Kuba:Die neue Magie heißt Wandel

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Mit Fidel Castro siecht das Land - für die alten Weggefährten ist er noch immer ein Symbol, doch die Jüngeren sehen in ihm vor allem ein Hindernis.

Peter Burghardt, Havanna

Weiß der Himmel, was aus Kuba und den Castros wird. Am besten, man fragt gleich die Götter. "Alle Präsidenten sind von Oludamare eingesetzt", antwortet Antonio Castañeda und fixiert den Gast durch seine getönte Brille. "Alle, ohne Ausnahme." Auch Fidel? "Auch Fidel."

Aufräumarbeiten in einem Wahllokal in Havanna, in dem es nicht viel zu wählen gab. (Foto: Foto: AFP)

Oludamare ist der Allmächtige in der afroamerikanischen Mythologie Yoruba. Und der Mann im grauen Anzug und mit der roten Krawatte ist auf Kuba der Hohepriester dieser Religion. "Babalawo" steht auf seiner Visitenkarte, das bedeutet so viel wie "Vater der Geheimnisse". Als solcher sitzt Castañeda in seinem abgedunkelten und tiefgekühlten Büro der kubanischen Yoruba-Vereinigung in der Altstadt Havannas vor dem Computer. Früher spielte er Saxophon im Varieté Tropicana. An der Wand hängt naive Malerei aus dem Yoruba-Kosmos und ein E-Bass. Neben dem Schreibtisch lehnt eine grüne Stoffpuppe mit Peso-Scheinen.

Der Yoruba-Kult kann kaum überschätzt werden auf dem kommunistischen Eiland. Gerade in diesen Monaten der Ungewissheit. "85 Prozent der Kubaner sind gläubig, 75 Prozent davon haben unseren Glauben", doziert Castañeda. Demnach würden ungefähr 7,5 Millionen Landsleute den Voodoo-artigen Ritualen mit Hahn, Kreuz und Opfergaben folgen, die einst mit den Sklaven aus Nigeria kamen und mit katholischen Elementen verschmolzen. Bekannt ist dieser Mix als Santería. Jeder Anhänger hat einen Santero, einen Schamanen. Selbst Fidel Castro, heißt es. Bei einer Afrikareise in gesünderen Zeiten soll er in weißer Kleidung eine Zeremonie absolviert haben, es blieb, wie alles aus seinem Privatleben, ein beliebtes Gerücht. Exilkubaner in Miami behaupten sogar, Antonio Castañeda sei Fidels Santero. "Schön wär's", sagt der. "Aber wir bitten in unseren Sitzungen für ihn. Auch als er krank wurde." Kürzlich verkündete Castañeda, der allmächtige Olodumare wolle allein den Comandante an der Spitze der Nation und schütze ihn.

Sterben kostet nichts

Wie sonst ließe sich das alles verstehen? Am 1. Januar 2009 wird es ein halbes Jahrhundert her sein, dass Fidel Castro gemeinsam mit seinem Bruder Raúl, mit Ché Guevara und anderen Rebellen die Zuckerinsel eroberte. "Jahr 50 der Revolution", jubeln Transparente. Das Phänomen hält sich wie das chromglänzende oder würdig verrostende Blech der urigen Chevrolets und Buicks, die draußen an halb verrotteten, halb renovierten Fassaden vorbei rollen. Elf Amtszeiten amerikanischer Präsidenten hat der Máximo Líder überstanden, eine US-Invasion, die Raketenkrise, Washingtons Dauerboykott, den Zusammenbruch von Sponsor Sowjetunion - Sponsor Venezuela sprang ein, eine barmherzige Fügung. Und bisher überlebt der Patient selbst seine Krankheit, die ihn mehr als alles andere ins Wanken brachte.

Nach seiner letzten Rede am 26. Juli 2006, kurz vor seinem 80.Geburtstag, wurde Castro mit schweren Darmblutungen notoperiert. Seither war er bloß noch als schmaler Großvater auf vereinzelten Fotos und Videos zu sehen, im Trainingsanzug statt in Uniform. In seinen Briefen gab der Patron zu, um ein Haar gestorben zu sein. Auch schlug er vor, die Alten dürften den Jungen nicht im Weg stehen. Trotzdem wurde er gerade erneut fürs Parlament nominiert und könnte dort wie gehabt zum Präsidenten und Vorsitzenden des Staatsrates gekürt werden.

