Kroatischer General vor UN-Tribunal:Nationalheld oder Kriegsverbrecher?

In Den Haag steht Ante Gotovina vor Gericht. Der Ex-General soll Tausende Serben gewaltsam aus Kroatien vertrieben haben - in seiner Heimat gilt er vielen immer noch als Held.

Kata Kottra

Lange befand sich das UN-Tribunal nicht mehr im Fokus des allgemeinen Interesses. Das letzte Mal blickte die Welt im März 2006 zum Jugoslawien-Tribunal nach Den Haag, als als der wegen Kriegsverbrechen angeklagte ehemalige serbische Staatspräsident Slobodan Milošević noch vor der Urteilsverkündung in der Haft verstarb.

Ante Gotovina bei seiner Verhaftung in Spanien im Dezember 2005. Kurz darauf wurde er nach Den Haag ausgeliefert.

Ante Gotovina bei seiner Verhaftung in Spanien im Dezember 2005. Kurz darauf wurde er nach Den Haag ausgeliefert.

(Foto: Foto: AFP)

Heute beginnt wieder ein aufsehenerregender Prozess vor dem Kriegsverbrechertribunal. Mit Ante Gotovina steht erstmals ein prominenter kroatischer Befehlshaber der Jugoslawienkriege vor Gericht. Das ist deshalb bemerkenswert, weil dem Tribunal wiederholt übermäßige Milde gegenüber nicht serbischen Angeklagten vorgeworfen worden war.

Zusammen mit dem 52-jährigen Gotovina sind zwei weitere ehemalige kroatische Befehlshaber angeklagt: Der ehemalige Garnisonskommandeur Ivan Čermak und der frühere Polizeigeneral Mladen Markač.

Den drei hohen Militärs wird vorgeworfen, in der zweiten Jahreshälfte 1995 "ethnische Säuberungen", also gewaltsame Vertreibungen in der mehrheitlich von Serben besiedelten, aber zu Kroatien gehörenden Region Krajina durchgeführt zu haben.

Gotovina gilt als Hauptverantwortlicher - ein Mann mit schillerndem Lebenslauf: 1955 auf der kroatischen Insel Pašman geboren, ging er früh zum Militär - allerdings nicht zum jugoslawischen. In den siebziger Jahren diente er in der französischen Fremdenlegion, kehrte aber Anfang der neunziger Jahre auf den Balkan zurück. Als Kroatien 1991 seine Unabhängigkeit erklärt hatte, schlug die Stunde des Ante Gotovina: Innerhalb weniger Jahre stieg er zum Oberbefehlshaber der kroatischen Truppen auf.

In dieser Eigenschaft plante und führte Gotovina 1995 auch die "Operation Sturm" (auf Kroatisch: "Oluja") durch: Die international nicht anerkannte "Republik Serbische Krajina" war Ende 1991 als Reaktion auf die Unabhängigkeitserklärung Kroatiens ausgerufen wurden und kontrollierte bis 1995 etwa ein Drittel der Fläche Kroatiens - ein Umstand, den Gotovinas Truppen mit der "Oluja-Mission" brutal änderten.

Der Haager Anklage zufolge ließen kroatische Militärs schon vor Beginn der Offensive Nachrichten von einem bevorstehenden Angriff verbreiten, was zu einer Massenflucht der serbischen Bevölkerung führte. Die Rede ist von bis zu 200.000 entwurzelten Zivilisten.

Die Kampfhandlungen begannen schließlich am 4. August 1995 und wurden am 7. August offiziell abgeschlossen. Der militärische Widerstand der Serben war bald gebrochen; das wurde auch darauf zurückgeführt, dass die kroatischen Truppen unter anderem von der Nato aufgerüstet worden waren.

Um sicherzugehen, dass die serbische Bevölkerung der Krajina nicht zurückkehrt, wurde serbisches Eigentum systematisch geplündert und zerstört. "Kolonnen von Plünderern wurden beobachtet, wie sie mit leeren Händen in gewisse Ortschaften gingen und diese vollbeladen mit Haushaltsgegenständen, persönlichem Eigentum und sogar Haustieren beladen, wieder verließen", so die Anklageschrift.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Gotovina bei vielen Kroaten trotzdem hoch angesehen ist.

Nationalheld oder Kriegsverbrecher?

Gotovinas Soldaten zogen umher und zündeten die serbische Höfe, Häuser und Geschäfte an, serbische Städte und Dörfer wurden teilweise dem Erdboden gleichgemacht. Noch heute sind einige dieser verheerten Ortschaften zu sehen. Mindestens 37 Menschen wurden der Anklageschrift zufolge ermordet.

Ante Gotovina kroatien

Demonstration in Zagreb nach der Verhaftung Ante Gotovinas. In seiner Heimat gilt der wegen Kriegsverbrechen angeklagte Gotovina weiterhin als Nationalheld.

(Foto: Foto: AFP)

Dafür müssen sich Gotovina und die beiden anderen Ex-Generäle nun in Den Haag verantworten, doch dem ging ein langes, diplomatisches Gezerre voraus.

Denn in seiner Heimat wird Gotovina von großen Teilen der Bevölkerung weiterhin als Nationalheld verehrt: Ein Idol, weil er die territoriale Einheit des unabhängigen Kroatiens wiederhergestellt und den aus der Krajina von den Serben vertriebenen ethnischen Kroaten die Rückkehr ermöglicht hat, so heißt es.

Deshalb wollten die kroatischen Behörden Gotovina lange nicht ausliefern. Die Auseinandersetzungen um seine Auslieferung an das Den Haager Kriegsverbrechertribunal hatten jahrelang die Beziehungen zwischen Kroatien und der Europäischen Union belastet. Die damalige Den Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte hatte Kroatien im Juni 2005 vorgeworfen, sich nicht energisch genug für die Verhaftung und Auslieferung Gotovinas einzusetzen.

Der Vorwurf der mangelnden Zusammenarbeit aus Den Haag führte zu einer verzögerten Aufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien. Anfang Oktober 2005 hatte Del Ponte überraschend ihre Einschätzung geändert und bescheinigte den Kroaten die "volle Zusammenarbeit" mit dem UN-Tribunal; daraufhin wurden die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien aufgenommen.

Zwei Monate später wurde Ante Gotovina auf der spanischen Insel Teneriffa festgenommen und wenig später an das UN-Tribunal ausgeliefert. In Kroatien demonstrierten daraufhin Zehntausende für seine Freilassung.

Während in der heutigen, halbstündigen Sitzung des Tribunals nur auf Verfahrensfragen eingegangen wurde, sollen morgen die Anklagepunkte von Alan Tieger als Vertreter der Anklage vorgestellt werden. Dieser will 112 Zeugen zur Unterstützung der Anklage aufrufen.

Es gilt als wahrscheinlich, dass sie Gotovina schwer belasten werden.

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