Kritik an Horst Seehofer:Der Kardinal und die Moral

Warum sich Joachim Meisner mit seinen Attacken auf den CSU-Politiker zum doktrinären Sittenwächter macht.

Matthias Drobinski

Neun Monate bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, gingen die Geschichten über den schwulen SA-Führer Ernst Röhm durch die Presse der Weimarer Republik. Kurt Tucholsky, den die Nazis später ins Exil und in den Suizid treiben sollten, empörte das: Röhms Politik sei zwar zu bekämpfen, doch sein "Empfindungsleben" spiele dabei keine Rolle.

Diese Haltung hat sich in Deutschland leidlich gehalten: Ein Politiker wird an seiner Politik gemessen, nicht daran, mit wem er sein Bett teilt. Wenn nun der Kölner Kardinal Joachim Meisner meint, Horst Seehofer sei wegen einer außerehelichen Beziehung zum CSU-Vorsitzenden ungeeignet, bricht er mit dieser Haltung.

Man könnte jetzt platterweise Politikern zur öffentlichen Retourkutsche raten: Welches Liebesleben sollte welchen katholischen Geistlichen aus welchem Amt treiben? Doch Meisners Einlassung rührt tiefer an das Verhältnis von Politik und Christentum.

Kompromisse schließen, aber um die Wahrheit ringen

In den Vereinigten Staaten ist diese Frage weitgehend im Meisner'schen Sinne beantwortet. Christlich einwandfrei ist dort ein Politiker, dessen Ehefrau sich an ihn schmiegt, dessen Kinder schlechte Gesellschaft meiden, der vom Wert der Familie redet. Der sonntägliche Kirchgang dieses politreligiösen Gesamtkunstwerks versteht sich von selbst.

Es stimmt: Eine glückliche Ehe samt glücklicher Kinder ist ein Geschenk, und es gibt schlimmere Dinge, als in die Kirche zu gehen. Dies aber zum Maßstab des Politischen zu machen, ist doktrinär. Es dient der Doppelmoral, nicht der Moral. Es ist zudem unmenschlich, sich derart zum Richter eines Lebens aufzuschwingen, und damit auch unchristlich.

Das Christliche in der Politik ist etwas anderes. Es ist mühsam zu leben, weshalb auch die Christsozialen, deren Vorsitzender Seehofer werden will, nicht so gerne davon reden. Das Christliche begrenzt die Politik und den Politiker. Ein christlicher Politiker weiß, dass er Macht nicht um der Macht willen hat. Er soll Dinge durchsetzen, aber er muss sich die Fremdheit gegenüber einem Betrieb bewahren, der die Durchsetzungskraft heiligt.

Er soll Kompromisse schließen, aber trotzdem um die Wahrheit ringen. Sein Maßstab müssen die Menschen sein, umso mehr, je schwächer sie sind - und nicht der Fraktionszwang, die Parteilinie, die gute Presse. Dieses Christliche gefährdet eine Politikerkarriere mehr als ein uneheliches Kind oder das Bekenntnis, homosexuell zu sein.

Dieses Christliche aber entwertet der Kölner Kardinal. Er handelt ja nicht seelsorglich, wie der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke. Hanke ließ in einem persönlichen Brief erklären, dass Politiker Vorbild sein sollten, und ja: Horst Seehofer hat das Bild des braven Familienvaters gepflegt, was ihm politisch nützte.

Meisner aber handelt als Sendbote eines neuen Sittenwächtertums, das hohl bleiben muss, weil die Gesellschaft nicht mehr so funktioniert, wie er sich das vorstellt. Jesus hatte ein Herz für die Scheiternden; der Kardinal hat es nicht.

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