Kritik an Röslers Reform:Prügel für den Gesundheitsminister

"Ein System zum Abkassieren der gesetzlich Versicherten" und eine "Riesenschweinerei": Politiker, Krankenkassenvertreter und Gewerkschafter schimpfen in seltener Einigkeit auf die Gesundheitsreform.

Etikettenschwindel, Mogelpackung, gesundheitspolitischer Scherbenhaufen - die Reaktionen auf den Gesundheitskompromiss der schwarz-gelben Regierung sind nicht sehr positiv. Nun kritisiert auch die Gewerkschaft Verdi die Beschlüsse als "sozial unausgewogen". "Die FDP entlarvt sich erneut als Partei der Besserverdiener und Merkel macht sich zu deren Handlanger", sagte Verdi-Chef Frank Bsirske der Frankfurter Rundschau.

Koalition verständigt sich auf Gesundheitsreform

Hat gerade nur wenige Fans: Gesundheitsminister Philipp Rösler im Bundestag.

(Foto: dpa)

Steigende Zusatzbeiträge belasteten vor allem Arbeitnehmer, Niedriglöhner, Rentner und Studierende. "Damit macht Schwarz-Gelb den Weg frei, über Zusatzbeiträge steigende Kosten im Gesundheitswesen künftig allein von den schwächeren Schultern tragen zu lassen."

Eine düstere Prognose kommt aus Bayern - ausgerechnet vom Vorstandschef der dortigen AOK. Helmut Platzer sieht in der Gesundheitsreform von Schwarz-Gelb das Ende der solidarischen Krankenversicherung. "Die Kostensteigerungen werden künftig allein die Versicherten zu tragen haben, mit einem nach oben hin offenen Zusatzbeitrag. Dies ist das Ende der solidarischen Krankenversicherung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern", sagte er dem Straubinger Tagblatt/Landshuter Zeitung.

Die solidarische Krankenversicherung sei "ein Erfolgsmodell, das seit Jahrzehnten den sozialen Frieden in Deutschland mit gesichert hat". Nach Ansicht Platzers ist noch vollkommen offen, ob und wie der Zusatzbeitrag durch den krankheitsorientierten Finanzausgleich (Morbi-RSA) ausgeglichen wird. Komme es nicht zum Ausgleich, fehle den großen Krankenkassen das Geld für die Versorgung der Kranken.

"Die vollkommen unsinnige Jagd auf gesunde Mitglieder lohnt sich dann wieder, ­ für die Qualität der Gesundheitsversorgung ist dies äußerst abträglich." Zugleich kritisierte der AOK-Chef den bürokratischen Aufwand beim Zusatzbeitrag. "Wenn wir acht Euro erheben, gehen ja schon zwei für die Verwaltung ab, das ist doch alles schon berechnet. Gleichzeitig sind ja die Verwaltungskosten gedeckelt, keiner weiß, woher das Geld kommen soll."

Auch der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Klaus Wowereit (SPD) hat die geplante Beitragserhöhung in der gesetzlichen Krankenversicherung scharf kritisiert. "Das ist eine riesige Belastung und eine Riesenschweinerei", sagte Berlins Regierungschef im Sender 94,3 rs2. Die schwarz-gelbe Regierung habe das Signal gegeben, "dass alle anderen Probleme, die jetzt noch kommen mögen, immer durch neue Beitragserhöhungen bezahlt werden. Und dies dann nicht hälftig durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern einseitig durch die Arbeitnehmer."

Die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Bundestages, Carola Reimann (SPD), sagte im ARD-"Morgenmagazin", der Beschluss sei eine "Bankrotterklärung" der Koalition. Die Beitragszahler würden einseitig belastet. "Da werden forsch die Versicherten gleich zweimal abkassiert: Einmal über eine allgemeine Erhöhung des Beitragssatzes, und dann noch über ungebremste Zusatzbeiträge. Auf der anderen Seite werden frech Lobbyinteressen vertreten: Keine Einschränkung bei den Ärzten, bei den Apothekern, beim Großhandel, nirgends." Es gebe "eine große Unwucht" im Paket von Rösler, kritisierte Reimann.

Die mecklenburgische Gesundheitsministerin Manuela Schwesig (SPD) warf Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vor, die eigentlichen Probleme im Gesundheitswesen nicht anzurühren. "Was die Regierung hier vorgelegt hat, ist nahezu ausschließlich ein System zum Abkassieren der gesetzlich Versicherten", sagte sie der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung. Ärztemangel und Prävention würden nicht angegangen.

Der so gescholtene Rösler dagegen verteidigte seine Reform. Für die Menschen sei sichergestellt, dass man langfristig ein finanzierbares Gesundheitssystem habe, sagte er in der ARD. Mit den Zusatzbeiträgen in beliebiger Höhe ist laut Rösler der Einstieg in ein System mit einkommensunabhängigen Beiträgen geschafft.

Seltene Einigkeit

Die Koalitionspolitiker beweisen in diesen Tagen seltene Einigkeit - sie verteidigen den Kompromiss. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) bezeichnete die Anhebung der Krankenkassenbeiträge als alternativlos. An den steigenden Kosten im Gesundheitssystem würden nicht allein die Versicherten, sondern auch die Wirtschaft beteiligt, sagte Müller dem Hamburger Abendblatt. Es sei sinnvoll, dass die Krankenkassen nun höhere Zusatzbeiträge erheben könnten.

"Die Unterschiedlichkeit der Kritik spricht dafür, dass ein vertretbarer Mittelweg gefunden worden ist", sagte Müller. Ohne die vereinbarten Schritte würde sich die Qualität der Gesundheitsversorgung verschlechtern. Für eine grundlegende Gesundheitsreform sieht Müller vorerst keine Chancen.

Dies sieht der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn (CDU) anders: Er kündigte in der Welt weitere Reformgesetze noch in diesem Jahr an. "Wir werden im Herbst weitere Reformen angehen. Dabei geht es um das Verhältnis von Ärzten und Krankenhäusern, um die Finanzierung der Krankenhäuser, um die ärztliche Versorgung auf dem Land und um die Gestaltungsfreiheiten von Krankenkassen", sagte Spahn.

Auch in den nächsten Jahren werde es Anpassungsbedarf im Gesundheitswesen geben, so Spahn. Die jetzt gefundene Lösung werde das Gesundheitssystem aber "dauerhaft" prägen. Spahn sprach von einem "fairen Paket" aus Beitragserhöhungen und Einsparungen, das angesichts des erwarteten Milliarden-Defizits der Krankenkassen nötig sei.

Nach monatelangem Streit um die Gesundheitspolitik hatte sich die schwarz-gelbe Koalition am Dienstag auf die künftige Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen geeinigt. Ausgabensteigerungen sollen ab 2011 über die Versicherten durch Zusatzbeiträge finanziert werden, die die Kassen selbst bestimmen können. Der Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung soll 2011 von derzeit 14,9 Prozent wieder auf 15,5 Prozent angehoben werden. Die Kosten für die Arbeitgeber steigen dabei auf 7,3 Prozent, sollen aber auf dieser Höhe festgeschrieben werden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: