Krise im Irak:Rückschlag für Regierungsbildung in Bagdad

Members of the newly elected Iraqi parliament point fingers after an argument broke out at the parliament headquarters in Baghdad

Mitglieder des neu gewählten irakischen Parlaments diskutieren während der konstituierenden Sitzung am 1. Juli in Bagdad.

(Foto: REUTERS)

Das neue irakische Parlament scheitert an der Wahl eines Parlamentspräsidenten - und damit an der Bildung einer neuen Regierung. Das Land droht weiter zu zerfallen: Während sich die Isis-Extremisten vorankämpfen, planen die Kurden im Norden ein Unabhängigkeitsreferendum.

  • Stabilisierung nicht in Sicht: Das neu gewählte irakische Parlament scheitert an der Wahl eines Parlamentsvorsitzenden und damit an der Bildung einer neuen Regierung.
  • Das Land droht weiter zu zerfallen: Während die Isis-Extremisten weiter vormarschieren, kündigt der Kurden-Präsident ein Referendum über die Unabhängigkeit seiner Volksgruppe an.
  • Mehr als 2400 Tote im Juni bei Kämpfen im Irak.
  • USA schicken weitere Soldaten nach Bagdad.

Regierungsbildung im Irak vorerst gescheitert

Die konstituierende Sitzung des neu gewählten irakischen Parlaments ist gescheitert. Die Abgeordneten konnten sich nicht auf die von der Verfassung vorgeschriebene Wahl eines Parlamentsvorsitzenden einigen. Es war die erste Sitzung des Parlaments seit der Wahl im April. Die Wahl soll nun in der kommenden Woche wiederholt werden. In den Wochen nach der Wahl des Parlamentsvorsitzenden sollen der Staats- und dann der Regierungschef bestimmt werden.

Die Bildung einer neuen Regierung, die Vertreter aller Bevölkerungsgruppen einschließt, lässt damit ebenfalls weiter auf sich warten. Sie gilt als eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine Stabilisierung der Lage im Irak. Das Land droht auseinanderzubrechen, seit die sunnitische Extremistenorganisation Islamischer Staat im Irak und in Groß-Syrien (Isis) die Kontrolle über Teile im Norden übernommen und zum Sturm auf Bagdad angesetzt hat.

Es war erwartet worden, dass der neue Parlamentspräsident Ministerpräsident Nuri al-Maliki als Chef der größten Fraktion mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Der umstrittene schiitische Regierungschef möchte im Amt bleiben. Schiitische, sunnitische und kurdische Politiker fordern jedoch seinen Rückzug. Sie werfen ihm vor, seine von Schiiten dominierte Regierung diskriminiere Sunniten und habe so den Boden für den Isis-Vormarsch bereitet.

Kurden im Nordirak kündigen Unabhängigkeitsreferendum an

Die Kurden im Nordirak wollen nach den Worten ihres Präsidenten Massud Barsani innerhalb von Monaten ein Referendum über die Unabhängigkeit abhalten. Ein eigener Staat sei ein "natürliches Recht" der Kurden, sagte Barsani in einem Interview mit der BBC. Der Irak sei schon jetzt geteilt, sagte Barsani.

Massud Barzani, irakischer Kurdenführer, auf einer Pressekonferenz, 2003

Massud Barsani, irakischer Kurdenführer (hier auf einer Pressekonferenz im Jahr 2003), kündigt ein Unabhängigkeitsreferendum an.

(Foto: DPA-SZ)

Die irakischen Kurden genießen in ihrer Autonomieregion im Norden des Landes bereits große Eigenständigkeit. Seit dem Vormarsch der Isis stehen Teile der Region unter der Kontrolle der sunnitischen Isis-Kämpfer. Im Zuge der Auseinandersetzungen haben auch kurdische Peschmerga-Kämpfer neue Gebiete besetzt, darunter die nordirakische Stadt Kirkuk. Sie gehört nicht zu den kurdischen Autonomiegebieten, wird aber von den Kurden beansprucht. Die Stadt 250 Kilometer nördlich von Bagdad ist strategisch wichtig, weil dort große Ölvorkommen liegen.

Er könne noch kein Datum für das Referendum festlegen, so Barsani in dem BBC-Interview, aber es sei nur eine Frage von Monaten. "Wir werden für niemanden eine Bedrohung sein", fügte er hinzu. Gleichzeitig betonte Barsani, die Kurden wollten bei einer politischen Lösung der Krise im Irak weiter eine Rolle spielen.

UN: 2400 Tote im Juni bei Kämpfen im Irak

Durch die Kämpfe zwischen Armee und Isis-Extremisten sind im Juni so viele irakische Zivilisten getötet und verletzt worden wie noch nie in diesem Jahr. Unter den insgesamt 2400 Toten waren 1531 Zivilisten, wie die UN-Mission im Irak (UNAMI) mitteilt. Diese erschreckend hohe Zahl mache deutlich, wie nötig es sei, die Bevölkerung zu schützen, heißt es weiter. Besonders viele Opfer gab es in Bagdad sowie in den Provinzen Al-Anbar im Westen und Ninawa im Norden des Landes. Laut UNAMI wurden fast 2300 Menschen verletzt, darunter mehr als 1700 Zivilisten.

USA schützen ihre Botschaft in Bagdad

Um für die Sicherheit ihrer Landsleute zu sorgen, entsenden die USA bis zu 200 weitere Soldaten in den Irak, um ihre Botschaft sowie den internationalen Flughafen in der Hauptstadt Bagdad zu schützen. Das kündigte US-Präsident Barack Obama am Montag in einem Schreiben an den Kongress in Washington an. Mitte Juni hatte er bereits die Entsendung von bis zu 275 Soldaten verkündet, die US-Bürger und die Botschaft im Irak schützen sollen. Zudem sollen bis zu 300 US-Militärberater die irakische Armee im Kampf gegen die Dschihadisten unterstützen.

Was fordert Isis?

Der Irak droht wegen des Konflikts zwischen Schiiten, Sunniten und Kurden in einzelne Regionen zu zerfallen, seit die sunnitische Isis-Miliz im Land aktiv ist. Die Isis kämpft sowohl im Irak als auch in Syrien gegen die dortigen Regierungen. Ihre Offensive im Irak begann am 9. Juni. Die Organisation will die von ihr kontrollierten Gebiete über die Grenze hinweg verbinden und einen islamistischen Gottesstaat errichten. Am Sonntag rief Isis ein islamisches Kalifat aus. Das lehnen islamische Gelehrte aus aller Welt aber ab. Von vielen Gelehrten werden die Isis-Kämpfer als unislamisch bezeichnet, weil sie den Tod von anderen Muslimen in Kauf nehmen.

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