Kritik an der Aufarbeitung:Opfer sexuellen Missbrauchs attackiert Grüne

  • Das ehemalige Opfer eines pädophilen Mitglieds der Grünen übt scharfe Kritik an der Aufarbeitung des Umgangs mit dem Thema durch die Partei.
  • Ingo Fock wirft den Grünen Verharmlosung vor. Er fordert sie auf, einzugestehen, dass eine entsprechende Ideologie befördert wurde.
  • Er kritisiert zudem, die Regeln eines Anhörungsbeirats lasse dem Bundesvorstand das letzte Wort und schütze die Opfer nicht ausreichend.

Von Stefan Braun, Berlin

Die Grünen werden die Debatte um ihre Rolle und Mitverantwortung beim Treiben von Päderasten in ihrer Partei in den siebziger und achtziger Jahren nicht los. In einem Brief an die Parteiführungen in Berlin und im Bund, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, übt ein Opfer scharfe Kritik am Umgang der Partei mit der Tatsache, dass damals in ihren Reihen einzelne Mitglieder, aber auch Netzwerke von Päderasten offen den Sex mit Kindern propagierten und sich für eine Abschaffung des entsprechenden Strafrechtsparagrafen einsetzen konnten, ohne sofort Widerspruch und Gegenwehr zu ernten.

Der heute 51-jährige Ingo Fock bezeichnet das bisherige Verhalten der Grünen als "glatten Hohn". Die Parteiführung versuche, Opfer nur dann als Opfer grüner Parteiakteure oder auch nur grüner Versäumnisse anzuerkennen, wenn der Missbrauch in einem "institutionellen Verantwortungszusammenhang", also beispielsweise am Rande von Parteiveranstaltungen und unter Duldung von Gremien stattgefunden habe.

Eine für Tausende Kinder verheerende Ideologie

Fock, der Anfang der siebziger Jahre in die Fänge des Berliner Päderasten und späteren Grünen Fred Karst geriet und in dessen Umfeld vielfach missbraucht wurde, hält das für eine schwere Verharmlosung. Statt sich von solchen Leuten zu trennen, hätte die Alternative Liste (so hießen die Grünen damals in Berlin) eine "Ideologie" befördert, die für Tausende von Kindern verheerende Folgen gehabt habe. "Die Lebenslüge der Grünen" sei es, dass sie ihre Rolle bis heute verklausuliere und banalisiere.

Die Berliner Grünen hatten im Mai einen Bericht über die damalige Lage im Landesverband vorgestellt. Parteichefin Bettina Jarasch sprach danach von Scham und grünem Versagen. Die Autoren des Berichts hatten auch mit Fock gesprochen. Dessen Kenntnisse waren aber nicht eingeflossen. Dabei liefert Fock konkrete Hinweise, die den Blick auf Täter und Netzwerke schärfen könnten. Auch deshalb hat er nun einen Brief geschrieben. Fock leitet inzwischen selbst einen Verein für Opfer von sexuellem Missbrauch.

Wer als Opfer anerkannt wird, entscheidet der Bundesvorstand der Grünen

Geärgert hat sich Fock aber auch über die Vorbereitungen für einen Anhörungsbeirat der Bundespartei. Nach dem diese ihre Geschichte zunächst durch den Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter hatte aufarbeiten lassen, hat sie inzwischen einen Anhörungsbeirat ins Leben gerufen. Er soll - die Vertraulichkeit schützend - den Opfern Gehör geben und mögliche Entschädigungsansprüche prüfen.

In den Regeln des Beirats finden sich allerdings zwei Stellen, die Fock aufstoßen. So heißt es, dass dann, wenn sich der Beirat, dem auch unabhängige Experten und Opfer-Anwälte angehören, nicht einigen kann, der Bundesvorstand abschließend entscheide, ob jemand als Opfer anerkannt werde. Und daneben findet sich bei der Vertraulichkeitsvereinbarung der Passus, dass die Bundespartei die Vertraulichkeit auch ohne Absprache brechen dürfe, wenn zuvor der Betroffene, und sei es anonym, an die Öffentlichkeit gehe. Fock und andere interpretieren das als Möglichkeit, die Opfer zu erpressen, bloß nicht selbst an die Öffentlichkeit zu gehen.

Aus der Bundespartei hieß es am Donnerstag allerdings, man nehme diese Kritik ernst und werde die kritisierten Formulierungen noch einmal überdenken. Offenkundig ist auch ihr dieses Thema inzwischen viel zu heikel, um derartige Kritik zu ignorieren.

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