Machtwechsel in Kuba:Abschied von den Dinosauriern

Kubas ehemaliger Präsident Fidel Castro auf einem Plakat mit seinem Bruder Raul - 2018 soll erstmals seit fast 60 Jahren kein Castro an der Spitze Kubas stehen.

Der Ort Birán im Osten Kubas, wo Fidel Castro (li.) und seine Geschwister geboren wurden. Der nächste kubanische Staatspräsident wird nun nach längerer Zeit erstmals nicht Castro heißen.

(Foto: Getty Images)

In Kuba wird ein neuer Staatspräsident ernannt. Damit wird das Land erstmals seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht von einem Castro regiert werden.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Einer der letzten bleibenden Sätze, den der Redekünstler Fidel Castro der Welt hinterließ, bevor er sich für immer in die Geschichtsbücher verabschiedete, lautete: "Unsere Spezies wird vergehen, so wie die Dinosaurier verschwunden sind." Damit war die Spezies der kubanischen Revoluzzer im weiteren und die Spezies der Castros im engeren Sinne gemeint. Sie haben auf ihrer Karibikinsel noch länger durchgehalten als die Fußball-Dinos vom HSV in der Bundesliga. Aber wenn nicht alles täuscht, dann geht gerade beides dem Ende entgegen.

An diesem Mittwoch oder am Donnerstag soll in Kuba ein neuer Staatspräsident ernannt werden. Und dass dieser Mann nicht Castro heißen wird, hat natürlich globalen Nachrichtenwert. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der letzte real existierende Saurier, Raúl Modesto Castro Ruz, bereits vor fünf Jahren versprochen hatte, seinen Posten nach dem Ende der zweiten Amtszeit aufzugeben. Falls er es sich in den nächsten paar Stunden nicht noch anders überlegt, bricht im Jahr 59 der Revolution tatsächlich eine neue Ära an.

Wenn politische Führer zu lange an der Macht kleben, sei das "nie positiv", sagte Raúl Castro vor einiger Zeit. Im Sinne des Familienfriedens kann man nur hoffen, dass sein 2016 verstorbener großer Bruder das nicht mehr gehört hat. Der kleine Bruder ist inzwischen auch schon 86. Er führte eine Regel ein, welche die Amtszeit des Präsidenten auf zehn Jahre beschränkt - und hält sich nun daran. Gleichwohl will er Vorsitzender der Kommunistischen Partei bleiben, und so neu ist die neue Ära dann eben doch nicht, dass ihm jemand diesen Wunsch verwehren könnte. Castro wird damit de jure und de facto der mächtigste Mann im Einparteienstaat bleiben. Sollte überhaupt ein politischer Wandel im Gange sein, dann vollzieht er sich in Superzeitlupe.

Das US-Embargo als Lebensversicherung des Regimes

Zum neuen Präsident wird mit großer Wahrscheinlichkeit der bisherige Vize, Miguel Diaz-Canel, 57, aufrücken. Er war wie 80 Prozent der heutigen Bevölkerung Kubas noch nicht geboren, als sich die Castros mit einer Handvoll weiterer Haudegen aus der Sierra Maestra nach Havanna durchkämpften, und damit ins Zentrum der Weltpolitik. Mit seinem Milchbärtchen, seinem albernen Zopf und seiner Amtsstuben-Rhetorik stand Raúl stets im langen Schatten seines Bruders, dem sozialistischen Popstar Fidel. Es war aber schon immer ein Trugschluss, ihn deshalb zu unterschätzen. Sein Fehlen an Charisma machte Raúl Castro mit ideologischem Eifer wett. Er soll sich in den Anfängen der Revolution um die Hinrichtung von Denunzianten und Defätisten gekümmert haben.

Er war Kubas Verbindungsmann zum Sowjetkommunismus. Bei den Kollegen von der Stasi in Ostberlin wurde er angeblich als "der Preuße von Havanna" verehrt.

Als Fidel sich von 2006 an aus gesundheitlichen Gründen in seinen Trainingsanzug verkroch, wurde aus dem ewigen Vize doch noch ein echter Staats- und Parteichef. Aber wahrscheinlich hätte kaum jemand - und am allerwenigsten Fidel - geahnt, dass er sich vom Hardliner zum sanften Reformer wandeln würde. Wobei Raúl im Vergleich zum Reformtempo der Fideljahre sogar relativ unsanft zu Werke ging.

Raúl Castro stellte in einem halben Jahrzehnt mehr auf den Kopf als sein Bruder in einem halben Jahrhundert. Er erlaubte seinem Volk zwar nicht die freie Wahl und die Meinungsäußerung, aber immerhin einen kleinen Vorgeschmack auf die freie Markwirtschaft. Plötzlich gab es asiatische Mobiltelefone, französisches Parfüms, deutsche Turnschuhe sowie leidlich funktionierende Internetverbindungen auf Kuba. Die Insel entwickelte sich zum sozialistischen Freiluftmuseum und zur führenden Feriendestination der Karibik. Genosse Castro war plötzlich ein Global Player. Er schüttelte Barack Obama und Papst Franziskus die Hand, nebenbei inszenierte er sich erfolgreich als Friedensengel von Kolumbien. Und dann ließ er auch noch die Rolling Stones ins Land.

Raúls Reformen waren ambitioniert und blieben unvollendet

Aber seine Idee, den maroden Sozialismus mit dem Dollar zu retten, ging bislang nicht auf. Raúls Reformen waren ambitioniert und blieben unvollendet. In dieser Hinsicht ruhen nun die größten Hoffnungen auf Diaz-Canel. Kaum einer glaubt daran, dass dieser linientreue Apparatschik die Opposition oder die kritische Presse legalisiert. Aber wirtschaftlicher Fortschritt ist den meisten jungen Kubanern ohnehin wichtiger als eine politische Öffnung. Das weiter gültige US-Embargo bewirkt hier immer noch genau das Gegenteil dessen, wozu es ursprünglich intendiert war. Abgesehen von einer kleinen Gruppe von professionellen Dissidenten schweißt es selbst die systemkritischen Kubaner gegen den Erzfeind zusammen und dient als kleinster gemeinsamer Nenner einer nationalen Identität. Das Embargo ist die Lebensversicherung des Regimes.

Der nächste Präsident wird trotzdem nicht umhinkommen, den Kubanern das zu ermöglichen, wonach sie am lautesten rufen: ein Gehalt, das zum Leben reicht. Sie wollen einkaufen und konsumieren, wie fast alle anderen Menschen auch. Das können bislang aber nur diejenigen, die in irgendeiner Form mit Touristen zu tun haben und an Devisen kommen. Die dringendste Reform wäre deshalb die Abschaffung der surrealen Doppelwährung. Der an den Dollar gebundene CUC ist die Währung des Tourismus, er wird zum nationalen Peso CUP im Verhältnis 1:25 getauscht. Der monatliche Durchschnittslohn für Staatsbedienstete wie Lehrer, Professoren und Ärzte liegt deshalb bei umgerechnet 28 Euro. Selbst Castro hat betont, dass dieses System nicht mehr tragbar sei.

Warum er es nicht abschaffte? Mutmaßlich aus Angst vor Kontrollverlust. Es gibt in der Partei immer noch höchst einflussreiche Altkader, manche sprechen auch vom Jurassic Park, die Wirtschaftsreformen mit Landesverrat gleichsetzen. Die Ära Raúl Castro war vor allem von dem Zwiespalt geprägt, ob es für die herrschende Klasse gefährlicher ist, wenn sich Kuba zu langsam erneuert oder zu schnell.

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