Krim-Krise:Warum Putin den Westen nicht fürchtet

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Russlands Präsident Putin kümmert sich nicht so sehr darum, was der Westen über ihn denkt.

(Foto: Reuters)

Russland ist bereit für eine Intervention auf der Krim - und die Welt staunt. Was ist los mit Putin? Welche Bedeutung haben die Krim und die Ukraine für Russlands Selbstbild? Welches Bild verbreiten die Moskauer? Die wichtigsten Analysen und Kommentare im Überblick.

Auf der ukrainischen Halbinsel Krim kontrollieren mutmaßlich russische Soldaten wichtige Orte. Was geht in Wladimir Putin vor? Was kann der Westen tun? Welches Bild verbreiten russische Medien über den Konflikt? Welche Bedeutung haben die Krim und die Ukraine für das russische Selbstbild und die aktuelle Politik der Atommacht? SZ.de gibt einen Überblick über die besten Kommentare und Analysen.

Was Putins Kalkül ist: Mit seiner eiskalten Entschlossenheit hat Russlands Präsident Wladimir Putin auf der Krim wohl unverrückbare Fakten geschaffen. Er hat sich vom Parlament die Erlaubnis geholt, die russischen Soldaten, die sich auf der Krim befinden, zum Schutz der russischstämmigen Menschen einzusetzen. "Putin sieht den Nachbarstaat Ukraine als Vasallen - und behandelt ihn entsprechend", kommentiert Stefan Kornelius bei SZ.de. Im Politico Magazine argumentiert Ben Judah unter der Überschrift "Warum Putin keine Angst mehr vor dem Westen hat", dass Russlands Elite die europäischen Politiker als "Heuchler" ansehe. Sanktionen würden innerhalb der zerstrittenen EU nie durchgesetzt, und deren Spitzenpolitiker würden wie Gerhard Schröder, Tony Blair und Nicolas Sarkozy nach ihrer aktiven Zeit für viel Geld PR-Arbeit für autoritäre Regime machen. Während Putin sehr selbstbewusst sei, nehme man in Moskau die USA als "schwach" wahr. Dmitrij Trenin von der Carnegie-Stiftung in Moskau erklärt in einem Interview mit Spiegel Online das Denken von Kremlchef Putin: "Er demonstriert militärische Stärke: Das soll Kiew klarmachen, dass sich eine Einmischung auf der Krim nicht lohnt. Washington soll erkennen, dass auf der Krim Kerninteressen Russlands betroffen sind." Laut New York Times tut sich Bundeskanzlerin Angela Merkel schwer, Putin zu verstehen: Sie soll zu Obama gesagt haben, Russlands Präsident lebe "in einer anderen Welt".

Warum die Krim für Russland so wichtig ist: Die Halbinsel im schwarzen Meer spielt für Russen eine besondere Rolle - aus strategischen, kulturellen und historischen Gründen. 1954 hat Chruschtschow die Krim der Ukraine geschenkt - als Erinnerung daran, dass Russen und Ukrainer ein sozialistisches Brudervolk seien. In Moskau wird die Entscheidung bedauert, noch heute verbringen jedes Jahr mehr als eine Millionen Russen ihren Urlaub auf der Krim. Für Putin geht es jedoch vielmehr um einen wichtigen Militärstützpunkt. Heute leben auf der Krim Tataren, Ukrainer und Russen zusammen. Da die überwiegende Mehrheit Russisch spricht, deutet vieles darauf hin, dass eine Mehrheit in einem Referendum für eine Zugehörigkeit zu Russland stimmen würde. Dies dürfte besonders den Tartaren nicht gefallen, da sich die muslimische Minderheit Kiew sehr viel näher als Moskau fühle, erklärt Tim Neshitov. Doch selbst russisch-stämmige Ukrainer sehen Putins Manöver auf der Krim kritisch: "Ich bin Russe und brauche keinen Schutz. Ich verlange den sofortigen Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine", schreibt der russisch-ukrainische Autor Andrej Kurkow auf Twitter.

Plan der Eurasischen Union: Im Herbst 2011 gab Putin seine Pläne einer Eurasischen Union (EAU) bekannt, die neben Russland auch die Ukraine, Kasachstan, Weißrussland, Kirgistan und Tadschikistan umfassen soll. Putin plant, die EAU im kommenden Jahr nach dem Beispiel der EU zu gründen. Mit ihren knapp 50 Millionen Einwohnern und den bedeutenden Ressourcen ist die Ukraine von entscheidender Bedeutung - ohne die symbolische Hauptstadt Kiew wäre diese Gegen-EU politisch kaum noch etwas wert. Der ehemalige Medwedjew-Berater und Ökonom Wladislaw Inosemzew wirft Putin vor, aus Teilen der ehemaligen UdSSR ein russisches Imperium wiederherstellen zu wollen. Die Eurasische Union sei Ausdruck geopolitischen Wunschdenkens. Der Publizist Kai Ehlers schreibt vom ukrainischen Dilemma: Die Ukraine bleibe zwischen Europäischer und Eurasischer Union gefangen.

Russische Medienpropaganda: Es gibt in Russland keinen landesweiten Sender, der staatsunabhängig ist oder regierungskritisch berichtet - stattdessen werden "Märchen für die Massen" verbreitet. Zu Beginn der olympischen Spiele beschreibt Reporter ohne Grenzen unabhängigen Journalismus als "schwerste Disziplin in Sotschi"; Selbstzensur sei unter russischen Journalisten weit verbreitet. Die neue ukrainische Regierung wird in russischen Medien verzerrt dargestellt: Demzufolge hätten Faschisten die Regierung in Kiew gestürzt, Nationalisten hätten nun die Macht übernommen. Doch viele Ukraine-Experten beteuern, dass der Einfluss des rechten Sektors sowie der nationalistischen Partei Swoboda auf dem Maidan in vielen Berichten stark übertrieben werde, analysiert Hannah Beitzer. Zuletzt hieß es in russischen Medien, dass auf der Krim Tausende ukrainische Soldaten und Polizisten übergelaufen seien. Es gebe einen Exodus nach Russland. Allerdings zeigt der vermeintliche Fotobeleg dafür eine Autoschlange am Grenzübergang nach Polen, schreibt SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit.

Welche Möglichkeiten der Westen jetzt hat: Ein Verlust der G-8-Mitgliedschaft dürfte Putin ein bisschen ärgern, mehr nicht. Härter treffen würden den russischen Präsidenten wirtschaftliche Sanktionen der USA, etwa Reiseverbote und wirtschaftliche Strafen gegen Verantwortliche der russischen Regierung und russische Konzerne. Allerdings muss Washington fürchten, sich damit selbst zu isolieren, erklärt SZ-Korrespondent Nicolas Richter. Die russische Besetzung der Krim fordert Obama heraus wie keine andere internationale Krise, schreibt die New York Times. Es dürfte der schwierigste außenpolitische Test seiner Amtszeit werden, glaubt ein hochrangiger Diplomat. Und alles laufe hinaus auf eine Frage: Ist Obama hart genug, um es mit einem ehemaligen KGB-Offizier aufzunehmen? Dmitrij Trenin von der Carnegie-Stiftung nimmt an, dass der Kreml die westliche Empörung mittlerweile einplant - und zu ignorieren gedenkt: "Putin und Russland sind in den vergangenen Monaten im Westen so gründlich dämonisiert worden, dass Putin heute nicht glaubt, dass es noch schlimmer für ihn kommen kann."

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