Aufruhr in Ägypten:Mubaraks Angst vor dem "Marsch der Million"

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Für Ägyptens Präsidenten Hosni Mubarak wird es immer enger: Das Militär nennt die Ziele der Demonstranten "legitim" und will nicht gegen die Bürger vorgehen. Doch das Volk protestiert weiter: Mehr als eine Million Menschen wollen heute auf die Straße gehen - und den Sturz des Regimes fordern.

Tomas Avenarius, Kairo

Ägyptens Armee stellt sich hinter das eigene Volk, aber noch nicht offen gegen Präsident Hosni Mubarak. Die Forderungen der gegen den Staatschef demonstrierenden Regimegegner seien "legitim", sprach ein Armeesprecher am Montag Abend ins Mikrofon. Der Offizier sagte: "An das große ägyptische Volk. Eure Armee anerkennt die rechtmäßigen Forderungen des Volkes. Wir haben keine Gewalt eingesetzt und werden keine Gewalt einsetzen gegen das ägyptische Volk."

Auch am Montag versammelten sich wieder Tausende Regierungsgegner auf dem zentralen Tahrir-Platz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Für Dienstag sind Massenproteste mit mehr als einer Million Teilnehmer angekündigt. (Foto: dpa)

Kurz darauf trat Mubaraks neu ernannter Vizepräsident Omar Suleiman auf: Er kündigte "im Auftrag des Präsidenten" an, dass die Regierung "mit allen politischen Kräften" über notwendige Reformen sprechen werde. Die letzte Parlamentswahl, die Mubaraks Regierungspartei NDP nach massiven Fälschungen mit rund 80 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, sollte überprüft werden, versprach Suleiman.

Ist das die Wende im ägyptischen Machtkampf? Das Aus für Präsident Mubarak, der sich trotz der seit einer Woche anhaltenden Proteste an die Macht klammert? Noch nicht ganz. Doch die Streitkräfte stellten einen Tag vor dem von der Opposition für Dienstag angekündigten landesweiten "Marsch von einer Million Menschen" klar, dass sie nicht auf die Protestierer schießen wollen.

"Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist für alle garantiert", so lange es friedlich ausgeübt werde." Die Streitkräfte sehen die legitimen Rechte des ehrenwerten Volkes und anerkennen sie." Die Hauptforderung der in Kairo, Alexandria und den anderen Städten demonstrierenden Menschen ist eindeutig: "Nieder mit Hosni Mubarak."

Der Machtkampf hatte sich am Montagnachmittag dramatisch zugespitzt. Während Mubarak sein neues Kabinett vereidigte, kündigten die Protestierenden an, am Dienstag eine Million Menschen auf die Straßen bringen zu wollen. Zugleich stellten sie ein "Verhandlungskomitee" zusammen, das mit dem Regime über eine Übergangsregierung verhandeln will.

Die Opposition wird sich einig

Die bisher eher als Einzelkräfte auftretenden Oppositionsgruppen aus den verschiedenen demokratischen Parteien, Jugendbewegungen und den Islamisten der Muslimbruderschaft zeigten sich zunehmend geschlossen. Mohamed ElBaradei, Friedensnobelpreisträger und Ex-Chef der Internationalen Atomenergieagentur IAEO, war als dessen Vorsitzender im Gespräch.

ElBaradei, als Auslands-Oppositioneller lange verlacht, hatte sich Sonntagnacht auf dem Tahrir-Platz den Demonstrierenden gezeigt: "Der Wandel, den wir durchgesetzt haben, kann uns nicht mehr genommen werden", sagte er. Der Ex-Diplomat forderte erneut den sofortigen Abgang Mubaraks und "ein Ägypten, in dem jeder in Freiheit und Würde leben kann".

Auf dem Tahrir-Platz kamen am Montagabend erneut Zehntausende zusammen. Sie skandierten: "Diese Revolution ist keine Revolution der Islamisten oder der Parteien. Das ist die Revolution des ägyptischen Volkes - ob Muslime oder Christen, Arme oder Reiche." Es demonstrierte auf dem Tahrir-Platz ein regelrechter Querschnitt der ägyptischen Gesellschaft, Angehörige aller sozialen Schichten waren dabei, Jugendliche und ganze Familien. Es tauchte aber erstmals auf Plakaten auch die Forderung auf, Mubarak und seine engsten Gefolgsleute vor Gericht zu stellen. An einer Verkehrsampel wurde eine Pappfigur symbolisch gehenkt; auf ihr Gesicht war das Porträt des Staatschefs geklebt.

