Krim-Krise:Wer was will von der Ukraine

Krim-Krise: Die Sorge bei den Demonstranten in Kiew wächst: Wie weit geht der russische Präsident Putin?

Die Sorge bei den Demonstranten in Kiew wächst: Wie weit geht der russische Präsident Putin?

(Foto: Dimitar Dilkoff/AFP)

Die Krim-Krise treibt die Ukraine an den Rand der Spaltung, von allen Seiten zerren Interessenparteien an dem Land: Westukraine gegen Ostukraine, USA gegen Russland und dann auch noch die EU. Wer welche Ziele verfolgt - ein Überblick.

Von Hannah Beitzer

Es begann mit Protesten auf dem Maidan in Kiew - und wurde zu dem, was Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier nun die "schwerste Krise seit dem Mauerfall" nennt. Die Ukraine, die schon seit vielen Jahren zwischen Europa und Russland hin- und hergerissen ist, steht kurz vor der Spaltung. Auf der Halbinsel Krim hat Russland Berichten zufolge bereits faktisch die Kontrolle übernommen. Doch nicht nur Wladimir Putin schützt seine Einflusssphäre. Die wichtigsten Akteure im Überblick.

Gespaltene Ukraine

Alles begann in der Westukraine: Ende vergangenen Jahres versammelten sich in Kiew friedliche Demonstranten, um gegen ihren damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch zu protestieren. Der Westen des Landes wünscht sich eine stärkere Anbindung der Ukraine an Europa. Janukowitsch jedoch suchte die Annäherung an Russland. Die anfänglich proeuropäischen Proteste wuchsen sich zu einer heterogenen Bewegung aus, die nur ein Ziel einte: Das korrupte und autoritäre System Janukowitsch zu beseitigen. Die Auseinandersetzungen eskalierten, Dutzende Demonstranten und einige Polizisten wurden getötet.

Schließlich übernahm die prowestliche Opposition die Macht in Kiew. Das Parlament setzte Janukowitsch ab und Neuwahlen an. Die Ukraine kehrte zur Verfassung von 2004 zurück, die dem Parlament im Vergleich zum Präsidenten mehr Macht zusichert. Premierminister ist seitdem Arseni Jazenjuk. Er gehört zur Vaterlandspartei der ehemaligen Regierungschefin Julia Timoschenko, der ärgsten Widersacherin von Janukowitsch, die nach dessen Sturz nach zweieinhalb Jahren Haft wieder freigekommen war. Sie soll Gerüchten zufolge Interesse an einer Präsidentschaftskandidatur haben - wie der ehemalige Box-Profi Vitali Klitschko, der seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl am 25. Mai bereits offiziell angekündigt hat. Klitschko, Chef der Partei Udar, hatte während der Proteste ebenso wie Jazenjuk auf dem Maidan an der Seite der Demonstranten gestanden. Er war maßgeblich an der Aushandlung eines Kompromisses beteiligt, der die Gewalt auf den Straßen Kiews beenden sollte.

Timoschenko und Klitschko sind aus unterschiedlichen Gründen in der Bevölkerung umstritten: Die ehemalige Regierungschefin, weil viele sie als Teil der alten korrupten Machtelite sehen und weil sie für das Scheitern der Orangefarbenen Revolution von 2004 verantwortlich gemacht wird. Klitschko, weil er ein wenig erfahrener Politiker und eher ungelenker Redner ist. Auch, dass er unter Vermittlung von Deutschland, Frankreich und Polen ein Abkommen mit Viktor Janukowitsch aushandelte, nach dem Janukowitsch noch bis zu den ursprünglich geplanten Neuwahlen im Dezember im Amt bleiben sollte, gefiel den Demonstranten auf dem Maidan nicht. Sie verlangten die sofortige Absetzung des Präsidenten. Und so kam es.

Prorussischer Osten

Janukowitsch floh in seine Heimatregion Donezk in der Ostukraine. Im Süden und Osten der Ukraine leben vorwiegend russischsprachige Ukrainer, hier dominiert Janukowitschs Partei der Regionen. Doch diese distanzierte sich bald von ihrem Chef, der floh weiter nach Russland, wo er inzwischen festsitzt. Nicht einmal sein alter Verbündeter Wladimir Putin traut ihm noch eine politische Zukunft zu. Dennoch kam es in der Region in den vergangenen Wochen zu prorussischen Protesten, Demonstranten besetzten die Regionalregierung in Donezk.

