Kubas neuer Präsident:"Er ist weder ein Emporkömmling noch eine Notlösung"

Kubas neuer Präsident: Raúl Castro und sein Nachfolger Miguel Díaz-Canel im Parlament.

Raúl Castro und sein Nachfolger Miguel Díaz-Canel im Parlament.

(Foto: AFP)

So wirbt Raúl Castro für seinen Lieblingsschüler Miguel Díaz-Canel. Was dem neuen Präsidenten fehlt: die Aura eines Revoluzzers - und die ist in Kuba nicht zu unterschätzen.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Niemand kann behaupten, in Kuba gäbe es keine Wahlen. Es gibt sogar eine Wahlsaison unter dem Motto "Ein echtes Lehrbeispiel der Demokratie". Dahinter verbirgt sich ein komplexes Verfahren, das nicht ganz zufällig am 25. November begann, dem Todestag Fidel Castros, und an diesem 19. April seinen krönenden Abschluss fand, dem 57. Jahrestag des Sieges in der Schweinebucht. Ein Lehrbeispiel der Symbolpolitik.

In der Wahlsaison wurden auf kommunaler, regionaler und nationaler Ebene Einheitslisten einstimmig abgesegnet, die zuvor von Kandidatenkommissionen der kommunistischen Einheitspartei zusammengestellt worden waren. Am Ende lief, nicht ganz zufällig, alles auf das Ergebnis hinaus: Der nächste kubanische Präsident heißt Miguel Díaz-Canel. Das ist der kleine Haken an dieser Art Demokratie: Nicht die Bevölkerung, sondern die Staatsführung wählt aus, wer künftig den Staat führt.

Ein historischer Einschnitt ist es trotzdem. Díaz-Canel, der diesen Freitag 58 Jahre alt wird, war noch nicht geboren, als die Gebrüder Fidel und Raúl Castro 1959 Havanna eroberten. Er steht für einen Generationswechsel. Und es ist auch nicht selbstverständlich, dass in dem studierten Elektroingenieur ein Zivilist als erster Präsident der Post-Castro-Ära in die Geschichte eingeht. Dennoch wäre es naiv zu glauben, dass sich mit der Generation automatisch das System wandelt. Bei dem, was in Kuba gerade vor sich geht, handelt es sich nicht um einen Austausch der Eliten, sondern innerhalb der Elite.

Díaz-Canel wurde ausgewählt, weil von ihm keine Experimente zu befürchten sind. Sein Auftrag ist Kontinuität. Er galt seit Jahren als Lieblingsschüler Raúl Castros und spätestens seit 2013, als er zum ersten Vizepräsidenten befördert wurde, als Topfavorit auf dessen Nachfolge. Er hat seine ideologische Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt. Castro warb für ihn mit den Worten: "Er ist weder ein Emporkömmling noch eine Notlösung."

Eher früher Fidel als später Raúl

Miguel Mario Díaz-Canel Bermúdez stammt aus der zentralkubanischen Provinz Villa Clara, in der die Guerilleros einst ihre entscheidenden Schlachten schlugen und wo heute das Mausoleum Che Guevaras steht. Schon in den Achtzigern schloss er sich dort der kommunistischen Jugend an und stieg mit 33 Jahren zum Ersten Sekretär der Parteizentrale in Villa Clara auf. Aus dieser Zeit hängt ihm noch der Ruf eines jungen Wilden an, der mit dem Fahrrad zur Arbeit kam, lange Haare trug, die Beatles hörte und sich einmal sogar für Transvestiten einsetzte.

Aber das ist lange her. Seit er 2003 ins Politbüro und später zum Bildungsminister berufen wurde, gilt er als diszipliniert und linientreu. Wohl auch um seinen größten Karrieresprung nicht zu gefährden, hat sich sein Tonfall in den vergangenen Monaten sogar radikalisiert. Raúl Castros sanfter Reformkurs ist in Kreisen der alten Parteikader keineswegs unumstritten. Und Díaz-Canel scheint ein feines Gespür dafür zu haben. Seine Reden klangen zuletzt eher nach dem frühen Fidel als nach dem späten Raúl.

Vermutlich war das abgesprochen. Sein Mentor Raúl Castro bleibt ihm als Vorsitzender der Kommunistischen Partei ja mindestens bis 2021 erhalten. Als eigentlicher Chef im Hintergrund also. Für Díaz-Canel birgt diese Konstellation eine Gefahr und eine Chance. Ihm fehlt die in Kuba nicht zu unterschätzende Aura eines Revoluzzers.

Und er muss aufpassen, dass es ihm nicht wie Manuel Urrutia und Osvaldo Dorticós ergeht, den beiden ersten Staatspräsidenten nach der Revolution, an die sich kaum noch jemand erinnert. Fidel Castro hat sie bis 1976 auch ohne das höchste Staatsamt überstrahlt, indem er einfach Fidel war. Als sie versuchten, sich von dem real existierenden Machthaber zu emanzipieren, wurden sie fallen gelassen.

Díaz-Canel ist alt genug, um zu wissen, worin seine Chance auf eine stabile Regierungszeit liegt. Er muss sich bloß daran halten, was ihm sein Vorgänger zuflüstert.

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