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Bei den Unruhen in Ägypten stehen sich nicht nur Demonstranten und die Staatsmacht gegenüber. Die Polizei hat andere Interessen als die Armee - und nicht alle Ägypter hoffen auf ElBaradei. Ein Überblick.

Zunehmend in großer Zahl zu sehen unter den Demonstranten waren auch Islamisten. Die ägyptischen "Muslimbrüder" sind ein tragender Teil der Opposition. Und die Fundamentalisten sagen genau das, was alle ägyptischen Regimegegner fordern: "Mubarak muss weg". Auch Essam El Erian und Khairat El Schatar sprachen zur Menge. Die beiden führenden Muslimbrüder, vom Regime inhaftiert, konnten in dem seit Freitag herrschenden Chaos aus dem Gefängnis fliehen. "Sie versuchen alles, die Volksrevolution zu stoppen", sagte El Erian auf dem Tahrir-Platz. "Aber wir bleiben standhaft. Egal, wie viele von uns zu Opfern werden."

So stehen die demokratische Opposition und die populären Muslimbrüder derzeit geeint. Der frühere Kampfpilot Mubarak gibt sich dennoch nicht geschlagen. Nachdem die tagelange Gewaltorgie seiner Polizei gegen die Protestierenden am letzten Freitag gescheitert ist, setzt er nun auf politische Zugeständnisse. Der Staatschef betonte schon vor der Rede seines Stellvertreters plötzlich die Notwendigkeit von Reformen: "Wir brauchen rasch entschlossene Schritte zu politischen Reformen der Verfassung und der Gesetze. Im Dialog mit allen Parteien."

Alte Probleme sollen mit alten Minister gelöst werden

Das sind sehr neue Töne von einem Mann, der seit 30 Jahren mit Hilfe des Notstandsgesetzes herrscht. Der die Verfassung ändern ließ, um sich die Möglichkeit offen zu halten, seinen Sohn Gamal als Nachfolger zu installieren. Auch von der Bekämpfung der Korruption und von neuen Jobs redet Mubarak nun - obwohl er seit Jahren weiß, dass die Arbeitslosigkeit um die 20 Prozent beträgt, 90 Prozent der Joblosen unter 30 Jahre alt sind.

In einer in ihrer Erstarrtheit absurd wirkenden Zeremonie stellte der Präsident am Montag das neue Kabinett vor. Die Minister wurden aufgerufen, lasen ihren Eid vom Zettel ab, gaben dem ungerührt dastehenden Mubarak die Hand. Es waren viele auch Ägyptern unbekannte Gesichter dabei; der Verteidigungs-, der Außen- und der Erdölminister sind die alten Leute. Junge Minister fanden sich keine. Wie sehr der angeschlagene "Pharao" Mubarak den von der Opposition angekündigten landesweiten "Marsch der Million" am Dienstag fürchtet, zeigte sich in einer anderen Amtshandlung. Der gesamte Zugverkehr Ägyptens wurde am Montag auf Anordnung der Staatsführung lahmgelegt.

Jetzt, da die Armee sich selbst öffentlich zur Zurückhaltung bei der Ausübung von Gewalt verpflichtet hat, wird die Lage bedrohlich für Mubarak. Er muss politische Zugeständnisse machen, die er kaum noch erfüllen kann. Dem Autokraten fehlt es an jeglicher Glaubwürdigkeit, nachdem er jahrzehntelang Reformen versprochen hat.

Und bei den Straßenschlachten der vergangenen Woche und der öffentlichen Anarchie mit Plünderungen, Brandschatzungen und Gefängnisausbrüchen sind rund 100 Menschen gestorben, mehr als 1000 verletzt worden. Zudem besteht der begründete Verdacht, dass das Chaos von Mubaraks Polizei bewusst geschaffen wurde, um die Opposition zu diskreditieren. Vor dem "Marsch der Million" wird es zunehmend eng für Hosni Mubarak.

© SZ vom 01.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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