KSE-Vertrag auf Eis:Schachzug des Kremls

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Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Beteiligung Moskaus an einem der wichtigsten Abrüstungsverträge für Europa ausgesetzt. Dies klingt bedrohlich, bedeutet aber nicht, dass ein neues Wettrüsten unmittelbar bevorsteht.

Christoph Schäfer

Der russische Präsident Wladimir Putin hat die Beteiligung Moskaus an einem der wichtigsten Abrüstungsverträge für Europa per Dekret auf Eis gelegt. Dies scheint bedrohlich, doch gemach: Die Aussetzung des Abkommens bedeutet nicht, dass ein neues Wettrüsten unmittelbar bevorsteht, schon gar nicht muss es zu einem neuen Kalten Krieg kommen.

Der Schritt Putins sollte dennoch nicht unterschätzt werden, zumal er vielfältige russische Sorgen und Empfindlichkeiten widerspiegelt: Zum einen begründet Russland die Aussetzung des Vertrages über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) mit den amerikanischen Plänen zum Aufbau eines Raketenabwehrschilds in Osteuropa. Dieses soll die USA nach amerikanischer Lesart zwar lediglich vor Bedrohungen aus dem Mittleren Osten schützen und kann wohl auch in ferner Zukunft nicht das nukleare Gleichgewicht zwischen den alten Machtblöcken verschieben. Die Russen begreifen den Aufbau eines solchen Schildes dennoch als weiteren Nadelstich der Amerikaner - zumal die USA es nicht für nötig gehalten hatten, Russland von der geplanten Raketenabwehr rechtzeitig in Kenntnis zu setzen.

Auswirkungen bis zum Kaukasus

Zum anderen kritisiert Moskau, dass die Nato-Staaten im Gegensatz zu Russland den erneuerten KSE-Vertrag von 1999 noch nicht ratifiziert haben. Dies trifft zu, allerdings verweisen die Mitglieder des Bündnisses darauf, dass sie den Vertrag unterschreiben würden, sobald Moskau seine Truppen aus Georgien und Moldawien vollständig abgezogen hat. Dies hatte Moskau bereits vor Jahren zugesagt. Russland wiederum sieht seine Soldaten in der Gegend als Faustpfand für seinen Einfluss im Kaukasus und als Druckmittel gegen eine Stationierung amerikanischer Truppen in Rumänien und Bulgarien.

Unvergessen ist in Russland auch, dass die Nato im Zuge der Osterweiterung des Bündnisses immer näher an die russische Grenze heranrückte. Auch faktisch hat die Allianz durch die Beitritte Polens, Tschechiens und Ungarns im Jahr 1999 sowie von Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, der Slowakei und Slowenien im Jahr 2004 ihre politische und militärische Schlagkraft kräftig ausgebaut.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Putins Vorstoß in erster Linie innenpolitischen Zielen dient

Nicht zuletzt wirft Moskau dem Westen vor, den Kreml durch seine Kritik am undemokratischen Regierungsstil Putins und der Lage der Bürgerrechte in Russland politisch schwächen zu wollen.

All diese Punkte zusammengenommen haben in Russland zu wachsender Missstimmung geführt und den ausgeprägten russischen Nationalstolz verletzt. Nun scheint Putin zu glauben, dies nicht länger hinnehmen zu müssen.

Auch faktisch hat sich die außenpolitische Lage in den vergangenen Jahren zunehmend zu Gunsten Russlands verändert: Die Amerikaner haben durch die militärischen Einsätze in Afghanistan und Irak ihre Armee bis an den Rand der Leistungsfähigkeit geführt. Russland hingegen konnte durch ein Erstarken seiner Wirtschaft und den Verkauf von Öl und Gas seine Machtposition ausbauen.

Leitmotiv für die kommenden Wahlen

Putin hat diese neue Stärke Russlands bereits in seiner Rede zur Lage der Nation erkennen lassen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz griff er dieses Jahr die USA rhetorisch sogar direkt an. Die Aussetzung des KSE-Vertrages dient nun ebenfalls dem Ziel, außenpolitisch wieder auf Augenhöhe mit den USA zu kommen, in der Welt wieder ernst genommen zu werden. Darüber hinaus lässt sich - so das Kalkül Putins - vielleicht sogar ein Keil zwischen die Europäer treiben, die sich an der markigen Außenpolitik Bushs teilweise ebenfalls stoßen.

Vor allem aber kann Putin durch seine kraftvollen Auftritte in der Außenpolitik von den innenpolitischen Missständen in seinem Land ablenken und die neue antiamerikanische Rhetorik vielleicht sogar zu einem Leitmotiv für die kommenden Parlamentswahlen im Dezember und bei der Präsidentschaftswahl im März 2008 ausbauen. Die Aussetzung des KSE-Vertrages dient vor diesem Hintergrund nur als Mittel zum Zweck.

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