Krise der Volksparteien:Merkel, Mamma mia!

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Katholiken und Traditionalisten beklagen den Verlust konservativer Werte in der CDU unter Angela Merkel. Doch ohne diese Öffnung hätte die Partei noch weniger Wähler. Trotzdem: Eines fehlt der CDU-Chefin.

Heribert Prantl

Man kann sich darüber streiten, ob die Sozialdemokratie in Deutschland nun tot ist oder ob sie nur schläft. Für die These vom Tod spricht, dass Union und FDP in ihren Koalitionsverhandlungen schon als Erben der SPD auftreten.

Angela Merkel auf der Frankfurter Buchmesse. Sie hat die CDU für junge urbane Schichten des Bürgertums geöffnet. (Foto: Foto: AP)

Sozusagen in memoriam SPD haben sie vereinbart, ein paar sozial unerträgliche Fehler der Hartz-IV-Regelung zu beseitigen - wozu die SPD nicht mehr in der Lage gewesen war. Und auf dem Gebiet der inneren Sicherheit wollen Union und FDP etliche Maßlosigkeiten korrigieren - worauf in ihren alten, besseren Zeiten die SPD hingewirkt hätte. Für die These vom Tod der Sozialdemokratie spricht: Nur Sterben macht Erben.

Andererseits spricht für die These von einem Schlaf der SPD die Erfahrung: Parteien sind zäher, als man glaubt, und sie erholen sich schneller, als man denkt. Die CDU war in den Jahren 1999/2000, der Kohl-Spendenaffäre wegen, scheintot; man sagte ihr das schlimme Schicksal der italienischen Democrazia Cristiana voraus. Zwei Jahre später aber war die CDU wieder quicklebendig.

Ähnlich die SPD, die 1995, vor und nach dem Ende ihres Vorsitzenden Rudolf Scharping, fast so daniederlag wie heute. Innerhalb zweier Jahre machte Oskar Lafontaine aus ihr wieder eine Regierungspartei. Sic transit: In der Politik verweht nicht nur der Ruhm, sondern auch das Elend.

Für ein, zwei Jahre jedenfalls wird die SPD auf der bundespolitischen Bühne weitgehend ausfallen. In dieser Zeit wird jener Teil der Gesellschaft, der ein Anliegen an den Sozialstaat hat, ob VdK oder Gewerkschaften, sich an die Kanzlerin wenden. Angela Merkel verwaltet jetzt nolens volens die Dienstgeschäfte der SPD.

Guido Westerwelle wird sich darüber freuen und der CDU aufschwatzen wollen, sich in eine Art rechte SPD zu verwandeln. Dann könnte die FDP die bisherigen Stammwähler der CDU aus dem Mittelstand - Handwerker, Rechtsanwälte, Selbständige - dauerhaft übernehmen.

Merkel wäre aber schön dumm, sich auf einen solchen Handel einzulassen: Erstens ist Politik kein Roulettetisch, zweitens sind Wähler keine Jetons. Drittens dient der Kanzlerin die schwarz-gelbe Koalition nicht dazu, die FDP noch stärker, sondern wieder schwächer zu machen. Die früheren Unions-Wähler, die zuletzt in Millionenzahl für die FDP votiert haben, sollen wieder zur Union geführt werden.

Der Kardinal und die Sarrazinen

Muss Merkel also konservativer werden? Muss die Parteichefin, 33 Jahre nach dem "Freiheit oder Sozialismus"-Wahlkampf des Franz Josef Strauß, die CDU reideologisieren, um sie als Volkspartei zu erhalten? Es gibt solche Wünsche in der CDU. Es gibt dort ein diffuses Lamento über geschwundene Werte, über einen angeblich aufgeweichten Markenkern und darüber, dass Merkel nicht wirklich in der CDU, sondern in einem Überzeugungsnirwana zu Hause sei.

Es gibt den Schmerz der heimatlosen rheinischen Katholiken darüber, dass nicht mehr Kirche und Kolping das Leben im Lande bestimmen, sondern, angeblich, Libertinage und Permissivität. Es gibt die Klage über ein entleertes "C" der CDU und es gibt den Satz des Kölner Kardinals Meisner, wonach Merkels CDU für Katholiken nur noch bedingt wählbar sei.

