Prozess gegen ukrainischen Regisseur:Wie Russland Andersdenkende einschüchtert

Prozess gegen ukrainischen Regisseur: Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow soll 23 Jahre in russische Haft.

Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow soll 23 Jahre in russische Haft.

(Foto: AFP)

Der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow soll 23 Jahre in russische Haft, weil er Anschläge auf der besetzten Halbinsel Krim angezettelt haben soll. Das Verfahren ist ein Schauprozess.

Von Julian Hans, Moskau/Simferopol

Das letzte Wort hatten wie immer die Angeklagten. Als am Mittwoch vor dem Militärgericht in Rostow am Don die Plädoyers gehalten wurden, zitierte der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow den russischen Schriftsteller Michail Bulgakow: "Die größte Sünde auf der Welt ist die Feigheit." Das ukrainische Volk habe auf dem Maidan seine Angst vor der Macht verloren. "Ich wünsche auch den Russen, dass sie lernen, keine Angst mehr zu haben", sagte er vor dem russischen Militärgericht.

Senzow selbst hätte allen Grund, Angst zu haben. Minuten zuvor hatte die Staatsanwaltschaft 23 Jahre Haft für Senzow gefordert und 12 Jahre für den Mitangeklagten Alexander Koltschenko. Sie sollen - so die Version der Ankläger - eine terroristische Gruppe gebildet und Anschläge geplant und durchgeführt haben. Im Frühjahr 2014 wurden in der Krim-Hauptstadt Simferopol Büros der Organisation Russische Gemeinde und der Kreml-Partei Einiges Russland angezündet. Es entstand Sachschaden, die Feuer wurden schnell gelöscht.

Einer der Zeugen behauptet nun, er habe nur unter Folter ausgesagt

Die Staatsanwaltschaft sieht Senzow und Koltschenko hinter den Taten. Außerdem hätten diese geplant, ein Kriegerdenkmal und eine Lenin-Statue auf der Krim zu sprengen. Beweise habe das Gericht dafür aber nicht vorgelegt, sagt Senzows Rechtsanwalt Dmitrij Dinse. Stattdessen stützte sich das Verfahren allein auf die Aussagen von zwei weiteren festgenommenen Personen, die mit den Ermittlern kooperiert haben und dafür mit geringeren Strafen davonkommen. Keiner der beiden Belastungszeugen wollte seine Aussage vor Gericht wiederholen. Einer behauptete sogar, er habe nur unter Folter ausgesagt.

Das Verfahren trägt Züge eines Schauprozesses, der Russland-Gegner auf der Krim einschüchtern soll.

Von Folter berichtete auch der 39 Jahre alte Senzow. Nach seiner Verhaftung durch den Geheimdienst FSB im Mai 2014 sei er geschlagen worden, sagte er zu Beginn der Verhandlung. Beim Verhör hätten die Ermittler ihm eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt und gedroht, ihn zu ersticken. Für die Blutergüsse, die an Senzows Körper festgestellt wurden, hatte der FSB eine zynische Erklärung: Der Angeklagte habe sie sich aus einer masochistischen Neigung heraus selbst zugefügt.

Wie an den vorherigen Verhandlungstagen trug Senzow am Mittwoch ein T-Shirt mit traditionellen ukrainischen Mustern. Er ist in Simferopol auf der Krim geboren und stolz, Ukrainer zu sein. Erst schloss er sich der Maidan-Bewegung in Kiew an. Als russische Einheiten Basen der ukrainischen Armee auf der Krim blockierten, kehrte er auf die Halbinsel zurück und versorgte gemeinsam mit anderen Aktivisten die ukrainischen Soldaten mit Lebensmitteln.

Warnsignal an Andersdenkende

Laut russischem Geheimdienst gehörte Senzow zum nationalistischen Rechten Sektor. Sowohl er als auch der Rechte Sektor sagen, dass das nicht stimmt. Der Mitangeklagte Koltschenko, 22 Jahre alt, war vor der Annexion sogar in einer antifaschistischen Gruppe aktiv.

Das Verfahren gegen Senzow und Koltschenko ist dazu geeignet, ein Warnsignal an alle auf der Krim auszusenden, die mit dem Anschluss an Russland nicht einverstanden sind. Die Menschenrechts-Situation auf der Halbinsel hat sich laut einem Bericht von Amnesty International seit der Annexion rapide verschlechtert. Auch die Vereinten Nationen haben das festgestellt. Aktivisten der Krim-Tataren sind verschwunden. Nur noch wenige Menschen trauen sich, öffentlich zu sagen, dass sie das Vorgehen Russlands kritisch sehen.

Der Kreml verdächtigt US-Stiftungen, Umtriebe zu finanzieren

Wie es denen ergeht, zeigt das Beispiel von Leonid Kusmin. Der 25 Jahre junge Mann mit Brille wirkt fast schüchtern, wenn er erzählt, was ihm am 9. März dieses Jahres passiert ist: Zum Geburtstag des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko hatte er eine Demonstration angemeldet. Weil dort eine ukrainische Flagge enthüllt wurde mit der Aufschrift "Die Krim gehört zur Ukraine" verurteilte ihn ein Gericht zu 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit und umgerechnet 150 Euro Strafe. Am Tag nach der Aktion wurde der Geschichtslehrer von seiner Schule entlassen. Er sei "für die Tätigkeit nicht qualifiziert", steht jetzt in seinem Arbeitszeugnis. "Damit wird mich keine andere Schule in Russland mehr einstellen", sagt Kusmin. Tage später wurde er vor seinem Haus von Unbekannten überfallen und schwer verprügelt.

Fälle wie diese dringen kaum an die Öffentlichkeit. Auf der Krim gibt es keine freien Medien mehr, international bleiben Zwischenfälle unter der Aufmerksamkeitsschwelle. Um sie zu dokumentieren und Betroffene zu unterstützen, haben sich Aktivisten aus mehreren Ländern der ehemaligen Sowjetunion zur "Feldmission für Menschenrechte auf der Krim" zusammengeschlossen. Das Netzwerk ist auf einem Entwurf einer "patriotischen Stopp-Liste" aufgeführt, mit der der russische Staat "unerwünschten ausländischen Organisationen" jegliche Tätigkeit in der Russischen Föderation verbieten und Zusammenarbeit mit diesen unter Strafe stellen will.

Die Feldmission ist ein Sonderfall auf der Liste: Bei den meisten anderen handelt es sich um US-amerikanische Stiftungen, die der Kreml verdächtigt, Umtriebe zu finanzieren. Die Feldmission ist dagegen streng genommen gar keine Organisation sondern ein loser Zusammenschluss. Aber bei ihrer Einschätzung der Menschenrechtslage auf der Krim greifen eben auch Amnesty International oder die Vereinten Nationen auf ihre Dokumentationen zurück, was dem Kreml nicht gefällt. Die Einschüchterung wirkt: "Wir lassen unsere Arbeit auf der Krim vorläufig ruhen", sagt der Sprecher der Feldmission, Andrej Jurow.

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