Kriegsverbrecher:Ein bisschen Gerechtigkeit - doch Karadžićs Ungeist lebt weiter

Kriegsverbrecher: Radovan Karadžić in Den Haag

Radovan Karadžić in Den Haag

(Foto: AP)

Der Kriegsverbrecher Radovan Karadžić muss 40 Jahre ins Gefängnis. Doch er hat sein Hauptziel erreicht, sein Einfluss ist gut sichtbar.

Kommentar von Florian Hassel

Gut zwanzig Jahre hat es gedauert, bis der Hauptverantwortliche für eines der schlimmsten europäischen Verbrechen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts seine Strafe bekommen hat. Radovan Karadžić, serbischer Psychiater, Schriftsteller, dann Kriegstreiber und Massenmörder, ist vom Internationalen Jugoslawien-Tribunal in Den Haag zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt worden - nicht nur, aber auch für den Völkermord von Srebrenica (hier das Urteil im Wortlaut).

Dort wurden auf Befehl von Karadžić, damals Chef der bosnischen Serben und Oberkommandeur ihrer Armee, im Juli 1995 rund 8000 muslimische Männer und Jungen ermordet. Dass die Den Haager Richter ihn nicht nur wegen Angriffen auf Zivilisten, Vertreibung, Terror, Geiselnahme und Mord schuldig sprachen, sondern auch wegen Völkermord, ist ein Mindestmaß an historischer Gerechtigkeit für seine insgesamt Zehntausende Opfer - und Hunderttausende Hinterbliebene.

Doch wahr ist auch, dass Karadžić, selbst wenn er den Rest seiner Tage hinter Gitter verbringen muss, sein Hauptziel erreicht hat. Die fast nur noch von Serben bewohnte Republika Srpska (RS), die er durch Mord, Vertreibung und Völkermord aus Bosnien herausbrach, ist Realität. Das Überleben Bosniens, zu dem die RS formell gehört, ist mittel-und langfristig zweifelhaft. Der Konflikt ist nur eingefroren.

Zwar haben Staatsanwälte und Richter in Den Haag die historische Wahrheit allein im Fall Karadžić auf drei Millionen Seiten dokumentiert. Doch weder in der RS noch beim EU-Kandidaten Serbien werden die Dokumente gelesen, sind der Krieg und die massiven eigenen Verbrechen bisher aufgearbeitet worden. Immer noch stilisieren sich viele Serben zu Opfern, gilt Karadžić weiter als Held und sein mörderischer Nationalismus als gerechtfertigt. Von Einsicht, Versöhnung gar fehlt fast jede Spur.

In der Republika Srpska weihte der heutige Präsident Milorad Dodik erst vor ein paar Tagen ein Studentenwohnheim zu Ehren Karadžićs ein, nannte ihn "einen Mann mit Stärke und Charakter" und das bevorstehende Urteil gegen ihn nicht Gerechtigkeit, sondern "Rache". Eigentlich müsste die internationale Gemeinschaft den auch sonst Zwietracht säenden und ein einheitliches Bosnien sabotierenden Dodik absetzen - wozu sie rechtlich immer noch berechtigt ist. Doch angesichts etlicher anderer internationaler Krisen fehlt der Gemeinschaft die Energie, sich nachhaltig auf dem Balkan zu engagieren. Dort ist der Ungeist von Radovan Karadžić noch längst nicht besiegt.

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