Krise in Kärnten:Haiders Schattenreich

Jörg Haider ist tot, sein System aus Untreue und Bestechlichkeit aber ist lebendiger denn je. Doch statt einen echten Neuanfang zu wagen, droht im hochverschuldeten Kärnten, dem Heimatland der Freiheitlichen, ein Flächenbrand. Es wird abgerechnet, jeder gegen jeden.

Cathrin Kahlweit, Klagenfurt

Jörg Haider

Der Kärtner Sonnenkönig 2003 auf einer Harley-Davidson: Bis heute wirkt das System Haider in der FPÖ nach.

(Foto: dpa)

Jörg Haider hängt nach wie vor im Vorzimmer. Dabei könnte man doch meinen, er sei mittlerweile eine persona non grata, selbst in Kärnten. Doch er lacht - das Haar flott gegelt, den Ehering demonstrativ ins Fotografenlicht gereckt - weiterhin von der Wand im Büro des Gerhard Dörfler, auf dass dieser daran erinnert werde, wem er seinen Job zu verdanken hat.

Seine Partei, die Kärntner Freiheitlichen (FPK), ein Ableger der rechtspopulistischen FPÖ, scheut sich zwar derzeit, ihre Bewunderung für den verstorbenen Anführer zu demonstrieren. Denn zuletzt war ein Schatten auf das Bild Haiders gefallen. Vom System Haider ist in Österreich die Rede und davon, dass der schillernde Landeshauptmann (Ministerpräsident) einst einen Selbstbedienungsladen aufgezogen habe, der seinesgleichen sucht und dessen Verstrickungen bis heute nachwirken.

Aber Gerhard Dörfler ist dankbar, nach wie vor. Viele hätten sich einst "in Haiders Sonne bewegt", sagt er und kann seine Aggression auf jene, die den FPÖ-Gründer und seine "grandiose Lebensleistung besudeln", kaum verhehlen. Nein, auf seinen Vorgänger lässt er nichts kommen. Vielleicht, weil es ihm nützt, dass notorische Fans bis heute sagen, beim nächsten Mal würden sie ihn wieder wählen: "den Jörg". Auch wenn der seit vier Jahren tot ist. Vielleicht ist die FPÖ in Kärnten ja auch deswegen in Umfragen immer noch stärkste Partei - obwohl sich mancher Kärntner fern der Heimat mittlerweile geniert zu erzählen, woher er kommt. Und obwohl einige Korruptionsfälle, mit denen man sich in Wien herumschlägt, bei Kärntner FPÖ-Politikern ihren Ursprung haben.

Vor genau vier Jahren wurde der gelernte Bankkaufmann Dörfler nach dem Unfalltod seines Vorbilds zum Landeshauptmann von Kärnten gewählt. Und weil er kein Talent zum Volksverführer, vielleicht auch nicht zum Volksverhetzer hatte, wie es Jörg Haider unbestreitbar besaß, verlegte er sich auf die Rolle des Biedermannes, hinter dem ab und zu, wenn er sich provoziert fühlt, der Brandstifter aufscheint. Zurzeit tourt der FPÖ-Politiker durch das so schöne wie hoch verschuldete und tief zerstrittene Kärnten und gibt den Volksversteher; sogar auf die slowenische Minderheit ist er zugegangen, was unter Haider undenkbar gewesen wäre.

Rechtspopulisten wollen Abstimmung im Landtag boykottieren

Denn die Freiheitlichen müssen stolze 45 Prozent verteidigen, wenn, voraussichtlich am 3. März, vorgezogene Neuwahlen stattfinden. Dass früher gewählt wird, wie es SPÖ, ÖVP und Grüne in neuer Einigkeit wollen, werden die Rechtspopulisten an diesem Donnerstag zum zehnten Mal zu verhindern wissen, indem sie bei der Abstimmung über eine Auflösung des Landtages den Saal verlassen und damit die nötige Zweidrittel-Anwesenheit der Abgeordneten torpedieren. Die FPÖ setzt darauf, dass bis zum März auch die Korruptionsskandale anderer Parteien, etwa der SPÖ, stärker im Bewusstsein der Öffentlichkeit gelandet sind.

Gut möglich, dass diese Strategie nicht aufgeht. Gut möglich, dass Dörfler und einige seiner Leute gar nicht mehr antreten mögen - oder dürfen. Denn gegen den Landeshauptmann selbst, aber auch gegen die Landesräte für Finanzen (Harald Dobernig) und für Arbeit (Kurt Scheuch) sowie gegen dessen Vorgänger (seinen Bruder Uwe Scheuch) wird ermittelt, unter anderem wegen Untreue, Bestechlichkeit, versuchter Geldwäsche, Beamtenbeleidigung.

In jener Causa, in der eine vom Land finanzierte Wahlkampfbroschüre bis in kleinste Details der Wahlwerbung des BZÖ (so hieß die Haider-Partei zwischenzeitlich) glich, sind die Ermittlungen fast abgeschlossen, eine Anklage ist laut Korruptionsstaatsanwaltschaft im neuen Jahr wohl zu erwarten. Allein Dörfler hat laut Staatsanwalt Erich Mayer zwei weitere aktuelle Verfahren am Hals. Ex-Landesrat Uwe Scheuch ist in erster Instanz verurteilt; er und sein Bruder, Großbauern mit deutschnationalem Hintergrund, gelten als eigentliche Strippenzieher in der Partei. Landesrat Dobernig, blass, nervös, rhetorisch am ganz rechten Rand der Partei fischend, steht ebenfalls juristisch unter Druck. All das erschwert die Strategie der Freiheitlichen, sich als Opfer einer "parteipolitisch motivierten Justiz" (Uwe Scheuch), einer "Medienhetze" (Uwe Scheuch) und einer "linken Einheitspartei" (Dörfler) zu inszenieren.

