Kroatien:Morde im Dunkeln

Seit 1946 haben Killer des jugoslawischen Geheimdienstes Experten zufolge allein in Deutschland mehr als 60 Exilanten ermordet. Allein zwischen 1970 und 1989 wurden in der Bundesrepublik 22 Exil-Kroaten getötet. Viele der Mörder leben noch. Doch Zagreb blockiert die Auslieferung der mutmaßlichen Verbrecher.

Von Florian Hassel und Frederik Obermaier

Der Erste war Marijan Simundic. Er starb in der Nähe von Stuttgart, sein Mörder hatte sechs Mal abgedrückt. Hrvoje Ursas Leiche wurde aus der Fulda gezogen. Josip Senic wurde von zwei Kugeln durchlöchert, dann schnitt ihm sein Mörder die Kehle durch. Auf Stjepan Durekovic schoss der Mörder, dann schlug er ihm den Schädel ein.

Insgesamt 22 Exil-Kroaten wurden zwischen 1970 und 1989 in der Bundesrepublik ermordet. Sie sind die Opfer eines blutigen Krieges, der jahrzehntelang auf deutschem Boden tobte. Es ist ein Krieg, der bis heute nicht aufgearbeitet ist. Ein Krieg, der die junge Mitgliedschaft Kroatiens in der Europäischen Union überschattet.

Bis zum Freitagabend antwortete die kroatische Regierung nicht auf ein Ultimatum der EU-Kommission. Justizkommissarin Viviane Reding droht dem Neu-Mitglied mit Sanktionen, sollte Zagreb weiter verhindern, dass ein per EU-Haftbefehl gesuchter mutmaßlicher Mörder und anderer Verbrecher ausgeliefert werden. Zu diesem Zweck erließ das kroatische Parlament Tage vor dem EU-Beitritt des Landes am 1. Juli eigens ein Gesetz. Das allerdings widerspricht sowohl EU-Recht als auch Kroatiens Beitrittsvertrag zur EU.

In einem Brief vom 29. Juli, der der SZ in Kopie vorliegt, setzte Reding Kroatiens Justizminister eine Frist bis zum 23. August, um "mit einem klaren Zeitplan" verbindlich zu erklären, wie und wann Kroatien das Gesetz revidiere. Dies müsse spätestens bis zum frühen Herbst geschehen. Andernfalls werde die Kommission auf Grundlage von Artikel 39 des Beitrittsvertrages "alle Handlungsmöglichkeiten überprüfen, die ihr zur Verfügung stehen", um den Vertragsbruch zu ahnden.

Es gibt eher symbolische Möglichkeiten, wie den Ausschluss kroatischer Justizbeamter von EU-Fortbildungen, aber auch handfeste wie die Kürzung oder der Stopp von EU-Fördergeld: Das sind allein 2013 gut eine Milliarde Euro - viel Geld für das in einer tiefen Rezession steckende, hoch verschuldete Land mit gerade 4,4 Millionen Bürgern und einem Staatshaushalt von insgesamt nicht einmal 20 Milliarden Euro.

Am Montag dieser Woche drohte Reding bereits offen, dass Kroatien "nur einen eingeschränkten Zugang zu den Mitteln aus EU-Fonds" hätte, wenn es nicht nachgebe. Der Justizkommissarin geht es bei der Kraftprobe mit Zagreb ums Prinzip: der Unantastbarkeit von EU-Recht. Vielen Exil-Kroaten in Deutschland geht es um die Mörder ihrer Väter, Brüder und Cousins. Kaum einer der Anschläge in Deutschland wurde je aufgeklärt. Und falls doch, leben die mutmaßlichen Täter oder Hintermänner meist unbehelligt in den Nachfolgestaaten Jugoslawiens.

"Bekämpfung der feindlichen Emigration"

Josip Perkovic etwa lebt in Zagreb, in der Pantovcak-Straße 194a, sein Name steht an der Klingel. Dabei wird der 68-Jährige von der Generalbundesanwaltschaft gesucht. Auf seine Ergreifung sind 12 000 Euro Belohnung ausgesetzt. Denn der einstige Offizier des Geheimdienstes Udba, so der Verdacht, soll einst einen Killer auf Stjepan Durekovic angesetzt haben. Der Ex-Manager des jugoslawischen Erdölunternehmens INA veröffentlichte als Flüchtling im bayerischen Wolfratshausen Schriften wie "Der Kommunismus - ein einziger Betrug!". Für das kommunistische Jugoslawien war das Hochverrat.

