Krise in Frankreich:Gärender Groll gegen die Teutonen

Krise in Frankreich: Lange hat Präsident Hollande mit Reformen in Frankreich gewartet. Vielleicht zu lange.

Lange hat Präsident Hollande mit Reformen in Frankreich gewartet. Vielleicht zu lange.

(Foto: AP)

Nach langem Zaudern hat Präsident Hollande mit Reformen in Frankreich begonnen. Nun fordert er von Deutschland zu Recht mehr als die immer gleichen Sparvorgaben. Dem Präsidenten droht mehr als nur Zoff in seiner Partei.

Kommentar von Christian Wernicke

Selten schien der Rhein so breit zu sein wie heute. Frankreich und Deutschland, Europas Erzfreunde, sind sich fremd geworden. Berlin blickt mit Sorge, ja mit Argwohn nach Westen. Immer tiefer versinkt das Nachbarland in einer wirtschaftlichen wie längst auch seelischen Krise. Von der Spree aus betrachtet wirken die Mächtigen in Paris wie Gefangene der eigenen Malaise - unwillig, unfähig, ihre Nation zu erneuern.

Derweil gärt an der Seine der Groll gegen die Teutonen. In die Bewunderung für Deutschlands Erfolg mischt sich Neid. Linke wie rechte Populisten schüren das Sentiment, der übermächtige Partner sei mitverantwortlich für die französischen Probleme. Und leise kriecht der Zorn auch in die Pariser Paläste: Präsident und Regierung beklagen, Frankreich wie ganz Europa drohten zu zerschellen am Starrsinn der eisernen Lady in Berlin.

Paris will aus Berlin Hilfe bei den Reformen, keine Sparvorgaben

Die Kritik an Angela Merkel und an deren unerbittlicher Austeritätspolitik hat soeben Manuel Valls artikuliert, immerhin Frankreichs Premierminister. Der Mann ist, nach Pariser Maßstäben jedenfalls, so etwas wie der Musterschüler deutscher Doktrin. Der Sozialdemokrat zwingt gerade seine sozialistische Partei (PS) auf einen wirtschaftsfreundlichen Reformkurs. Erst vor einer Woche hat er drei widerspenstige Minister aus dem Kabinett geworfen, die ihre Nation lieber nach alter Façon - mehr Bürokratie, mehr Schulden - hatten weiterregieren wollen.

Ausgerechnet dieser Mann war es, der jetzt warnte, Merkels Rezepte könnten Europa erdrücken - und den Kontinent in Deflation und Massenarbeitslosigkeit stürzen. Berlin müsse seine Zügel lockern und helfen, mit milliardenschweren Investitionen die flaue Konjunktur anzukurbeln: "Deutschland kann seiner Verantwortung nicht entkommen", rief Valls unwirsch, "es wird Zeit, dass die deutsche Rechte diese Botschaft versteht!"

Auch Berlin muss investieren

Das ist ein Affront. Nur - unrecht hat der Franzose deshalb nicht. Tatsächlich dümpelt neuerdings ja auch die deutsche Wirtschaft dahin. Die Exporte in kriselnde Nachbarländer befeuern Europas Lokomotive nicht mehr, der Finanzminister kassiert mehr ab, als er ausgibt. Selbst jedweder Staatsverschwendung unverdächtige Stimmen wie der Bundesverband der deutschen Industrie fordern, Berlin müsse die Investitionen für Straßen und Brücken aufstocken.

Erst vorige Woche verlangte eine Reihe von Nobelpreisträgern, Europa (ergo: Berlin) solle das Ruder herumreißen und statt zu sparen das schwache Wachstum mit neuen Ausgaben ankurbeln. Ähnlich äußern sich inzwischen EZB-Präsident Mario Draghi wie IWF-Chefin Christine Lagarde. Sie taten es aus Sorge um Europa und die Weltwirtschaft - nicht etwa, wie so mancher in Berlin mutmaßte, weil sie notorisch spendable Italiener oder Franzosen sind.

Der unpopuläre Präsident setzt alles aufs Spiel

Dennoch, im Kanzleramt lodert der Verdacht, manche EU-Partner - und zumal die sozialistische Regierungstruppe in Paris - wollten dem deutschen Michel nur neue Milliarden aus der Tasche ziehen, statt mit unpopulären Reformen das eigene Haus zu sanieren. Zumindest für Frankreich stimmt das nicht. Nicht mehr. Zwar hat Präsident François Hollande lange, zu lange gezaudert, ehe er seinem Volk Einsparungen zumutete und seine Unternehmen entlastete. Inzwischen aber handelt er. Dafür setzt das unpopuläre Staatsoberhaupt alles aufs Spiel, auch alle Macht. Er riskiert die Rebellion seiner Partei ebenso wie seine Niederlage bei der Präsidentschaftswahl in drei Jahren.

Frankreich fehlt der Rückenwind seiner EU-Partner

Wie niemand sonst hat die Bundesrepublik ein Interesse daran, dass Frankreichs Erneuerung gelingt. Nur leider, Berlin hilft nicht. Außer guten Wünschen und der hohlen Hoffnung, dass Frankreichs Reformen bitte gelingen mögen, hat die Kanzlerin nichts zu bieten. Allenfalls schiebt sie die Ermahnung nach, Paris solle brav und pünktlich bis 2015 sein Haushaltsdefizit auf die magische Drei-Prozent-Marke senken. Dass dies unmöglich ist, weiß man auch in Berlin.

Denn anders als Deutschland, dass zu Zeiten seiner Agenda-Reformen unter Gerhard Schröder vor zehn Jahren von Europas guter Konjunktur profitierte, erhält Frankreich heute keinen Rückenwind von seinen EU-Partnern. Merkel will Hollande erst mit einem Nachlass belohnen, wenn seine Reformen gelingen. Das ist, statt Hilfe in der Not, nur Beistand nach dem Tod. Frankreichs würde in die Rezession abgleiten. Und Hollande wäre gescheitert.

Ja, Frankreich muss sich ändern, sich selbst aufrichten. Und nein, Deutschland kann seinem Nachbarn diese Mühsal nicht abnehmen. Aber Berlin kann und muss helfen. Andernfalls lauert die Aussicht, die deutsch-französische Freundschaft demnächst mit einer so euro- wie germanophoben Präsidentin zu zelebrieren. Sie hieße Marine Le Pen.

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