Krimkonflikt:Anspannung

Die von Russland annektierte Halbinsel ist noch immer ohne Strom, weil ukrainische Tataren die Reparatur der Leitungen verhindern. Dass Kiew nicht einschreitet, setzt in Moskau negative Energie frei.

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Auf der Krim sind noch immer die Lichter aus, in einigen Gebieten der Halbinsel ist auch die Wasserversorgung gefährdet. Supermärkte sind geschlossen, Geldautomaten funktionieren nicht. Moskau fliegt derweil Hunderte Dieselgeneratoren ein. Humorbegabte Krim-Bewohner scherzen zwar, zum Glück gebe es das Schwarzmeerklima plus Klimatastrophe, so gebe es zumindest keine Heizprobleme: Derzeit liegt die Außentemperatur tagsüber bei 17 Grad. Aber Sorge macht sich breit, denn keiner kann sagen, wann die Stromversorgung wieder aufgenommen wird.

Schwarzseher, und dazu gehören die Behörden, reden vom Andauern des partiellen Blackouts für einen Monat. Dann könnte das Unterwasserkabel aus Russland bei Kertsch einsatzbereit sein, das die Abhängigkeit der Krim von ukrainischer Energie vermindern soll. Seit Russland die Krim im Frühjahr 2014 annektiert hat, vermochte Moskaus Energieministerium nicht, dieses Problem zu lösen. Am Mittwoch wurde russischen Medien zufolge der Energieminister der Krim gefeuert, weil er sich im aktuellen Krisenfall als inkompetent erwiesen habe. Aber das sind Nebenschauplätze.

Ob der Strom früher wieder da ist, hängt wesentlich von den Ukrainern auf dem Festland ab: von Krimtataren und Aktivisten des rechten Sektors, die gesprengte Strommasten bewachen und deren Reparatur verhindern. Kaum jemand zweifelt, dass sie auch die Sprengung zu verantworten haben, wenngleich keiner offiziell die Verantwortung übernommen hat. Man werde die Reparaturtrupps des Energieversorgers UkrEnergo weiter nicht durchlassen, sagte einer der hochrangigsten Vertreter der Krimtataren, der Abgeordnete Mustafa Dschemilijew. Allenfalls lasse man die Masten aufrichten, an denen ein Teil der Stromversorgung des südukrainischen Bezirks Cherson hängt. Man werde nicht weichen, bis Moskau politische Gefangene freilasse, die in Russland und auf der Krim festgehalten würden. Und man blockiere die Krim-Zufahrt so lange, wie mit ukrainischen Gütern, die zollfrei via Krim nach Russland gelangten, "Banditen" ernährt würden, die "unsere Mitstreiter und Freunde in der Heimat misshandeln".

Auch von der ukrainischen Regierung hängt es ab, wann auf der Krim die Lichter wieder angehen. Dafür müsste sie, im Zweifel mit Gewalt, die Reparatur der Starkstromleitungen durchsetzen, die mehr als 70 Prozent der Energieversorgung der Krim sichern. Aber danach sieht es nicht aus. Im Gegenteil. Zwei Monate lang ließ Kiew die Demonstranten gewähren, welche die Zufahrt zur Krim für Schwertransporte blockierten und auch die Axt an die Stromversorgung legten. Damit wollten sie gegen die Unterdrückung der krimtatarischen Minderheit protestieren.

Nun stellt sich die Regierung sogar auf die Seite der Tataren. Premier Arsenij Jazenjuk wies seine Mitarbeiter an, eine Liste der Waren zu erstellen, die nicht mehr von ukrainischen Unternehmern auf die Krim transportiert werden dürfen. Und er kündigte ein Gesetz an, das den Boykott legitimieren - und mit den Krimtataren abgesprochen werden soll, "damit die Nöte der tatarischen Gemeinschaft mitbedacht werden". Derweil wurden Transporte auf die Krim "für begrenzte Zeit" eingestellt.

Kurz danach schlug Innenminister Arsen Awakow vor, den Energievertrag, den Kiew vor Jahresfrist mit Moskau über die Versorgung der Krim geschlossen hatte, mit einem Votum des Nationalen Sicherheitsrates zu beenden. Auf einer Krisensitzung des Kabinetts begründete er dies laut Kyiv Post damit, dass Moskau bekannt gegeben habe, ab Januar keine Lebensmittel mehr aus der Ukraine einzuführen. Das Kappen der Stromversorgung sei eine "politische Entscheidung", so Awakow.

Die Russen drohen, kein Kohle mehr zu liefern. Die Ukrainer bringen keine Lebensmittel mehr

Auch Präsident Petro Poroschenko äußerte sich, wenngleich vager: Die Krim sei ukrainisches Gebiet, und Kiew werde die "Rechte der Ukrainer auf dem okkupierten Gebiet verteidigen" - eine Solidaritätsadresse an die tatarischen Aktivisten, unter denen prominente Parteigänger Poroschenkos sind. So machte der Präsident unlängst Mustafa Dschemilijew zum Antikorruptionsbeauftragten und versicherte, man werde den Status der "freien Wirtschaftszone", zu der die Krim ausgerufen worden war, womöglich bald revidieren.

Beobachter interpretieren das Verhalten der Regierung als Kotau vor den Nationalisten, die jede Zusammenarbeit mit Moskau ablehnen. Dabei ist die Ukraine energiepolitisch auch stark von Russland abhängig - trotz aller Versuche, die Versorgung durch Reverse Flow von Erdgas, mehr Atomkraft, Kohle-Zukäufe aus anderen Weltregionen und mehr saubere Energie auf eigene Beine zu stellen.

Weil die Kohle aus dem Revier im Donbass, die einen Teil der ukrainischen Industrie versorgte, weitgehend ausfällt (wie viel Kohle aus den "Autonomen Volksrepubliken" geschmuggelt wird, kann nur geschätzt werden), hatte Kiew mit Moskau einen Energieliefervertrag abgeschlossen, der für beide profitabel war: Strom für die Krim, Kohle für Kiew.

Nun, nach dem Blackout, droht wiederum Moskau mit einem Gegenschlag. Am Dienstag sagte Energieminister Alexander Nowak: "In dieser Lage könnten wir uns dazu entscheiden - und vielleicht sollten wir das auch tun -, die Kohlelieferungen zu stoppen." Da Kiew "aus irgendwelchen politischen Gründen" nicht genug unternehme, um die Strommasten reparieren zu lassen, werde man entsprechend reagieren.

Auch Gazprom hat das bewährte Druckmittel angekündigt: In den nächsten Tagen werde der Gasexport in die Ukraine gestoppt, Kiew habe nicht genug vorbezahlt. Die Iswestija erklärte, was nun gilt - Auge um Auge: "Wegen der Energieblockade gegen die Krim stellt sich die Frage einer Energieblockade gegen Kiew."

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