Kritik an Integrationspolitik der Regierung:Lieber Geld statt schöne Worte

Innenminister Thomas de Maizière räumt zwar Integrationsmängel ein - doch die Reue geht Kritikern nicht weit genug. Der Paritätische Wohlfahrtsverband wirft der Bundesregierung Scheinheiligkeit vor.

Es wird fleißig diskutiert in Deutschland über die Thesen von Thilo Sarrazin. Die Bundesregierung will beim Thema Integration nun handeln: Mit einem Programm will sie die Eingliederung von Ausländern verbessern. Im Mittelpunkt des von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) vorgestellten Programms, das am Mittwoch in Berlin vom Kabinett gebilligt wurde, stehen Bildung und Sprachförderung von Migranten.

Seit bald einem Jahr Bundesinnenminister: Christdemokrat Thomas de Maizière CDU

Innenminister Thomas de Maizière lehnt eine Kindergartenpflicht ab, schlug aber vor, eine Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis von der Teilnahme an einem Integrationskurs abhängig zu machen.

(Foto: AFP)

De Maizière räumte Versäumnisse der Politik ein, die das Problem "teilweise auf die leichte Schulter genommen" habe. Dies habe sich aber in den vergangenen Jahren auch dadurch geändert, dass sich die großen Volksparteien dem Thema angenommen hätten.

Insgesamt zog der CDU-Politiker eine durchwachsene Bilanz der Eingliederungsbemühungen der vergangenen Jahre. "Wir präsentieren hier keine Erfolgsbilanz, sondern ein differenziertes Bild der Wirklichkeit." Vor dem Hintergrund der Debatte um das Buch von Bundesbankvorstand Sarrazin bezeichnete de Maizière das Programm als "Beitrag zur Sachlichkeit".

"Wunden heilen, nicht noch Eiter hinein träufeln"

Zwar gebe es gesellschaftliche und politische Versäumnisse; mit Blick auf die jüngste Polemik fügte er hinzu, die politische Aufgabe bestehe aber darin, "Wunden zu heilen und nicht noch Eiter hinein zu träufeln". Als vordringliche Aufgabe bei der Integration nannte de Maizière das Erlernen der Sprache. Rund 1,1 Millionen Migranten in Deutschland sprächen "nicht ausreichend Deutsch", also unter dem niedrigsten Niveau des Sprachtests der Integrationskurse.

15 Prozent der Migranten verließen die allgemeinbildenden Schulen ohne Abschluss gegenüber 6,2 Prozent der Deutschen. Die Zahl der integrationsunwilligen Migranten liege zwischen zehn und 15 Prozent. Jeder Achte tut sich mit dem deutschen Alltag also schwer. Mit Blick auf die Äußerungen Sarrazins betonte de Maizière jedoch, dass dies nicht nur Muslime betreffe. Der größte Teil der Migranten aus aller Welt sei "außerordentlich integrationswillig".

"Wie gut Migranten unsere Sprache sprechen, das entscheidet über ihren Erfolg in unserer Gesellschaft", hob Regierungssprecher Steffen Seibert hervor. Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Albert Schmid, forderte mehr Lehrer mit Migrationshintergrund. Es müsse verstärkt um Lehramtskandidaten mit Migrationshintergrund geworben werden, so wie vor Jahrzehnten um Lehrer aus dem Arbeitermilieu geworben wurde. Die Kritik der Opposition an der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), wies de Maizière als "gänzlich unberechtigt" zurück. Böhmer sei bei der Vorstellung des Programms deswegen nicht dabei, weil sie sich derzeit in Kanada aufhalte.

SPD und Grüne hatten zuvor die Ablösung Böhmers gefordert. Die Opposition warf der Regierung Versagen bei der Integration der hier lebenden Ausländer vor und verlangten deshalb den Rücktritt der Integrationsbeauftragten. "Frau Böhmer ist im Amt der Integrationsbeauftragten eine krasse Fehlbesetzung", sagte der SPD-Rechts- und Innenexperte Sebastian Edathy. Der innenpolitische Sprecher der SPD im Bundestag, Dieter Wiefelspütz, nannte Böhmer "eine Frühstücksdirektorin, mit der sich keine handfeste Integrationspolitik verbindet". Auch der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Memet Kilic, monierte, Böhmer sei "nicht die Richtige, um die anstehenden Herausforderungen in der Integrationspolitik zu meistern".

Das unter der Federführung des BAMF erarbeitete Integrationsprogramm unterbreitet Vorschläge für die Weiterentwicklung der Angebote von Bund, Ländern, Kommunen und freien Trägern. Schwerpunkt ist dabei die Bildung. Das Programm geht auf die Empfehlungen der Zuwanderungskommission aus dem Jahr 2001 zurück.

Der insgesamt positiven Bilanz des Innenministers zur Integrationspolitik widersprach der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrsverbandes, Eberhard Jüttner, entschieden: "Es ist scheinheilig, einerseits über die angeblich mangelnde Integrationsbereitschaft von Migranten zu klagen, wenn andererseits nicht einmal genug Geld zur Verfügung gestellt wird, damit alle, die ihre Deutschkenntnisse verbessern wollen, dies auch tun können", kritisierte Jüttner. Zwar sei das Integrationskonzept inhaltlich zu begrüßen, doch müsse sich die Bundesregierung nach Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit fragen lassen, wenn sie nicht die notwendigen Mittel für die Umsetzung bereitstelle, sagte er. "Statt über vermeintliche Integrationsunwilligkeit und schärfere Sanktionierung zu diskutieren, brauchen wir endlich mehr Verbindlichkeit und Verlässlichkeit in der deutschen Integrationspolitik. Deutschland kann es sich nicht leisten, tausende Menschen desintegriert im Regen stehen zu lassen", so der Verbandsvorsitzende. Unter dem Dach des Paritätischen Wohlfahrtsverbands haben sich mehr als 100 Migrantenorganisationen zusammengeschlossen.

Der Vorsitzende des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) sagte der Nachrichtenagentur AFP: Das Programm biete "nichts Neues unter der Sonne, aber die Richtung stimmt".

"Wir brauchen für die Zukunft weniger Proklamationen und mehr sichtbare Umsetzung", fügte er allerdings hinzu. Die DGB-Vizevorsitzende Ingrid Sehrbrock kritisierte, das deutsche Bildungswesens halte "zu wenig Angebote für erfolgreiche Integration bereit". Es mangele an Kinderkrippen, Ganztagsschulen und Plätzen in Integrationskursen. Ähnlich äußerte sich der Bremer Migrationsforscher Stefan Luft: Es fehle an ausreichend "Gelegenheitsstrukturen vor Ort" für Migranten, deutsch zu sprechen. Das sei auch eine Frage der Mischung und des "Lastenausgleichs" in Städten, wo deutsche Familien Schulen mit hohen Migrantenzahlen mieden.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte einen weiteren Integrationsgipfel für November an.

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