Es gibt auch die "Sarrazinen" in der Union, die behaupten, dass Political Correctness in der CDU Parteiprogramm geworden sei und dort also kein Raum mehr sei für kernig-konservative Leute wie früher Dregger und Lummer. Die CDU sei kein Eichentisch mehr, sondern eine Resopalplatte, auf der Angela Merkel wie eine Madame Curie der Politik ihre radioaktiven Modernisierungs-Experimente veranstalte.

Solche Jeremiaden sind für die Parteichefin Merkel nicht gefährlich, solange sie bei Wahlen Erfolg hat - und sie hat diese Erfolge derzeit, gerade weil sie die Politik macht, die zu diesen Jeremiaden führt. Ihr Trumpf ist der Erfolg. Merkel hat, ohne programmatisches Trara, eine Politik der gesellschaftlichen und kulturellen Öffnung der CDU betrieben, wie sie einst ein Heiner Geißler als Generalsekretär der Partei intellektuell fundiert vorbereitet hat.

Merkel hat die CDU für junge urbane Schichten des Bürgertums zu öffnen versucht, sie hat die Familien- und Frauenpolitik neu justiert, die Politik gegenüber Migranten und Homosexuellen liberalisiert und die Holzköpfigkeit der Partei in der Klimapolitik beendet. Ohne die Öffnung hätte die Partei nicht mehr, sondern noch weniger Wähler.

Vielgesichtige CDU

Konservativ kommt vom lateinischen conservare, erhalten. Merkel beherrscht jedenfalls die Kunst, ihre Macht zu erhalten - sie beherrscht sie noch besser als Gerhard Schröder, der an seiner Agenda 2010 gescheitert ist. Merkels Politik der Öffnung der CDU ist auch eine Art Agenda, nicht wirtschafts- und sozialpolitisch, sondern gesellschaftspolitisch. Schröder hatte das Pech, dass seine Agenda von der Bevölkerung und von seiner Partei abgelehnt wurde. Merkel hat das Glück, dass ihre Agenda-Politik in der Bevölkerung ankommt und von ihrer Partei, solange sie dort ankommt, nicht abgelehnt wird. Ob die Partei so geneigt bleibt, hängt von weiteren Wahlerfolgen der CDU ab; Merkel wird sich deshalb hüten, die Gewerkschaften und die Straße gegen sich aufzubringen. Derzeit ist sie auf dem Zenit ihres Erfolgs und ihres Ansehens. Sie ist da, wo Schröder 1998 war. Aber sie ist Mama, Schröder war Macho.

Der Spiegel hatte zur Bundestagswahl auf das Titelblatt ein vielbeachtetes Plastik-Wackelbild geklebt. Unter den Überschriften "Es kommt so...Oder so" konnte man darauf, je nach Blickwinkel, entweder Angela Merkel oder den SPD-Kandidaten Steinmeier auf einem Kanzlerthron sitzen sehen. Das war eine nette, aber wenig realitätsgerechte Idee. Richtiger wäre es gewesen, eine multiple Merkel zu zeigen: von oben gesehen wirtschaftsliberal, von unten christlich-sozial, von einer Seite liberal und von der anderen konservativ.

So ist die CDU, vielgesichtig, und so ist Merkel. Sie ist damit aber auch die Personifizierung des Wechselwählers, und deshalb für diese so anziehend. In ihrer Person verkörpert sie, wohldosiert, ganz Unterschiedliches.

Wer das Konservative freilich in Reinform liebt und es in der Bundesrepublik der sechziger oder siebziger Jahre zu finden meint, dem muss eine Parteichefin suspekt sein, die von sich selbst sagt, dass sie mal dies sei und mal jenes. Indes: Die deutsche Gesellschaft ist nun einmal nicht mehr sehr ideologisch geprägt. Es wäre also - Mamma mia! - absurd, wenn eine Partei, die Volkspartei sein will, sich so ideologisch gebärdete wie vor 40 Jahren.

In der Kanzlerin steckt mehr CDU als in den Nur-Konservativen. Aber: Angela Merkel regiert diese Partei, und das ist ihr Manko, ohne Empathie, ohne Wärme, ohne ansteckende Begeisterung. Sie ist nicht Führerin, sondern Geschäftsführerin der CDU. Sie kann schlagen, das hat sie in harten persönlichen Auseinandersetzungen bewiesen; sie kann aber nicht streicheln. Sie kann gut siegen, aber nicht so gut gewinnen. Es fehlt ihr das Gefühl, sie hat nicht das Herz der Partei. Das wird ihr eines nicht siegreichen Tages noch Schwierigkeiten machen.

© SZ vom 17.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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