Kritik der Opposition:"Der Berg kreißte und gebar eine Maus"

Federal election in Germany

Die Linken-Politikerin Katja Kipping ist mit dem Sondierungsergebnis nicht einverstanden.

(Foto: REUTERS)
  • Das Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD und Union stößt auf erste Kritik.
  • Die Grünen bezeichnen die Pläne zur Flüchtlingspolitik als unmenschlich und die Klimapolitik als zu lasch.
  • Sozialverbände begrüßen aber die geplante Rückkehr zur Beitragsparität in der gesetzlichen Krankenversicherung.
  • EU-Kommissionschef Juncker sowie Frankreichs Präsident Macron, Österreichs Kanzler Kurz und Italiens Ministerpräsident Gentiloni beglückwünschen Merkel.

Der erfolgreiche Abschluss der Sondierungen zwischen SPD und Union stößt auf geteiltes Echo.

"Dieses ganze GroKo-Papier atmet ein 'Weiter so'", monierte die Bundestagsabgeordnete Katrin Göring-Eckardt kurz nach ihrer Wiederwahl zur Grünen-Fraktionsvorsitzenden in Berlin. Die große Koalition habe offensichtlich keine Ambitionen, irgend etwas voranzubringen. "Wenn jetzt jemand das hervorragend nennt bei dem, was da auf dem Zettel steht, dann ist es auch Unehrlichkeit in der Politik."

Auch andere Grüne haben sich tief enttäuscht geäußert. "Ohne uns werden die Klimaziele krachend verfehlt, und ohne uns greift die Unmenschlichkeit in der Flüchtlingspolitik weiter um sich", erklärte die Vizepräsidentin des Bundestags Claudia Roth. Insbesondere rügte Roth die Migrationspolitik. Der Beschluss zum Familiennachzug sei "gleich doppelt grausam, wenn die völlig inhumane Aussetzung zunächst verlängert wird und dann allenfalls tausend Schutzbedürftige pro Monat nachziehen sollen". Nach dem Willen der drei Parteien CDU, CSU und SPD soll der Zuzug von Flüchtlingen die Zahl von 180 000 bis 220 000 pro Jahr nicht überschreiten. Der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus soll eng begrenzt werden.

"Bisschen Geben, bischen Nehmen. Unterm Strich bleibt wenig übrig", kommentierte Grünen-Chefin Simone Peter auf Twitter das 28-seitige Sondierungspapier, das Kanzlerin Angela Merkel als "Papier des Gebens und Nehmens" bezeichnet hatte.

"Gut, dass wir denen mit dieser Haltung nicht zur Macht verholfen haben" - so reagiert wiederum FDP-Chef Christian Lindner auf die Grünen. Ihre Kritik an der Flüchtlings- und Klimapolitik zeige, "wie viel Ideologie bei denen im Spiel ist". In einem wackeligen im Auto aufgenommenen Video bezeichnet Lindner den Kompromiss als "Aufguss der alten GroKo". Zwar sei das Ergebnis "besser als befürchtet", aber das sei "nicht genug, um Deutschland ins nächste Jahrzehnt zu führen".

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel bewertete die Kompromisse in der Rentenpolitik als "leider schlimmer als erwartet". Unter anderem hat die SPD die Solidarrente durchgesetzt, die vor Altersarmut schützen soll. Die Sondierer hätten "wieder bloß teure Wünsche addiert", kommentierte Vogel. Kommentierer weisen als Reaktion auf seinen Post darauf hin, dass die FDP die Möglichkeit gehabt habe, bessere Politik zu machen, wenn sie nicht die Sondierungen mit Union und Grünen zum Platzen gebracht hätte.

Auch Linken-Chefin Katja Kipping kann dem Ergebnis erwartungsgemäß wenig abgewinnen. "Der Berg kreißte und gebar eine Maus", sagte Kipping in Berlin. Klar sei, dass die Republik in die letzte Runde mit Kanzlerin Angela Merkel gehe. Die Linke wolle die Chance für Veränderungen nutzen. Sowieso gebe es noch keine endgültige Klarheit, weil SPD-Chef Martin Schulz noch seine Basis überzeugen müsse.

Auf einem Sonderparteitag in Bonn am 21. Januar werden die SPD-Delegierten darüber entscheiden, ob das Führungspersonal der Partei die Verhandlungen mit der Union aufnimmt. Sollten diese Verhandlungen erfolgreich verlaufen, müsste schließlich noch die SPD-Basis in einem Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag abstimmen.

Sozialverbände begrüßen Einigung zu Krankenkassen-Beiträgen

Die frauenpolitische Sprecherin der Linken Cornelia Möhring reagierte auf einen Tweet von CSU-Verhandlerin Dorothee Bär. Diese hatte ein Bild des Abschlusspapiers geteilt, auf das sich die Sondierer geeinigt hatten - mit dem Kommentar "Noch ganz warm...". Möhring schreibt dazu auf Twitter, dafür werde das Papier "wahrscheinlich vor sozialer Kälte heftig klirren".

Sozialverbände haben allerdings zumindest die von Union und SPD geplante Rückkehr zur Beitragsparität in der gesetzlichen Krankenversicherung begrüßt. Im Abschlusspapier der Sondierungen heißt es, dass im Falle einer Neuauflage der großen Koalition die Krankenkassenbeiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezahlt werden. Auch SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach zeigt sich darüber zufrieden. Bei der Bürgerversicherung habe die SPD jedoch gar nichts erreicht. CDU und CSU seien nicht bereit gewesen, hier auch nur das kleinste Zugeständnis zu machen. Unter dem Strich erhalte das Papier aber seine klare Zustimmung, sagte Lauterbach.

Glückwünsche von Nachbarländern und EU

Der Chef der EU-Kommission Jean-Claude Juncker meldete sich von einer Bulgarienreise mit Glückwünschen zu Wort: "Das ist ein sehr erheblicher, positiver, konstruktiver, zukunftsorientierter, zielführender Beitrag zur europapolitischen Debatte. Ergo bin ich vollumfänglich zufrieden", sagte Juncker über das Sondierungspapier, das einen zentralen Fokus auf EU-Politik legt. Mehr als hundertvierzig Zeilen haben CDU, CSU und SPD im 28-seitigen Abschlusspapier der Sondierungen ihren europapolitischen Zielen gewidmet.

Der italienische Ministerpräsident Paolo Gentiloni hat den Durchbruch bei den Sondierungen für eine große Koalition in Deutschland begrüßt. Die Einigung zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Martin Schulz sei "eine gute Nachricht für Europa", twitterte der Sozialdemokrat.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den Durchbruch als "gute Nachrichten" begrüßt. Er sei "glücklich und zufrieden", dass Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Bildung einer Koalitionsregierung voranschreiten könne, sagte Macron in Paris. Das vorläufige Ergebnispapier sei "dem europäischen Projekt geneigter" als das, was bei "Versuchen Ende des Jahres" festgehalten worden sei, sagte Macron bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz. "Ich freue mich über diese Fortschritte." Macron hofft für seine Vorschläge zur weitreichenden Reform der EU auf eine enge Partnerschaft mit Deutschland.

Auch Kurz wünschte Merkel, dass es gelingt, zügig eine Regierung zu bilden. "Das ist gut für Deutschland, gut für Nachbarn wie Österreich und vor allem gut für die Europäische Union."

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