Viele Leute in der Region fürchten den Einfluss faschistischer und nazistischer Kräfte in Kiew. Tatsächlich waren unter den Protestierenden des Maidan rechte Kräfte aktiv, in der Kiewer Übergangsregierung ist auch die nationalistische Partei Swoboda von Oleg Tjagnibok vertreten. Beobachtern zufolge sind die Rechten eher in der Minderheit. Vor allem russische Medien konzentrieren sich dennoch häufig sehr einseitig auf diesen Aspekt - und schüren die Angst in der russischsprachigen Bevölkerung der Ostukraine.

Ein Sonderfall ist in der Auseinandersetzung die autonome Halbinsel Krim, die zur Ukraine gehört. Die Mehrheit der Bevölkerung hat russische Wurzeln. Dort ist außerdem die russische Schwarzmeerflotte stationiert. In den vergangenen Tagen haben russischsprachige Soldaten die Kontrolle übernommen - die Ukraine und viele ihrer westlichen Partner gehen von einem faktischen Einmarsch russischer Truppen aus, Moskau spricht von "einheimischen Selbstverteidigungskräften".

Was wollen Russland, die USA und die Europäische Union?

Russland fürchtet um Einfluss

Der russische Präsident Wladimir Putin streitet zwar einen Einmarsch auf der Krim ab, doch er behält sich einen Militäreinsatz in der Ukraine vor. Und zwar nicht nur auf der Krim, sondern auch im russischsprachigen Osten oder Süden des Landes. Er begründet das mit dem nötigen Schutz von Russen im Ausland. In einer Militärdoktrin von 2010 reklamiert Russland tatsächlich das Recht für sich, auch ohne internationales Mandat in ein Land einzumarschieren, in dem Russen in Gefahr sind. Experten kritisieren das als klaren Verstoß gegen das Völkerrecht. Putin hingegen bezeichnet es als "humanitären Einsatz".

Tatsächlich geht es Putin darum, seine traditionelle Einflusssphäre zu wahren. Eine zum westlichen Lager gehörende Ukraine würde das Machtgefüge in der Region zu seinen Ungunsten verändern. Russland erkennt deswegen die prowestliche Übergangsregierung in Kiew nicht an und bezeichnet die Demonstranten auf dem Maidan als Faschisten, bewaffnete Radikale und westliche Agenten. An einer tatsächlichen Spaltung des Landes dürfte Putin aber ebenso wenig Interesse haben wie der Westen. Denn eine autonome europafreundliche Westukraine könnte eher als eine weiterhin heterogene Gesamt-Ukraine in die Nato eintreten. Damit wäre ein weiterer Teil des ehemaligen Sowjetimperiums für Putin unwiderbringlich verloren - bereits die Nato-Mitgliedschaft von direkt angrenzenden Ländern wie Estland, Lettland und Litauen ist Russland gar nicht recht.

Ein wichtiger Hebel für Putin ist die wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine von seinem Nachbarn. Noch unter Janukowitsch ausgehandelte Finanzhilfen, welche die von der Pleite bedrohte Ukraine zum Überleben bräuchte, hat Moskau auf Eis gelegt. Da muss jetzt der Westen ran. Dazu kommt noch die Abhängigkeit von russischem Gas: Die Ukraine erhielt bisher einen Rabatt von 30 Prozent auf Energielieferungen aus dem Nachbarland. Damit ist es jetzt vorbei, hat der russische Energiekonzern Gazprom Anfang der Woche verkündet. Kiew habe noch nicht einmal seine alten Rechnungen bezahlt, hieß es dazu spitz aus Moskau.

Trotzdem könnte es nun auch für Moskau ungemütlich werden. Wegen des Einsatzes auf der Krim drohen Russland Sanktionen aus dem Westen. Sowohl die USA als auch die Länder der Europäischen Union kritisieren den Einsatz als völkerrechtswidrig. Immerhin hat Moskau aber einem Treffen des Nato-Russland-Rats zugestimmt, der an diesem Mittwoch in Brüssel tagt. Spannend wird dabei vor allem das Aufeinandertreffen des russischen Außenministers Sergej Lawrow und seines Amtskollegen John Kerry, der den Ton gegenüber Russland zuletzt verschärft hatte. Bereits vor dem geplanten Nato-Russland-Treffen kam es am Mittwochnachmittag zu einem ersten Gespräch zwischen den beiden Ministern. Dabei forderte Kerry Lawrow auf, direkten Kontakt zu der ukrainischen Regierung aufzunehmen.