Um das kränkelnde politische System in Kärnten mit seinen Abhängigkeiten und Verführungen zu verstehen, muss man vielleicht wissen, dass es hier noch eine sogenannte Proporzregierung gibt: Alle Parteien, die mindestens zehn Prozent der Stimmen erringen, dürfen Vertreter in die Regierung entsenden (die Hürde wurde mittlerweile auf fünf Prozent gesenkt). Also ist es mit checks und balances nicht weit her, in Klagenfurt sitzen FPK, SPÖ und ÖVP gemeinsam an den Hebeln der Macht; in der Vergangenheit haben Sozialdemokraten und Christdemokraten mit den Freiheitlichen koaliert. Nur die Grünen sind Kern-Opposition.

In Kärnten wird jetzt abgerechnet

Von jetzt an aber soll nichts mehr so sein, wie es war. Nur: Wer sorgt dafür, und wer meint es ehrlich? Kärnten im Herbst 2012 ist ein Bundesland im Kulturkampf. Offener Hass schwelt, Drohungen gegen politische Feinde werden ausgestoßen. Alte Seilschaften sind aufgebrochen, neue Allianzen werden geschmiedet.

Letzter Funke für diesen Flächenbrand war das mittlerweile legendäre Geständnis des Steuerberaters Dietrich Birnbacher, der wegen Untreue vor Gericht gestanden hatte. Er gab zu, im Zuge des Verkaufs der Hypobank an Bayern einen Teil seines restlos überhöhten Beratungshonorars von sechs Millionen Euro weitergereicht zu haben - an den Parteichef der Kärntner ÖVP, Josef Martinz. Später seien dann auch die FPK-Politiker Uwe Scheuch und Harald Dobernig wegen eines Anteils von 500.000 Euro für ihre Partei vorstellig geworden. Haider selbst habe zuvor sogar Anspruch auf eine Million erhoben, dazu sei es aber wegen seines Todes nicht mehr gekommen. Birnbacher wurde zu drei Jahren verurteilt, ein Teil auf Bewährung; Martinz, der öffentlich bereute, sich auf das "System Haider" eingelassen zu haben, zu fünf Jahren Haft.

Nun wird abgerechnet. Jeder gegen jeden. Es geht um ein System, in dem, wenn auch nur die Hälfte aller Vorwürfe stimmt, von abhängigen Firmen, von Anhängern und Lakaien je nach Gusto der Zehnte gefordert wurde, wo man Parteienfinanzierung qua Nötigung erledigte, den Staatshaushalt aufblähte und das Land bis an die Hutkrempe verschuldete.

Wasserträger der Freiheitlichen argumentieren heute mit einer Art Befehlsnotstand - man habe gar nicht anders können, weil Haider solchen Druck ausgeübt habe, oder weil man sonst keine Aufträge bekommen hätte. Haiders selbst ernannter "Lebensmensch" und einer der größten Zyniker der Macht, der BZÖ-Abgeordnete Stefan Petzner, gegen den ebenfalls wegen Untreue ermittelt wird, erklärt lapidar: Er selbst sei nur für die Form, nie für die Inhalte zuständig gewesen. Mitverantwortung? Quatsch.

FPK weist Schuld an Kärntens Misere zurück

Nun also ein Neuanfang? Keineswegs. In der FPK wehrt man wütend ab: Zahllose unbewiesene Vorwürfe, eine erfolgreiche Politik, viele Neider. Dass das Land neben Niederösterreich die höchste Pro-Kopf-Verschuldung hat, dass laut einer Studie im Durchschnitt täglich neun Menschen abwandern, dass der Tourismus stagniert und Arbeitsplätze verloren gehen - alles nicht die Schuld der größten und mächtigsten Regierungspartei.

Der Grüne Rolf Holub, der letztlich dafür gesorgt hat, dass der Fall Birnbacher vor Gericht kommt, kann da nur den Kopf schütteln. Regelmäßig reist er mit einem unterhaltsamen Powerpoint-Vortrag über den Korruptionssumpf und die Hypobank (HGAA), die trotz Verkaufs und Notverstaatlichung aufgrund von Altlasten und Landeshaftungen immer noch eine schwärende Wunde ist, durchs Land und erklärt fassungslosen Menschen, wie mit ihren Steuern umgegangen wurde. Haider und seine Leute hätten immer schon Geld ausgegeben, das nicht da war, sagt Holub, dadurch Macht gekauft und sich durch Unterschleif refinanziert. Aber: "Viele haben profitiert, viele haben zugeschaut. Auch wenn viele Menschen mitmachen bei einem Banküberfall - es bleibt doch ein Banküberfall."

Der neue ÖVP-Chef Gabriel Obernosterer, in der FPK abfällig "Waldmensch" genannt, der das ramponierte Image seiner Partei erneuern soll, analysiert selbstkritisch, dass sich in seinem so schönen wie schwierigen Bundesland eine Kultur eingebürgert habe, in der Korruption "innerlich legalisiert" war. Aber ob es echte Veränderungen im Land geben wird? "Wenn man sich kritisch äußert, ist man immer gleich gegen Kärnten." SPÖ-Chef Peter Kaiser will den "Neustart", steht aber mit drei Genossen wegen Ermittlungen zu verdeckter Parteienfinanzierung rund um eine parteieigene Werbeagentur selbst unter Druck.

Derzeit sagen alle, sie wollten nicht mehr mit der FPK zusammenarbeiten nach der Wahl. Gerhard Dörfler gibt sich gelassen. "Die Kleingruppen werden den Sieger schon nicht vor der Tür stehen lassen." Er könnte schließlich recht behalten, denn zumindest bisher war das so, in Kärnten.

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