Kuba:Angriff in aller Stille

Warum sind 19 US-Diplomaten in Havanna schwer erkrankt? Bislang waren beide Seiten um Deeskalation bemüht. Doch jetzt spitzt sich die Affäre um mutmaßliche Schallwellen-Attacken zu einer diplomatischen Krise zu.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Die Beziehungsgeschichte zwischen Kuba und den Vereinigten Staaten liest sich über weite Strecken wie ein Agentenroman. Erzählt wird darin von vergifteten Martinis und Schoko-Shakes, von tödlichen Kugelschreibern sowie einer explodierenden Muschel, selbst mit einem kontaminierten Tauchanzug soll die CIA auf dem Höhepunkt des lauwarmen Krieges einmal versucht haben, Fidel Castro zu töten. Ende vergangenen Jahres ist der Mann, der all diese Anschläge überstand, dann tatsächlich gestorben, ohne Fremdeinwirkung.

Mit dem neuesten Kapitel dieses Krimis hat er sicherlich nichts zu tun. Das ist aber auch schon die einzige Gewissheit in der rätselhaften Geschichte über den Geräuschangriff auf die US-Botschaft in Havanna.

Auch weil die Regierungen der beiden Nachbarländer in den vergangenen Jahren den Spaß daran verloren, sich gegenseitig zu drangsalieren, setzten die USA im Sommer 2015 wieder einen Botschafter in der kubanischen Hauptstadt ein. Nach über fünf Jahrzehnten Eiszeit. Diesem Botschafter, Jeffrey DeLaurentis, hat Präsident Raúl Castro gerade persönlich versichert, dass er nichts zu tun habe mit der sogenannten "Akustik-Attacke". Er selbst sei darüber so besorgt wie die Amerikaner.

Das Nachbarschaftsverhältnis wird auf eine harte Probe gestellt, seit mindestens 19 in Havanna stationierte US-Diplomaten über chronische Kopfschmerzen, Schwindelanfälle und dauerhafte Gehörschäden klagten. Fünf Vertreter der kanadischen Botschaft sind ebenfalls betroffen. Mysteriös ist der Fall auch deshalb, weil die Betroffenen gar nicht sagen konnten, was genau vorgefallen war. Zu Zeiten der Streithähne Fidel Castro und George Bush hatten die Kubaner durchaus auch mal scheppernde Boxen an der Uferpromenade Malecón aufgebaut, um die Yankees in ihrer Interessensvertretung, die heute wieder Botschaft heißt, von der Arbeit abzuhalten. Diesmal kam der Angriff auf die Ohren geräuschlos, und offenbar über Nacht. Das FBI tappt mit seinen Ermittlungen noch im Dunkeln, vermutet aber, dass die Diplomaten von gesundheitsschädlichen Schallwellen jenseits des hörbaren Bereichs belästigt wurden. Das alles soll sich zwischen November 2016 und Frühjahr 2017 zugetragen haben, also in der Übergangszeit zwischen der Obama- und der Trump-Administration. US-Außenminister Rex Tillerson sprach am Sonntag von "sehr schwerwiegenden" Vorfällen und deutete an, dass er darüber nachdenke, die Botschaft in Havanna wieder zu schließen.

US-Präsident Trump verhält sich noch unauffällig: Keine ätzenden Tweets in dieser Sache

Damit spitzt sich dieses Rätsel allmählich doch zu einer diplomatischen Krise zu. Bislang waren beiden Seiten spürbar um Deeskalation bemüht. Havanna ließ FBI-Ermittler ins Land und sicherte ihnen volle Kooperationsbereitschaft zu. Washington wiederum hat es bislang vermieden, die kubanische Regierung direkt für die Angriffe verantwortlich zu machen. Und selbst Präsident Donald Trump, der die Entspannungspolitik Obamas in Teilen wieder rückgängig gemacht hatte, verhält sich auffällig unauffällig - keinerlei ätzende Tweets in dieser Sache. Das State Department hatte im Mai als eine Art Warnsignal immerhin zwei kubanische Diplomaten aus Washington ausgewiesen, während es seine hörgeschädigten Mitarbeiter und deren Familien aus Havanna abzog.

Bleibt die Frage: Wer war der Urheber dieser so unhörbaren wie unerhörten Gemeinheit? Während sich die exilkubanischen Kubahasser rund um den republikanischen Senator Marco Rubio sicher sind, dass das Castro-Regime bis heute mit den alten Tricks arbeitet, wird in Havanna darüber gerätselt, ob eine abtrünnige Hardliner-Fraktion des kubanischen Geheimdienstes dahinter steckte - mit dem Versuch, die intern umstrittene Annäherung an den Klassenfeind zu sabotieren. Untersucht wird offenbar auch eine mögliche Beteiligung von US-kritischen Drittstaaten wie Russland, Venezuela oder Nordkorea. Staatschef Raúl Castro wäre gut beraten, auf all diese Fragen bald eine plausible Antwort zu liefern.

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