Kruzifix-Debatte:Alles, was recht ist

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Mit ihrer Kruzifix-Äußerung hat die designierte Ministerin Özkan eine alte Debatte wiederbelebt. Gerichtsurteile geben ihr recht - doch ihr Chef sagt "Basta!" und Özkan entschuldigt sich brav.

Das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bewegte 1995 die Nation - und vor allem die Union: Weil die Richter die bayerische Regelung für verfassungswidrig erklärten, nach der in jedem Klassenzimmer ein Kreuz zu hängen hatte, bebten viele Konservative.

In vielen Klassenzimmern hängen die Kruzifixe noch. (Foto: Foto: AP)

Seitdem ist das Thema aber mitnichten vom Tisch - auch weil es in jedem der 16 Bundesländer unterschiedlich geregelt ist und das Kreuz noch immer an vielen Wänden hängt.

Da braucht es nur eine neue Verwaltungsvorschrift, ein Gerichtsurteil oder - wie jetzt - Äußerungen einer Politikerin, und die Kreuze sind wieder in den Schlagzeilen.

Ausgerechnet eine CDU-Nachwuchshoffnung, die designierte niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan, sagte jetzt in einem Interview, dass religiöse Symbole an staatlichen Schulen nichts zu suchen hätten. "Die Schule sollte ein neutraler Ort sein", so Özkan - und zog sich damit den Unmut der Parteifreunde zu.

Da hilft auch nicht, dass Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff einfach "Basta!" sagt. Am Montag verkündete er, die Sache sei passé. Nach einer "breiten Debatte in der CDU-Landtagsfraktion" habe Özkan akzeptiert, dass Kruzifixe an niedersächsischen Schulen "willkommen und gewünscht" sind. Und fügte hinzu: "Sie trägt diese Linie mit und damit ist das Thema für uns erledigt."

Özkan entschuldigte sich offenbar sogar vor der Landtagsfraktion für die Interview-Äußerungen, berichtet eine Zeitung. Sie habe das Interview voreilig und ohne ausreichende Kenntnisse des Landes Niedersachsen gegeben, zitiert die Welt Özkan unter Berufung auf Teilnehmer der Sitzung.

Dass die unbotmäßige Neu-Ministerin genau das Gleiche sagte wie das Bundesverfassungsgericht, nutzte ihr nichts. Vor allem aus der eigenen Partei hagelte es Kritik. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe findet, das Kreuz habe in Schulen selbstverständlich seinen Platz, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff distanzierte sich von Özkans Haltung und die Schüler-Union forderte sie gar auf, ihr Amt nicht anzutreten.

Von der Empörung, die der Deutschtürkin aus der Schwesterpartei CSU entgegenschallt, nicht zu reden - diese hatte auch schon vor 15 Jahren die Entscheidung der Verfassungsrichter aufs Schärfste angegriffen. Dabei schreckten die Christsozialen damals vor haarsträubenden Formulierungen nicht zurück.

Der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair erklärte, die Entscheidung rüttele "an den Grundfesten unseres demokratischen, abendländischen Staates"; der CSU-Landtagsabgeordnete Karl Freller, ehemals als katholischer Religionslehrer tätig, orakelte, nun müssten "50.000 Kreuze auf den Scheiterhaufen". Bayerische Katholiken organisierten Massendemonstrationen. Das Ehepaar, dass die Kruzifix-Frage vor das Verfassungsgericht brachte, erhielt Morddrohungen.

Die Landesregierung konterte mit einem neuen Gesetz, welches das Urteil quasi ad absurdum führt. Danach sind Kreuze weiterhin in bayerischen Pflichtschulen vorgeschrieben - jedoch nur, solange sie niemanden stören. Erheben Eltern eines Schülers Einspruch, muss das Kruzifix abgehängt werden.

Damit hat sich zumindest in Bayern wenig geändert, denn nur etwa zwanzig Mal pro Jahr besteht jemand auf die Entfernung des Symboles. Vielleicht hängen jetzt sogar mehr Kreuze als in den neunziger Jahren. Wie nicht wenige Lokalzeitungen während des Kruzifix-Streites berichteten, hatten viele Schulen die Kreuze gar nicht hängen - was erst während der Debatte aufgefallen war.

Parallele Kreuz und Kopftuch

Die Frage von religiösen Symbolen in Klassenzimmern schlug seitdem immer wieder hohe Wellen, auch weil es nicht mehr nur um das christliche Kreuz, sondern immer öfter um das muslimische Kopftuch geht.

Gerne wird hier in der Diskussion ein Unterschied gemacht: Das Kreuz gilt als akzeptabel, das Kopftuch keineswegs.

Zum Beispiel wurde in Hessen gegen das Kopftuchverbot eine Klage eingereicht, obwohl es gar keinen konkreten Fall gab. Der Staatsgerichtshof entschied: Die Regelung sei verfassungsgemäß, da sie religiöse Kleidung im Allgemeinen betreffe. Ein zu auffälliges Kreuz sei genauso verboten wie ein muslimisches Kopftuch.

Ums Kruzifix an der Wand ging es dann wieder im Februar 2010, als die Stadt Düsseldorf es in seinen Gerichtssälen abhängte. Auch dagegen liefen Christdemokraten rhetorisch Sturm. Politisch hielt sich die Landesregierung raus: Es sei Sache der jeweiligen Verwaltungseinheit.

2009 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein "Kruzifix-Urteil" und kam auf die gleiche Regelung wie die deutschen Richter. Religiöse Symbole in Schulen verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Klägerin war in diesem Fall eine italienische Mutter.

Ob Kreuz oder Kruzifix, die designierte Ministerin Özkan hat eine klare Linie: Sie hat in ihren Interviews am Wochenende klargemacht, dass sie jegliche religiöse Symbole in staatlichen Schulen ablehnt.

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