Krim-Krise:Wenn Panzer das Wachstum stoppen

File photo of the Russia's oil major LUKOIL oil refinery near the town of Kagalym in western Siberia

Ölförderung nahe der Stadt Kogalym in Westsibirien: Russland ist auf Investitionen aus dem Ausland angewiesen.

(Foto: REUTERS)

Eigentlich sollte Russlands Wirtschaft in diesem Jahr aus der Krise kommen. Doch der Konflikt um die Krim und Putins Drohungen schrecken Investoren effektiv ab - während die Reichen ihr Geld außer Landes bringen.

Von Julian Hans, Moskau

Von einem nüchternen Standpunkt aus betrachtet hat Russland sich selbst mit der Angliederung der Krim weit härter getroffen als durch alle bisher beschlossenen Sanktionen von USA und EU zusammen. Seit Beginn der Krise hat sich der Verfall des Rubels weiter beschleunigt, gut zehn Prozent hat die Landeswährung seitdem gegenüber Dollar und Euro eingebüßt.

Dabei wird der Absturz noch gebremst: 30 Milliarden Dollar hat die russische Zentralbank in dieser Zeit ausgegeben, um die Landeswährung zu stützen. Allein am 3. März, dem Tag nachdem Duma und Föderationsrat dem Präsidenten freie Hand für einen Einsatz des Militärs gegen die Ukraine gegeben hatten, brachen die Kurse an der Moskauer Börse um 15 Prozent ein. Im ersten Quartal sind nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 50 und 70 Milliarden Dollar aus Russland abgeflossen - im Jahr 2013 hatte die Kapitalflucht 60 Milliarden betragen. Doch das sind schon die indirekten Folgen.

Zu den direkten Kosten zählen etwa 600 Millionen Euro, die Moskau nach Simferopol überweisen muss, um den Haushalt der Krim zu retten, rechnet die Wirtschaftszeitung Wedomosti vor. Demnach werden die Rentner die russische Pensionskasse noch einmal eine Milliarde Euro kosten. Von nötigen Investitionen auf der Halbinsel, die außer bisher mehrheitlich ukrainischen Touristen und Landwirtschaft kaum Einkommensquellen hat.

Ukraine soll 16 Milliarden Dollar zurückzahlen

Ob Moskaus Versuche erfolgreich sein werden, sich dieses Geld von der klammen Ukraine wiederzuholen, ist ungewiss. Regierungschef Dmitrij Medwedjew erklärte am Freitag den Vertrag über die Nutzung des Schwarzmeerhafens in Sewastopol für nichtig, schließlich handle es sich nun um russisches Gebiet. 16 Milliarden Dollar aus Gasrabatten und Darlehen solle Kiew insgesamt zurückzahlen, forderte der Premier.

Eigentlich sollte 2014 das Jahr werden, in dem Russlands Wirtschaft endlich wieder das Niveau von vor der Krise 2009 erreicht. Doch dafür war ein Wachstum zwischen zwei und 3,5 Prozent eingeplant gewesen. Doch wegen des Konflikts könnte das Wachstum ganz zum Stillstand kommen, warnte der frühere Finanzminister Alexej Kudrin. Als größte Wachstumsbremse hatten Ökonomen schon im vergangenen Jahr fehlende Investitionen ausgemacht. Das Geld ist zwar da, doch die Anleger halten sich zurück. Die Drohungen aus der Regierung, man werde auf die Sanktionen mit Gegenmaßnahmen antworten und Besitz ausländischer Firmen in Russland beschlagnahmen, verstärken die Zurückhaltung. Effektiver kann man ausländische Investoren nicht abschrecken.

Die Konten und Visasperren, die die USA und die EU am Freitag gegen einzelne Personen verhängten, sind zunächst vor allem ein politisches Signal. Während die EU gezielt Namen auf ihre Liste setzte, die in Verbindung mit der Abtrennung der Krim von der Ukraine stehen, zielten die Verbote der USA auf einen Kreis von Unternehmern, die in enger Verbindung mit Wladimir Putin stehen. Noch am Freitag erklärte die russische Zentralbank, sie werde Maßnahmen ergreifen, um die ebenfalls unter die Sanktionen fallende Bank Rossija zu unterstützen. Sie gilt als persönliche Bank des Präsidenten und hoher Beamter.