Auftraggeber war Tito, Träger des höchsten deutschen Verdienstordens

Am 14. Dezember 1982, so steht es in einem 118 Seiten langen Urteil des Münchner Oberlandesgerichts von 2008, ordnete der "Rat für die Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung" der jugoslawischen Teilrepublik Kroatien die "Liquidierung" Durekovics an. Josip Perkovic leitete die für Auslandsmorde zuständige Abteilung "Bekämpfung der feindlichen Emigration" im kroatischen Geheimdienst. Der Mörder, den er beauftragt haben soll, überraschte den 57-jährigen Durekovic in dessen Garage. Die Leiche hatte Einschüsse an der rechten Hand, Armen und Rücken, sein Schädel war eingeschlagen. Wieder war ein Kritiker des jugoslawischen Regimes beseitigt worden.

Seit 1946 haben jugoslawische Geheimdienstkiller Experten zufolge allein in Deutschland mehr als 60 Exilanten ermordet. Die Bundesrepublik versuchte, die jugoslawische Führung unter dem jahrzehntelangen Staatschef Josip Broz Tito dazu zu bringen, das Morden zu stoppen - ohne Erfolg. Tito, der laut dem Münchner Oberlandesgericht bis zum seinem Tod 1980 "allein" die Morde in Deutschland befahl, bekam als umworbener Staatschef des blockfreien Landes auf dem Balkan 1974 vom damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann die Sonderstufe des Großkreuzes, Deutschlands höchsten Verdienstorden.

Neben der Fahndung nach Ex-Geheimdienstmann Perkovic führt die Generalbundesanwaltschaft derzeit "mehrere Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beschuldigte". Namen nennt die Behörde nicht. Auch Angehörige vieler Mordopfer wollen "ihre Namen nicht in der Öffentlichkeit sehen, wollen öffentlich nicht über damals reden", sagt ein Opferanwalt. Dennoch liegt nahe, welche Morde die deutschen Ermittler bis heute beschäftigen.

Viele fürchten weiter den langen Arm der einstigen Hintermänner

Radko Obradovic, der Herausgeber des Emigrantenblattes Iskra, wurde 1969 in München auf offener Straße erschossen. Wenig später wurde der Zeitschriften-Herausgeber Nahid Kulenovic erschlagen in der Badewanne seiner Münchner Wohnung gefunden. Der kroatische Aktivist Nikola Milicevic wurde 1980 von zwei Schützen im Frankfurter Ostend niedergestreckt. 1983 fanden Passanten Duro Zagajski, ein Mitglied des Geheimbundes "Kroatische Revolutionäre Bewegung", mit zertrümmertem Schädel im Münchner Fasanengarten. Und so weiter.

Alle Opfer waren Dissidenten, kritisierten Jugoslawiens Regime oder hatten - in einigen Fällen mit Waffen - für eine unabhängige Republik Kroatien gekämpft. Immer führte die Spur der Mörder zum jugoslawischen Geheimdienst. Längst ist Jugoslawien untergegangen, Kroatien ein unabhängiger Staat. Doch viele Angehörige fürchten weiter den langen Arm der einstigen Hintermänner.

Seit Kroatien am 1. Juli EU-Mitglied wurde, müsste die Regierung per Haftbefehl gesuchte Bürger wie Perkovic im Zuge der Rechtshilfe zwischen EU-Ländern ausliefern. Eigentlich. Denn laut dem wenige Tage vor dem EU-Beitritt verabschiedeten Gesetz sollen nur Kroaten, die nach 2002 ein Verbrechen im EU-Ausland begangen haben, ausgeliefert werden. Laut der Zagreber Tageszeitung Jutarnij List schützt das Gesetz derzeit etwa 20 in der EU gesuchte mutmaßliche Verbrecher. Vor allem aber ist die "Lex Perkovic" ein Persilschein für die Hintermänner der Morde an Exil-Kroaten - und eben für Perkovic, der in Kroatien unter Präsident Franjo Tudjman den neuen Geheimdienst mit aufbaute und es bis zum Vize-Verteidigungsminister brachte. Sohn Sasa ist seit 2005 der Sicherheitsberater des kroatischen Präsidenten.

Josip Perkovic sagte jüngst, er wisse so einiges über "viele wichtige Leute in Kroatien". Das war eine unverhohlene Drohung. Es erstaunt vor diesem Hintergrund nicht, dass der sozialdemokratische Premier Zoran Milanovic in einem Interview mit Jutarnij List vor wenigen Tagen keinerlei Bereitschaft signalisierte, das Gesetz aufzuheben. Doch es gibt in der kroatischen Regierungskoalition auch andere Meinungen: Außenministerin Vesna Pusic etwa ist bereit, in der Causa Perkovic nachzugeben.

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