Krim-Krise:Szenarien einer Angliederung

Krim-Hafen Sewastopol

Militärpräsenz: Ein russisches Kriegsschiff blockiert die Einfahrt zum Hafen von Sewastopol, der größten Stadt auf der Halbinsel Krim.

(Foto: REUTERS)

Was passiert, wenn die ukrainische Halbinsel tatsächlich an Russland angegliedert wird? Auf der Krim und in Moskau werden Chancen und Schwierigkeiten einer Annektion durchgespielt. Eine Verbindungsbrücke zum russischen Festland wurde bereits beauftragt.

Von Julian Hans, Moskau, und Tim Neshitov, Simferopol

Sowohl auf der Krim wie auch in Moskau werden Szenarien einer Angliederung der Halbinsel durchgespielt. Hauptthema sind dabei die Versorgungsstränge, die bisher weitgehend über die Ukraine laufen. Mehr als 80 Prozent des Trinkwassers auf der Krim kommen aus dem Fluss Dnepr, dessen Wasser in den Nord-Krim-Kanal geleitet wird. Aus diesem Kanal schöpfen auch die meisten Landwirtschaftsbetriebe der Krim. Der Kanal verläuft über die Landenge von Perekop, die Stelle, an der die Halbinsel am Kontinent hängt. Es ist ukrainisches Territorium. Spaltet sich die Krim ab, könnte Kiew, theoretisch, einfach den Hahn abdrehen.

Strom, Eisenbahnverbindungen, Pipelines - die Krim lebt in tiefster wirtschaftlicher Abhängigkeit vom Rest der Ukraine. Kühlere Köpfe im Internet sprechen von "ökonomischem Suizid", sollte sich die Krim abspalten. Beispiel Strom: Vier Heizkraftwerke gibt es auf der Krim, sie decken gerade noch ein Zehntel des Bedarfs. Der meiste Strom kommt aus der Kontinentalukraine - über die Landenge von Perekop und über die kleine Halbinsel Tschongar, die an die südukrainische Provinz Cherson grenzt.

Tschongar und Perekop werden diese Tage verstärkt von bewaffneten Männern kontrolliert, die der prorussischen Regierung der Krim unterstehen, darunter nach SZ-Informationen Dutzende ehemalige Verkehrspolizisten.

Bewaffnete Unbekannte bewachen die Pipelines

Gas: Der Staatskonzern mit dem langen Namen Tschernomorneftegas fördert vor Ort Zweidrittel der knapp zwei Milliarden Kubikmeter, die auf der Krim jährlich verbraucht werden. Der Konzern gehört zu 100 Prozent dem Staat und untersteht der Regierung in Kiew. Der Rest des Gases kommt über eine Pipeline. Theoretisch könnte man über diese Pipeline auch russisches Gas liefern, aber: Die Pipeline verläuft über die Ukraine.

Am Freitag beschwerte sich der Vorstand von Tschernomorneftegas, die Pipelines des Unternehmens seien im Norden von bewaffneten Unbekannten umstellt, die den Sicherheitsabstand von 200 Metern missachteten. Fünf Meter vom Rohr entfernt stehe ein gepanzertes Fahrzeug, 50 Meter vom Rohr entfernt seien mehrere Maschinengewehre platziert worden.

Eine weitere Gefahr für die Wirtschaft der Krim besteht in der Unternehmensflucht. Die Geschäftsleute auf der Halbinsel erwarten eine massive Umverteilung von Besitz. Der neue Ministerpräsident Sergej Aksjonow galt in der hiesigen Unterwelt bis vor Kurzem als begabter Erpresser, Spitzname: Goblin. "Er hat mit vielen Geschäftsleuten eine offene Rechnung", sagt ein mittelständischer Unternehmer in Simferopol.

Aksjonow zeigt sich derweil als sorgender Landesvater. Man werde schon ohne Kiew auskommen, auch wenn Kiew alle Hähne zudreht. "Das Energieministerium der Krim hat einen Aktionsplan erarbeitet, wie wir zusammen mit unseren Partnern in der Russischen Föderation eine sichere Versorgung der Krim mit Strom und Wasser aufrechterhalten können", sagte er diese Woche. Wie der Aktionsplan aussieht, sagt er nicht.

Auch in Moskau wird eine Abspaltung gedanklich durchgespielt

Auch in der russischen Hauptstadt werden die Folgen einer Abspaltung durchgespielt. Die Staatsduma in Moskau empfing eine Delegation des Krim-Parlaments wie Helden. Der Vorsitzende Sergej Naryschkin erklärte gleich zu Beginn, dass alle Anwesenden die Entscheidung vom Donnerstag für einen Beitritt zu Russland unterstützten. Die Vorsitzenden des russischen Föderationsrates, Walentina Matwienko, versprach: Sollten die Bewohner der Krim für den Beitritt stimmen, werde die Republik "zu einem gleichberechtigten Subjekt der Russischen Föderation".

Wladimir Konstantinow, Vorsitzender des Krim-Parlaments, hatte bereits in Moskau Gespräche über die Zukunft der Halbinsel geführt, als sich Präsident Janukowitsch noch in Kiew an der Macht hielt. Am Freitag rief er vor der Duma dazu auf, die Gebiete im Osten der Ukraine nicht zu vergessen: "Wir sind dazu verpflichtet, alle Anstrengungen darauf zu verwenden, nicht nur die Russen, sondern die ganze Ukraine vor dem Faschismus zu beschützen." Er hoffe, dass sich bald "nicht nur die Krim, sondern die ganze Ukraine mit Russland vereint".

Das Referendum gibt den Krim-Bewohnern die Wahl zwischen zwei Wegen der Loslösung. Die Wähler sollen sich entscheiden: "Sind Sie für eine Vereinigung mit Russland als Subjekt der Föderation?" oder: "Sind sie für die Rückkehr zur Verfassung der Republik Krim von 1992 als Teil der Ukraine?" Bis 1992 hatte die Krim noch weitergehende Autonomierechte.

Medwedjew plant Bau von Brücke zur Krim

Die juristischen Hürden für die Aufnahme der Krim wollen die russischen Abgeordneten nun im Eilverfahren beiseite räumen. Die russische Verfassung erlaubt die Aufnahme eines neuen Föderations-Subjekts nur unter der Bedingung, dass der andere Staat zustimmt und ein Vertrag nach internationalem Recht geschlossen wird. Vor einer Woche hat der Fraktionschef der Partei Gerechtes Russland, Sergej Mironow einen Änderungsantrag eingebracht, der einen Beitritt auch dann erlaubt, wenn kein zwischenstaatlicher Vertrag geschlossen werden kann, weil im anderen Staat "eine souveräne Macht fehlt, die ihre Bürger, deren Rechte und Freiheiten schützt." In diesem Fall soll ein Referendum genügen.

Zuvor hatten Abgeordnete die russische Zentralbank dazu aufgerufen, die Einführung des Rubels auf der Krim vorzubereiten. Wirtschaftsexperten warnten vor negativen Auswirkungen. Die Krim stelle Russland vor "sehr ernsthafte Probleme" sagte der Vorsitzende des Unternehmerverbandes Delowaja Rossija. Eine Entwicklung sei nur in einem günstigen Umfeld möglich, gegenwärtig sehe es aber "düster" aus.

Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew hatte unterdessen bereits am Montag angeordnet, eine weitere Verbindung zwischen Russland und der Krim zu bauen: Eine Brücke über die Straße von Kertsch soll in den nächsten fünf Jahren fertig gestellt werden.

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