Kritik an der AfD:Eierwerfer ohne Argumente

Man muss die Alternative für Deutschland nicht mögen, um festzustellen, dass sie im Wahlkampf auf unfaire Weise verteufelt wurde. Doch Wegbeißen und Eierwerfen sind die falschen Methoden im Umgang mit den Europa-Gegnern. Die EU braucht Kritik - gerade aus Deutschland.

Ein Kommentar von Thomas Kirchner

Noch ist es etwas früh für eine Bilanz des Europawahlkampfs, aber eines lässt sich feststellen: Ganz fair ging es nicht zu. Die europakritische Alternative für Deutschland (AfD) wurde ausgegrenzt, teilweise regelrecht diffamiert. Das nützt niemandem, schon gar nicht Europa.

Man muss keinerlei Sympathie für die AfD hegen, um zu diesem Befund zu kommen. Man muss nur registrieren, was gesagt und geschrieben wurde. Dass SPD-Chef Sigmar Gabriel die Leute um Bernd Lucke "ideologisch verblendet" und deshalb "gefährlich" nennt, ist Gabriel-Polemik. Weniger verständlich ist, dass die meisten Medien, wenn sie überhaupt berichten über die AfD, überwiegend damit beschäftigt sind, braune Flecken zu suchen, die Partei zu demaskieren, sie ohne jegliche inhaltliche Auseinandersetzung in die Schmuddelecke zu schieben.

Mitunter hat das komische Züge, etwa wenn der Spiegel allen Ernstes meint, am "Kaninchenstall", dem "holzbraunen" Schreibtisch und der "Oma-Tischdecke" bei Luckes zu Hause lasse sich die wahre Gesinnung dieses Mannes ablesen. Ein typisches Interview mit Lucke umfasst zwei Fragen: "Sind Sie Rechtspopulist?" und "Würden Sie mit Marine Le Pen oder Geert Wilders zusammenarbeiten?". Dass Lucke beides verneint, ist egal, die Fragen sind Antwort genug. Auf der Titelseite der taz prangte denn auch ein Lucke-Foto neben Le Pen und Wilders als Teil der "neuen reaktionären Internationalen".

Es nützt nichts, die AfD nur als rechtspopulistisch zu verteufeln

Sicher, die AfD lädt ein zu Pauschalurteilen. Sie hat dubiose Figuren in ihren Reihen und wollte sogar Thilo Sarrazin einspannen, ihr Familienbild ist antiquiert, ihre außenpolitischen Ideen, speziell zur Ukraine, sind verquer, und Lucke hat die Begriffe "entartet" und "Entartung" in der politischen Debatte verwendet, was idiotisch und unentschuldbar war. Das alles verdeckt die Kernbotschaft dieser Partei, die ja der Grund ihres Erfolges ist.

Was Lucke, der Hamburger Wirtschaftsprofessor, zu Europa sagt, deckt sich mit Mahnungen, die seit Jahren in Wissenschaft und Publizistik kursieren: Der Euro funktioniere nicht, Europa reguliere zu viel, das ganze Projekt sei auf die schiefe Bahn geraten. Das zu äußern, ist legitim. Und auch wenn diese Position von einer zweifelhaften Truppe eingenommen wird, gebührt ihr ein Platz auf dem politischen Markt. Das könnte die anderen Parteien zu etwas zwingen, das fehlt in der Europa-Debatte: Klarheit und Mut.

Wer sich der Herausforderung durch die AfD ernsthaft stellt, muss Fragen beantworten, vor denen sich viele drücken: Wohin soll das schlingernde Schiff Europa steuern? Wie viel Europa brauchen, wie viel wollen wir? Und warum ist der Nationalismus, den Lucke und Co. predigen, wieder so populär?

Europa braucht Kritik, um stärker zu werden

Das Phänomen der bürgerlichen Protestpartei ist neu in Deutschland, das kann erklären, warum man der AfD hauptsächlich mit Wegbeißen, Eierwerfen oder dem Zerstören von Plakaten begegnet. Anderswo hat man gelernt, dass sich die neue Konkurrenz nicht einfach wegwünschen lässt.

Als der Populist Pim Fortuyn 2002 in die Politik kam, reagierten die niederländischen Altparteien und Medien fast hysterisch. Inzwischen wird offener über Probleme geredet, die die Populisten ansprechen - doch alle gemeinsam rufen Stopp, wenn es Wilders gar zu doll treibt.

Auch in der Schweiz haben die Gegner der konservativen SVP gemerkt, dass sie Volksabstimmungen allein durch die ritualisierte Verteufelung von SVP-Vordenker Christoph Blocher nicht gewinnen können. Das fördert nur das Wir-gegen-euch-Gefühl.

Unangenehme Kritiker zu dämonisieren, statt bessere Argumente zu liefern, ist politische Faulheit. Es läuft nicht rund in der EU. Wie eine Pflanze den Wind braucht, um stärker zu werden, braucht Europa Kritik - gerade aus Deutschland.

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