Europäische Union zwischen Diplomatie und Härte

Auch die Europäische Union trifft sich am Donnerstag zu einem Sondergipfel in Brüssel. Die Staats- und Regierungschefs der EU sprechen dabei unter anderem mit dem ukrainischen Übergangspremier Jazenjuk - ein Zeichen, dass sie, anders als Russland, die Übergangsregierung in Kiew als wichtigen Partner zur Bewältigung der Krise sehen. Die EU will außerdem der von der Pleite bedrohten Ukraine ein Hilfspaket in Höhe von elf Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Auf dem Gipfel wird es außerdem um mögliche Sanktionen gegen Russland gehen. Innerhalb der EU herrschen jedoch unterschiedliche Meinungen, wie scharf dabei vorgegangen werden soll.

Deutschland zum Beispiel hält Sanktionen nur für das allerletzte Mittel. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, der bereits während des Machtwechsels in der Ukraine eine bedeutende Rolle gespielt hat, plädiert für die Einsetzung einer Fact-Finding-Mission unter Leitung der OSZE und einer internationalen Kontaktgruppe. Auch Großbritannien, Frankreich und Italien sind eher zurückhaltend und setzen auf Diplomatie.

Zu den Befürwortern einer härteren Gangart gehören hingegen Polen, Tschechien und die baltischen Staaten - also auch unmittelbare Nachbarn Russlands. Sie fürchten eine Destabilisierung der gesamten Region und sorgen sich insbesondere, die Krim könne zu einem neuen "latenten Konfliktherd" wie die von Georgien abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien werden. Auch historisch misstrauen die ostmitteleuropäischen Staaten ihrem Nachbarn. Das Verhalten Russlands erinnert sie arg an die verhasste Besatzungsmacht Sowjetunion.

Interessant ist, dass wirtschaftliche Abhängigkeit nach Ansicht vieler Experten eine geringere Rolle spielt als gemeinhin angenommen. So ist Russland für Deutschland nur der zehntgrößte Handelspartner, der Import von russischer Energie ist zwar hoch - jedoch wesentlich geringer als bei den Hardliner-Staaten, zu denen neben den Osteuropäern auch Schweden gehört. Das zeigt eindrücklich diese Reuters-Karte:

Und wie reagiert Russland? Dem Vorschlag einer Kontaktgruppe mit russischer Beteiligung zeigte sich Putin zunächst nicht abgeneigt. Sein Außenminister verweigerte sich trotzdem einem ersten möglichen Treffen dieser Kontaktgruppe am Mittwoch. Gleichzeitig machen weiter Berichte über russische Truppen auf der Krim die Runde. Bestätigen lässt sich das schwer, da viele der russischsprachigen Soldaten zwar Uniformen, aber keine offiziellen Hoheitsabzeichen tragen.

USA wollen härtere Gangart

In der Krim-Krise werden Erinnerungen an den Kalten Krieg wach. Die USA fuhr von Anfang an eine härtere Gangart als die Europäische Union - selbst als der Konflikt noch eine innerukrainische Angelegenheit war. Die Vereinigten Staaten plädierten damals schon für ein Eingreifen des Westens. So machte die US-Europabeauftragte Victoria Nuland mit dem inzwischen legendären "Fuck the EU" ihrem Ärger darüber Luft, dass die europäischen Partner sich nach Meinung der USA zu unentschieden verhielten, als die Proteste auf dem Maidan zu eskalieren drohten.

Die USA haben auch gleich nach Ausbruch der Krim-Krise die militärische Zusammenarbeit mit Russland beendet, Gespräche über engere Handelsbeziehungen auf Eis gelegt und gemeinsam mit den anderen sechs führenden Industrienationen die Vorbereitungen für einen geplanten G-8-Gipfel im russischen Sotschi abgebrochen. Sie drohen außerdem unverhohlen mit Sanktionen.

US-Präsident Barack Obama warnte Putin schon am Freitag vor "Kosten" für eine Intervention auf der Krim. Sein Außenminister John Kerry warf Russland vor, nach einem "Vorwand" gesucht zu haben, um auf der Krim "weiter einmarschieren zu können". Doch die USA wissen: Ohne Europa wird es schwierig mit den Sanktionen. Denn die USA sind für Russland wirtschaftlich lange nicht so wichtig wie die Nachbarstaaten, sie gehören nicht einmal zu den Top Ten der Handelspartner Moskaus.

Die Ukraine selbst wollen die Vereinigten Staaten mit einer Kreditbürgschaft von einer Milliarde US-Dollar (727 Millionen Euro) unterstützen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: