Kritik an François Hollande:Präsident der halben Sachen

Frankreichs Präsident François Hollande

Frankreichs Präsident François Hollande tritt anderen ungern auf die Füße - auch nicht wenn es darum geht, politische Ziele durchzusetzen.

(Foto: dpa)

Abwarten, zaudern, lavieren: Nicht nur im Fall des Roma-Mädchens Leonarda verärgert Präsident Hollande die Franzosen mit Kehrtwenden und faulen Kompromissen.

Von Lilith Volkert

Wer nichts sagt, selten Partei ergreift und in geeigneten Momenten schnell die Meinung ändert, kann sehr erfolgreich ein Land regieren. Angela Merkel hat mit dieser Politik gerade den größten Wahlsieg ihrer Karriere errungen. Auch der französische Präsident François Hollande ist ein versierter Aussitzer. Doch im Gegensatz zu Merkel, die im Zweifel Freund wie Feind am ausgestreckten Arm verhungern lässt, holt sich Hollande damit regelmäßig eine blutige Nase.

Sein Lavieren am Wochenende - er bot dem ausgewiesenen Roma-Mädchen Leonarda an, alleine nach Frankreich zurückzukommen, ohne die Abschiebung ihrer Familie zu verurteilen - zeigt einen Charakterzug, der seine Präsidentschaft von Beginn an geprägt hat. Hollande, der jahrelang als Parteichef der Sozialisten zwischen zerstrittenen Flügeln vermittelte, tritt anderen nicht gerne auf die Füße. Was ihn als Menschen zwar sympathisch macht, als Präsidenten aber zunehmend lähmt. Auch zur massiven Bespitzelung der Franzosen durch die NSA fanden Außenminister Fabius und Premierminister Ayrault die deutlichsten Worte, und nicht der Präsident.

"Er wird eine Entscheidung treffen müssen, bei der halbe Sachen - die große Spezialität Hollandes - unmöglich sind", kommentiert der konservative Figaro den Fall Leonarda. Auch die linke Liberation kritisiert die Konzeptlosigkeit der Sozialisten in der Einwanderungspolitik. Die Franzosen sehnen sich nach klaren Ansagen. Innenminister Manuel Valls, dessen harte Linie gegenüber den Roma sich kaum von der Politik der rechten Vorgängerregierung unterscheidet, ist inzwischen der beliebteste Regierungspolitiker. Hollande hingegen hat einen neuen Negativrekord aufgestellt. Nur 24 Prozent der Franzosen sind mit seiner Politik einverstanden, wie eine aktuelle Umfrage des Instituts Ipsos belegt.

Hollande wollte "normal" sein - und sonst?

Dabei hatte es eine Zeit lang so ausgesehen, als hätte Hollande mit seinem alten Spitznamen "Flanby" (ein Pudding) auch sein Schluffi-Image abgestreift. Im Wahlkampf nahm er deutlich ab, trug elegantere Kleidung, trat bestimmter auf. Als Präsident wirkt er jedoch seltsam hölzern, als spielt er eine Rolle, die nicht in seiner Natur liegt.

Hollande war als "normaler" Präsident angetreten und konnte sich so im Wahlkampf wunderbar von seinem hyperaktiven Vorgänger Sarkozy abheben. Dafür hat er den Franzosen nie erklärt, wofür er steht. Entsprechend wankelmütig regiert er. Nach der Wahl senkte er - zumindest für bestimmte Personen - das von Sarkozy angehobene Renteneintrittsalter, nun will er die Beitragszeiten verlängern. Eine schon fest eingeplante Unternehmensteuer hat die Regierung Anfang Oktober zurückgenommen. Immer wieder versucht Hollande es allen Seiten recht zu machen und bringt damit alle gegen sich auf.

Dabei hat der Sozialist durchaus Wahlversprechen gehalten: Er setzte die Homo-Ehe inklusive Adoptionsrecht gegen massiven Widerstand durch, er versucht hartnäckig eine Reichensteuer von 75 Prozent durchzuboxen. Als er Anfang des Jahres französische Truppen nach Mali schickte, um die Islamisten aus dem Land zu vertreiben, lobten nicht nur die Franzosen seine Entschlossenheit.

Dass davon so wenig im Gedächtnis bleibt, mag auch daran liegen, dass Hollande seine Politik oft ungeschickt verkauft. Ende August verkündete er eine "Steuer-Pause", deren Erleichterungen aber frühestens in ein bis zwei Jahren zu spüren sein werden. Zur gleichen Zeit bekamen die Franzosen ihre aktuellen - ziemlich gepfefferten - Steuerbescheide.

Nie warm geworden mit den Franzosen

Ende September verkündete das Arbeitsministerium, dass die Arbeitslosigkeit zum ersten Mal seit zwei Jahren zurückgegangen war - Hollandes oberste Priorität im Wahlkampf. Wenig später musste man einräumen, dass die Zahl wegen einer technischen Panne kleiner ausgefallen war als in Wirklichkeit: Arbeitslose, die sich nicht rechtzeitig zurückgemeldet hatten, waren einfach aus dem Register gestrichen worden. Die Opposition sprach von "Manipulation".

Zudem konnte sich Frankreich zwar aus der Rezession befreien, rechnet aber mit einem neuen Schuldenrekord. Im kommenden Jahr sind Kommunal- und Europawahlen, und der Sieg eines rechtsextremen Politikers bei einer Nachwahl im Süden Frankreichs sowie die hohen Umfragewerte des Front National verheißen nichts Gutes für Hollande.

Glaubt man Experten, liegen die Gründe für die Antipathie der Franzosen tiefer: Hollande scheint niemals richtig warm geworden zu sein mit den Menschen, die ihn am Abend seiner Wahl auf der Pariser Place de la Bastille wie den Messias gefeiert haben. Er tue sich schwer, nicht nur Inhalte zu vermitteln, sondern auch eine emotionale Verbindung aufzubauen, sagt der Kommunikationsberater Denis Pingaud. Hollande vernachlässige den Kontakt zu den Franzosen, die Bedeutung von Gesten sei ihm nicht bewusst.

Die Schriftstellerin Claire Gallois sinniert im Magazin Le Point bereits, es sei doch keine Schande, die eigenen Grenzen zu erkennen und die Konsequenzen daraus zu ziehen. Sie legt François Hollande als Vorbild einen Mann ans Herz, den dieser immer sehr geschätzt hat. Und der freiwillig den Hut nahm, als ihm das Amt über den Kopf wuchs: Benedikt XVI.

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