Da hat Señor Castañeda auch in irdischer Funktion mitzureden, denn er ist ebenfalls Abgeordneter. Als erster Vertreter der Yoruba bekam er bei den Volkskammer-Wahlen à la DDR im Januar ein Mandat - alle 614 Kandidaten für 614 Sitze wurden von den Wählern ordnungsgemäß angekreuzt. Am 24.Februar sollen die Delegierten, gewöhnlich Mitglieder der Kommunistischen Einheitspartei, die neue Führung der Republik bestimmen. Fidel wird wohl in seinen Ämtern bestätigt, wenn er will. Wenn ja - dankt er dann trotzdem ab? Übergibt die Geschäfte endgültig dem 76-jährigen Raúl, der als Reformer gilt? Zieht er sich elegant in die Rolle des Übervaters zurück? Steigt einer der jüngeren Funktionäre auf? Alles nur Theorien, Antonio Castañeda hebt die Schultern. "Wenn Fidel gewählt werden soll, dann werde ich ihn wählen", sagt er zwischen zwei Telefonaten mit zwei Telefonen. "Wen sollte ich sonst wählen? Kennen Sie seine Verdienste?"

Er zählt rasch auf, revolutionäre Routine. Kostenlose Schulen und Krankenhäuser und billige Grundnahrungsmittel wie Zucker, Bohnen und Reis über Lebensmittelkarten (im Einsatz seit 1962). Internationale Augenoperationen für Bedürftige, genannt Operation Wunder. Trotz des ewigen Embargos durch das Imperium. Selbst Beerdigungen seien hier gratis, "was kosten die in Deutschland?". Noch zu Zeiten seiner Geburt 1946 seien Menschen mit dunkler Hautfarbe wie er noch benachteiligt worden, sagt der Babalawo. Und Waffen gebe es kaum auf Kuba und drogensüchtige Straßenkinder auch nicht wie sonst überall in Lateinamerika. "Das hat alles Fidel geschafft." Das sind Argumente.

Lesen Sie auf Seite 2, worauf die Kubaner hoffen: dass die Klapperbusse verlässlicher werden, die Züge schneller als durchschnittlich 40 km/h fahren und was sonst noch.

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Bildern.

Dann geht man hinaus in den warmen Tag und schaut in das Gesicht eines Entwicklungslandes. So viel an einer Ecke restauriert wird, so viel verfällt am anderen Ende der Stadt. Castros Körper und Havannas Bauten zeigen ihre Vergänglichkeit. In verrotteten Zimmern drängen sich ganze Familien, die renovierten Kolonialrestaurants, Villen und Hotels füllen hauptsächlich Ausländer. Das Taxi steuert ein Ingenieur, dem das staatliche Gehalt von 350 nationalen Pesos nicht mal für eine Tankfüllung reichen würde.

Benzin wird in konvertiblen Pesos gezahlt, kurz CUC, die zweite Landeswährung, in der im Grunde alles bezahlt werden muss, was Wert hat. Ein Rentner klagt, dass fünf seiner acht Kinder in die USA und nach Europa gegangen seien, die Dollars und Euros der Emigranten ernähren halb Kuba. Und an der Universität, auf dem Gemüsemarkt und der Uferpromenade ist immer lauter dieses magische Wort zu hören: Cambio. Wandel.

Wo sind die Zitronen?

Es klingt wie eine Verheißung - dass Warten und Stillstand sich endlich in Zukunft verwandeln mögen. Mit oder ohne Fidel und Raúl und Olodumare und den übrigen Instanzen, die über diesen historischen Sonderfall befinden. Dass die Einkommen steigen, eine der beiden Währungen verschwindet, die Klapperbusse verlässlicher werden, die Züge schneller als durchschnittlich 40 km/h fahren. Dass Reisen einfacher werden und mehr eigene Geschäfte erlaubt, wie in China. Und dass sich Zitronen leichter finden lassen.

