Kritik an der Türkei:Erdoğan hat "seinen Zenit überschritten"

Demonstrationen auf Taksim-Platz

Allein auf dem zentralen Taksim-Platz in Istanbul versammelten sich am Freitagabend tausende Regierungsgegner. Sie skandierten "Regierung, tritt zurück" und "Korruption ist überall".

(Foto: dpa)

Die Entwicklungen in der Türkei werden in der EU mit zunehmender Sorge beobachtet. Scharfe Kritik an Ministerpräsident Erdoğan äußert etwa der CDU-Europapolitiker Elmar Brok, der vor instabilen Zeiten warnt. Außenminister Steinmeier wählt diplomatischere Worte.

Nachdem die Polizei am Freitagabend mit großer Härte gegen Tausende regierungskritische Demonstranten in Istanbul vorgegangen ist, hat sich die Lage in der Türkei beruhigt. Trotzdem blieben die Polizisten auf ihren Posten. Auslöser für die Proteste ist ein Korruptionsskandal, der das Land erschüttert und bis in das Umfeld von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan reicht. Der Regierungschef weist noch immer jegliches Fehlverhalten zurück und spricht von einer Verschwörung gegen ihn.

Angesichts der Korruptionsaffäre und der neuerlichen Proteste wächst die Besorgnis in Europa. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier fordert Aufklärung. "Wir vertrauen auf die Kraft des türkischen Staates, dass die im Raum stehenden Korruptionsvorwürfe ohne Ansehen der Person aufgeklärt werden", sagte der SPD-Politiker der Bild am Sonntag. "Das zu gewährleisten, ist Bewährungsprobe für jede auf Rechtsstaatlichkeit bauende Politik."

Nach Ansicht des CDU-Europapolitikers Elmar Brok steuert die Türkei auf sehr unsichere, instabile Zeiten zu. Er glaube, dass Ministerpräsident Erdoğan "seinen Zenit überschritten hat", sagte Brok in einem am Samstag ausgestrahlten Interview des Deutschlandfunks. Erdoğan versuche, "alle Mittel einzusetzen", um an der Macht zu bleiben. Wichtig sei jetzt, dass die Türkei nicht in einen islamistischen Prozess gerate. Dafür sollte das Land nach Ansicht von Brok wirtschaftlich enger an die Europäische Union heranrücken und ihr Rechtssystem reformieren.

Auch der für die EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara zuständige EU-Kommissar Stefan Füle verfolgt die Entwicklung in der Türkei "mit zunehmender Besorgnis". In einer Erklärung erinnerte Füle die Türkei an ihre Pflichten als Beitrittskandidat und forderte die Regierung auf, "alle nötigen Schritte zu unternehmen, damit die Vorwürfe von Rechtsverletzungen ohne Benachteiligung oder Bevorzugung transparent und unparteiisch aufgeklärt werden". Die von der Regierung beschlossenen Änderungen der Polizeiarbeit hätten "die Unabhängigkeit der Justiz und deren Handlungsfähigkeit untergraben", heißt es in der Erklärung.

Der Korruptionsskandal erschüttert die Türkei seit zehn Tagen und hat zum Rücktritt von drei Ministern geführt. Einer von ihnen hatte auch Erdoğan zum Amtsverzicht aufgefordert. Bei den Ermittlungen geht es unter anderem darum, ob gegen Schmiergeld illegale Baugenehmigungen erteilt und Handelssanktionen gegen den Iran unterlaufen wurden. Erdoğan hat die Ermittlungen als "dreckige Operation" gegen seine Regierung mit Hintermännern im In- und Ausland bezeichnet.

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