Visa und Mastercard kündigen Zusammenarbeit mit Rossija-Bank auf

Die Kreditkarten-Anbieter Visa und Mastercard stellten die Zusammenarbeit mit der Rossija-Bank und zwei weiteren betroffenen Kreditinstituten daraufhin ein. Am Sonntag erklärten Visa und Mastercard, wieder mit der SMP-Bank zusammenarbeiten zu wollen. Das Geldhaus habe die beiden davon überzeugen können, weil die Sanktionen gegen die Aktionäre und nicht gegen die Bank verhängt worden seien. Ihre Großaktionäre Boris und Arkadij Rotenberg sind mit Putin seit gemeinsamen Tagen im Petersburger Judo-Verein eng verbunden und sollen vor den Olympischen Winterspielen in Sotschi mit Großaufträgen bedacht worden sein.

Wirklich ernst würde es für Russlands Wirtschaft mit der nächsten Stufe von Sanktionen, die auch den Kauf von Öl und Gas einschließen würden, aus denen Moskau mehr als die Hälfte seines Haushalts bestreitet und etwa ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts. "Sollte Russland über die Krim hinausgreifen, werden wir in Europa einschneidende Maßnahmen beschließen, selbst wenn wir hierfür wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen müssen", warnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier in einem Interview mit der Welt am Sonntag. Europas Handelsvolumen mit Russland beträgt etwa ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU, aber 15 Prozent des russischen BIP.

Nicht zufällig gehören Unternehmer und Wirtschaftsexperten zu den entschiedensten Kritikern des Krim-Abenteuers. Seit Wochen warnte die Wirtschaftszeitung Wedomosti vor den Folgen einer Aufnahme der Halbinsel in die Russische Föderation, ebenso das Konkurrenzblatt RBC, das dem Oligarchen Michail Prochorow gehört. Nur verantwortungslose Menschen könnten das Land zur Autarkie aufrufen, schrieb dort der Ökonom Wladislaw Inosemzew, der ein Zentrum zur Erforschung der Postindustriellen Gesellschaft leitet. "Je stärker wir uns von der Welt abschotten, desto schneller treibt das Putinsche Modell seinem Ende zu. Die übrige Welt wird uns nicht durch ihre Bedrohung gefährlich, sondern durch seinen Erfolg", schreibt Inosemzew. Falls das jemand vergessen habe: "Die Sowjetunion ist in dem Moment zusammengebrochen, als sie schon niemand mehr bedroht hat, aber die Aussichtslosigkeit ihres totalitären Modells für jeden offensichtlich wurde."

Die Elite ist vorbereitet, sich zu retten. Was jeder Sparkassenberater einem deutschen Kleinanleger als Erstes erklärt, das haben diejenigen längst verstanden, bei denen es um größere Summen geht. Nur wenn Risikostreuung für den Kleinanleger bedeutet: ein Teil Immobilien, ein Teil Renten, ein Teil Aktien, denken die wirklich Reichen global: Immobilien in London, an der Côte d'Azur und in Dubai, OffshoreFirmen auf Zypern und den Virgin Islands, Konten in der Schweiz und in Liechtenstein. "Gerade sind die Vereinigten Arabischen Emirate sehr populär", sagt einer, der in Moskau wohlhabende Geschäftsleute berät.

Dennoch seien die Auswirkungen schon jetzt spürbar: Geplante Investitionen werden gestoppt, stattdessen steige die Nachfrage nach Sachwerten. "Die Leute heben ihr Geld lieber zu Hause im Koffer auf, als es einer Bank zu geben, die morgen geschlossen werden könnte", sagt der Berater. Weil die Menge an Bargeld, die in einen Koffer passt, begrenzt ist, seien auch Brillanten, Rubine und teure Kunst beliebt.

Der russische Staat ist im Ausland kaum verschuldet. Anfang des Jahres betrugen seine Währungsreserven noch etwa 500 Milliarden Dollar. Russische Banken und Konzerne stehen allerdings bei ausländischen Geschäftspartnern mit mehr als 600 Milliarden Dollar in der Kreide. Ein Grund für beide Seiten, sich vor Sanktionen zu fürchten.

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