Letzteres hat Yoani Sánchez angemahnt. Mit schmalen Fingern bearbeitet sie eine Tastatur, ihre Quelle der Erleuchtung ist ein silberfarbener Laptop. Im zwölften Stock eines grauen Wohnblocks jugoslawischer Bauart hat sie dabei einen weiten Blick auf die Plaza de la Revolución, wo Castros Machtzentralen stehen und der stilisierte Ché Guevara "Hasta la victoria siempre" verspricht, immer bis zum Sieg. Die Philologin Sánchez, 32, tippt ihre Kolumne für die Website Generación Y. Eine Folge trägt den Titel "Fahndung" und handelt von der vergeblichen Jagd nach den Zitrusfrüchten. Die Autorin hatte sich in der für kubanische Verhältnisse nasskalten Brise vom Meer erkältet und wollte einen heißen Tee mit Zitrone. Doch die bekam sie auch nach ausgiebiger Suche nicht. Wie könne ein so fruchtbarer Boden so wenig hergeben, rätselt Yoani Sánchez. "Hoffe ich weiter, oder finde ich mich damit ab und vergesse den Geschmack von Zitronen?"

Stücke wie diese sind eine Ode auf den Alltag und den Wunsch nach Veränderung. Eine Parabel für die Mangelwirtschaft. Viele Felder liegen brach und sind mit dornigem Unkraut namens Marabu überzogen. Die Zustände rügte sogar Raúl Castro und rief zu Debatten in eigens organisierten Versammlungen auf. Diese Kritikerin mit dem schwarzen Zopf allerdings erinnert in ihrem Blog lieber selbst daran, dass die Bezeichnung Parlament von parlare komme, reden - und nicht von abnicken.

Sie versucht sich einen Tag ohne Schwarzmarkt vorzustellen (unmöglich). Schildert Überfälle in Havanna. Witzelt über die absurde Flut heroischer Jahrestage und empfiehlt, sich mehr der Gegenwart zu widmen. Bedauert verbotene Privatinitiativen. "All diese Energien warten geduckt darauf, dass sich die gesetzlichen Beschränkungen lockern."

Neben ihr auf dem Küchentisch liegt die dünne Parteizeitung Granma, das Zentralorgan des Staates. Es heißt wie die Yacht, mit der Castro und Genossen seinerzeit zum Aufstand schipperten. "Triumph des Einheitsvotums!", lautet die Überschrift. Fidel veröffentlicht in Granma auch seine "Reflexionen des Comandante en Jefe", den Ersatz für seine Marathonansprachen.

Lesen Sie auf Seite 3, warum der Respekt vor Castro groß ist und wie er seinen Untertanen das Rebellische ausgetrieben hat.

Wenn er über Brasiliens Präsidenten Lula schreibt, vor kurzem sein Besucher, dann ist das eine chaotische Rallye durch die Abgründe des Kapitalismus, die unter anderem bei Alan Greenspan und Adolf Hitler vorbeikommt. Castro liebt den großen Bogen. Als Kolumnist hat er es technisch einfacher als Yoani Sánchez. Sie speichert ihre Stücke auf den USB-Stick und sucht einen Internetanschluss, zu Hause hat kaum jemand Zugang.

Eine Stunde in den wenigen Cybercafés kostet trotz träger Leitung mindestens 3,50 CUC, drei Euro die Stunde, ein Drittel eines Monatslohns. In gutausgestattete Hotels von Havanna kommt sie nur hinein, wenn sie die Touristin spielt. Und gelesen wird sie nur von Kubanern, die im Netz surfen. Oder im Ausland. Doch ihre Texte sprechen sich herum, wie alles in dieser mitteilungsfreudigen Gesellschaft.

Wie drei Viertel der Kubaner wurde sie nach der Revolution 1959 geboren, also stets regiert von Fidel Castro und seine Parolen. Patria o muerte, Vaterland oder Tod? "Unsere nationale Souveränität hat uns unsere persönliche Unabhängigkeit gekostet", sagt Yoani Sánchez, kein schlechter Satz. Ärzte und Krankenschwestern werden knapp, weil Tausende von ihnen nach Venezuela geschickt wurden wie einst Soldaten nach Angola.

Hugo Chávez liefert dafür Öl, das Busse antreibt und Stromausfälle verhindert. Das Bildungsniveau sinkt, weil das Geld fehlt und Lehrern die Motivation. Was machen Informatiker im Jahre 2008 ohne Breitbandanschluss? Eine wie Yoani ist ein Widerspruch zwischen Ausbildung und Möglichkeiten. Sie studierte Literatur an der Uni von Havanna. Einer ihrer Blogs widmet sich einer Holzbank ihrer Fakultät, auf der viele Dichter saßen, die Kuba später verließen. Millionen Kubaner wanderten aus - vielen armen Ländern geht es so, aber sollte Kuba nicht anders sein? Sie hat zwei Jahre lang in der Schweiz gelebt, aber kam mit ihrem Sohn zurück, weil sie Kuba vermisste und ihre Familie. Postkarten aus Zürich kleben an der Wand neben dem Aquarium.

Sie fühlt sich nicht wie eine Dissidentin und will auch nicht das ganze System umkrempeln und Florida einführen, wie Andersdenkenden hier gerne vorgeworfen wird. "Ich bin einfach eine unzufriedene Kubanerin", sagt sie. Sie pilgert auch nicht wie Berufsoppositionelle in die US-Vertretung, wo das Internet schnell ist und umsonst. Sie will bloß nicht mehr untätig warten auf die Entscheidungen eines Mannes und einer Partei. Mit ihrem Lebensgefährten Reinaldo Escobar und anderen leitet sie auch das Internetportal Consensus, über allem steht "Desde Cuba", aus Kuba.

"Der Zyklus des Schweigens ist vorbei", sagt sie. "Unsere Generation zählt die Jahre." Fidel Castro? "Für die Älteren ist er vielleicht ein Symbol, für mich ist er ein Hindernis. Mit Fidel gibt es keinen Wandel." Sie verlangt Freiheiten und vernünftige Verwalter, keine Propaganda und keine Caudillos.

Solange es noch Rum gibt

Viele denken ähnlich, wenige sagen es so offen. Der Respekt vor Fidel ist groß, das Rebellische hat er seinen Untertanen ausgetrieben. Dabei hilft die Panik vor der Staatssicherheit. Im Kino Acapulco von Havanna wurde vor ein paar Wochen einen Tag lang "Das Leben der anderen" gezeigt, der deutsche Stasi-Film.

Das Publikum war an manchen Stellen betreten still, berichten Zeugen, dabei wird vor kubanischen Leinwänden gerne geklatscht und gelacht. Es gibt auch noch die Blockwarte des "Komitees zur Verteidigung der Revolution". In Yoanis Haus sind es gleich drei, bisher hat sie aber keine Probleme.

Andere haben Angst vor dem, was da kommen mag: gierige Investoren und die Invasion der Exilanten, die seit 50 Jahren ihre Häuser zurückhaben wollen. Noch, das finden besonders Fremde, ist Kuba einzigartig mit Ché-Plakaten und ohne McDonald's, das könnte sich schnell ändern. Diplomaten bedauern es im Vertrauen jetzt schon, dass sie Fidel Castro wohl nicht mehr die Hand schütteln können. Und die allermeisten Kubaner sind für politischen Aktivismus jenseits der Vorgaben zu sehr beschäftigt. "Resolver", lösen, nennt sich der Volkssport, und er bedeutet, Eier zu besorgen oder Zündkerzen; die zweite Disziplin ist "inventar", erfinden.

Kuba ist Weltklasse in der Lebenskunst Alltagsbewältigung. Yoani gibt Deutsch-Unterricht, ihr Mann Reinaldo repariert einen der beiden armenischen Aufzug in ihrem Wohnhaus, indem er den anderen ausschlachtet - Ersatzteile für das Sowjetmodell gibt es schon lange keine mehr. Und wozu sich aufregen, solange die Sonne scheint, irgendwer Rum hat, irgendwo Salsa getanzt wird und Witze erzählt werden. Wird nicht alles doch da oben entschieden, von Fidel und den Göttern?

Antonio Castañeda ist guter Dinge. Die Weissagung sieht nicht schlecht aus. Das Orakel warnt vor Wirbelstürmen, die Kuba periodisch heimsuchen. Ansonsten werde es "ein Jahr mit Glück und Fortschritten in unserem Leben, solange die Empfehlungen eingehalten werden." Dazu gehört, keine Ameisen zu töten. Babalawo Castañeda hat sich als Parlamentarier vorgenommen, möglichst viele der modernen Häuser zu streichen, Havanna sei "wie eine ungeschminkte Frau". In seinem Regal steht schon ein Eimer Farbe aus Venezuela.

© SZ vom 01.02.2008/bosw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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