Krim-Krise:Neue, schwache Ukraine

Crimean crisis reactions in Ukraine

Ein Demonstrant der Maidan-Bewegung sitzt in Kiew vor seinem Zelt.

(Foto: dpa)

Die neue Führung der Ukraine hat zwar Ansätze für dringend notwendige Wirtschaftsreformen. Doch wegen der Krim-Krise wird das Geld in die Verteidigung gesteckt, um den Anschein der Stärke zu erwecken. Beim Widerstand gegen Putin hofft Kiew auch auf die Hilfe der EU. Konkret: einen Verzicht auf russisches Gas.

Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit, Kiew

Bundeskanzlerin Merkel hat kürzlich gesagt, Wladimir Putin habe offenbar den Bezug zur Realität verloren. Diese Äußerung dürfte einer gewissen Frustration darüber entsprungen sein, dass der russische Präsident so gar nicht mit sich reden lässt. Allerdings zeigt sein Handeln, dass er die Realität des Jahres 2014 nur zu gut einschätzen kann: der Westen geschockt. Kiew gelähmt. Und die Bevölkerung der Krim und der Ostukraine genervt vom ökonomischen Niedergang seit den von Korruption, schrillem Parteienstreit und einem Mangel an integeren Politikern geprägten Wendejahren. Die Ukraine, wie sie sich seit der Unabhängigkeit präsentiert hatte, war nicht unbedingt ein Land, auf das man stolz sein konnte.

Dass das jetzt schnell anders werden wird, nachdem sich Ex-Präsident Viktor Janukowitsch abgesetzt hat und eine Art Notregierung am Ruder ist, das glauben nicht viele Ukrainer. Sie betrachten die neue Macht in Kiew wahlweise als zu schwach, weil sie finden, diese habe dem imperialistischen Gehabe Moskaus zu spät zu wenig entgegensetzt; oder sie vermuten, die Übergangsregierung sei so korrupt wie die vorige - immer noch zu viele bekannte Gesichter aus dem vergangenen Jahrzehnt, zu viele Parteigänger, zu viele Oligarchen.

Die neue Führung hat im eigenen Land weniger ein Legitimitätsproblem (diese Debatte wird eher in der EU und in Moskau geführt), und sie hat auch weniger ein Problem mit dem Vorwurf, sie sei von Neonazis durchsetzt - ungeachtet der Übergriffe von Swoboda-Abgeordneten. Die neue "Macht", wie das in der Ukraine heißt, hat vielmehr das Problem, dass sie kaum zeigen kann, was sie könnte, weil sie viel zu sehr mit der aktuellen Krise beschäftigt ist. Es gibt nämlich durchaus einige pragmatische Ansätze für Finanz- und Wirtschaftsreformen.

Einigkeit als höchstes Gut der Ukraine

Aber diese radikalen Reformen, die dringend nötig wären und von den westlichen Geldgebern vehement gefordert werden, sind derzeit, unter dem Druck der Ereignisse, nicht oberste Priorität. Stattdessen wird Geld, das nicht da ist, in die Verteidigung gesteckt, um den Anschein zu erwecken, das Land und seine Führung seien stark. Die Einigkeit der Ukraine wird im Angesicht des gemeinsamen Feindes beschworen, und weil diese Einigkeit derzeit als höchstes Gut gilt, will man das fragile Gleichgewicht nicht auch noch mit der Ankündigung höherer Energiepreise oder von Subventionskürzungen befrachten.

Putin setzt darauf, dass sich die Ukrainer im Osten des Landes mit seinen maroden Bergwerken und Stahlfabriken ein wenig mehr Wohlstand herbeiträumen - und vielleicht ihre Freiheit dafür aufzugeben bereit sind. Dass das nicht realistisch sein dürfte, weil Russland selbst im ökonomischen Niedergang begriffen ist, muss sich aber erst noch zeigen. Und auch der Traum von der starken, schützenden Hand kann schnell in einen politischen Albtraum kippen. Derzeit aber kann die neue, die andere Ukraine - die es bisher nur als Behauptung, als Vision, vielleicht gar nur als Trugbild gibt - der Bevölkerung im Osten, die vorwiegend russisches Fernsehen sieht, wenig bieten und dem Moskauer Großmachtsgebaren samt den Großmaulversprechen wenig entgegensetzen.

Daran wird auch das Assoziierungsabkommen mit der EU, das jetzt unterzeichnet wird, kurzfristig wenig ändern. Die mittelfristigen positiven Auswirkungen, die in Aussicht gestellt werden, sind Teil einer Zukunftschance, die erst noch gewonnen werden muss. Und was die Gegenwehr gegen Moskau angeht: Selbst erfahrene Politiker in Kiew verstehen nicht, warum die EU, und die Deutschen zumal, nicht einfach ganz auf russisches Gas verzichten - nur das, heißt es, würde Putin richtig schaden. Auch das ist nicht realistisch. Aber das will in Kiew niemand hören.

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