensive der Peschmerga am weltbekannten Ort auch ein Schritt in einem inner-kurdischen Ringen um internationale Aufmerksamkeit. Die Peschmerga feuerten am Morgen vom Berg herab moderne Raketen - und ein Kamerateam der britischen BBC filmte aus nächster Nähe. Auch Journalisten der New York Times sowie der französischen Nachrichtenagentur Agence France-Presse waren von den Peschmerga eingeladen und in die Truppe eingebettet worden.

Die Peschmerga bemühen sich, als Machtfaktor im Nordirak stärker wahrgenommen zu werden. Wie die New York Times berichtet, waren ihrer Offensive scharfe "interne Streitigkeiten" mit konkurrierenden kurdischen Gruppen vorausgegangen. Wegen des Streits darüber, wer die Stadt Sindschar nach deren möglicher Befreiung kontrollieren soll, sei der Plan sogar "bis zuletzt beinahe gekippt worden".

Die US-Streitkräfte unterstützten die Attacke am Donnerstag aus der Luft, nach eigenen Angaben mit insgesamt 24 Luftschlägen auf neun IS-Stellungen in der Umgebung der Stadt Sindschar. Eine von den USA angeführte internationale Militärkoalition geht bereits seit mehr als einem Jahr mit Luftangriffen gegen die IS-Kämpfer in Syrien sowie im Irak vor, allerdings mit mäßigem Erfolg.

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