Kriegsverbrechen:Anklage nach 65 Jahren

Der frühere SS-Mann Heinrich Boere soll 1944 drei Zivilisten erschossen haben - das Verfahren gegen einen weiteren Greis könnte im Herbst in Aachen starten.

Hans Holzhaider

Es ist das Jahr der Greise - die letzte Runde der strafrechtlichen Aufarbeitung von Naziverbrechen durch die deutsche Justiz. In München steht die Urteilsverkündung gegen den 90-jährigen Josef Scheungraber bevor, der ein von deutschen Gebirgsjägern veranstaltetes Massaker in Italien befohlen haben soll. Ebenfalls in München wartet John Demjanjuk, 89, der als Aufseher im Vernichtungslager Sobibor an der Vernichtung von 29.000 Juden beteiligt gewesen sein soll, auf seinen Prozess.

Kriegsverbrechen: Heinrich Boere, 88, wird beschuldigt, 1944 in den von den Deutschen besetzten Niederlanden drei unschuldige Zivilisten erschossen zu haben.

Heinrich Boere, 88, wird beschuldigt, 1944 in den von den Deutschen besetzten Niederlanden drei unschuldige Zivilisten erschossen zu haben.

(Foto: Foto: AP)

Nun steht in Aachen ein weiterer Prozess gegen einen sehr alten Mann bevor: Heinrich Boere, 88, wird beschuldigt, 1944 in den von den Deutschen besetzten Niederlanden drei unschuldige Zivilisten erschossen zu haben. Am Dienstag entschied das Oberlandesgericht Köln, Boere sei trotz einer schweren Herzerkrankung zumindest eingeschränkt verhandlungsfähig.

Es gibt keine Zweifel

Anders als in den Fällen Demjanjuk und Scheungraber gibt es im Fall Boere keinen Zweifel daran, dass der Beschuldigte die Taten, die ihm zur Last gelegt werden, tatsächlich begangen hat. Boere, Sohn eines niederländischen Vaters und einer deutschen Mutter, hatte sich 1940 als 18-Jähriger freiwillig zur Waffen-SS gemeldet und wurde nach zweijährigem Einsatz an der Ostfront dem SS-Sonderkommando "Feldmeijer" zugeteilt.

Dieses Kommando sollte, angeblich auf persönlichen Befehl Hitlers, als Vergeltung für Anschläge auf deutsche Soldaten oder Einrichtungen der Besatzungstruppen Personen erschießen, die vermeintlich mit Widerstandskämpfern sympathisierten. Mehr als 50 Menschen fielen diesen Mordaktionen zum Opfer, die wegen des dabei benutzten Codewortes in den Niederlanden als "Silbertannen-Morde" bekannt wurden.

Bei drei solchen Aktionen soll Heinrich Boere selbst die tödlichen Schüsse abgegeben haben. Am 14. Juli 1944 betrat er der Anklage zufolge mit einem zweiten SS-Mann die Apotheke von Fritz Bicknese in Breda, zog eine Pistole aus der Manteltasche und erschoss den arglosen Mann. Am 3. September desselben Jahres klingelte er an der Tür des Fahrradhändlers Teunis de Groot in Voorschoten. Der beugte sich aus dem Fenster, nannte auf Boeres Frage seinen Namen, worauf Boere ihn ebenso wie den Apotheker Bicknese ohne weiteren Wortwechsel niederschoss. Noch am selben Tag suchten die beiden SS-Männer Frans-Willem Kusters im Nachbarort Wassenaar auf, nahmen ihn unter einem Vorwand im Auto mit, täuschten eine Panne vor und erschossen auch ihn.

Versteckt in Holland

Heinrich Boere wurde nach Kriegsende in den Niederlanden inhaftiert, konnte aber 1947 aus dem Polizeigewahrsam fliehen. Bis 1954 hielt er sich in Holland versteckt, dann kam er zurück nach Deutschland. Ein Sondergericht in Amsterdam verurteilte ihn am 18. Oktober 1949 in Abwesenheit zum Tode, die Strafe wurde später in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. Boere baute sich unterdessen in Deutschland eine bürgerliche Existenz als Bergmann auf, von der Justiz blieb er lange unbehelligt.

Erst im Jahr 1980 beantragten die Niederlande seine Auslieferung, die verweigert wurde, weil Boere zwar staatenlos ist, aber höchster Rechtsprechung zufolge wie ein deutscher Staatsbürger zu behandeln war, weil er 1943 einen Eid auf Hitler abgelegt hatte. Allerdings nahm die Staatsanwaltschaft Dortmund das holländische Ersuchen zum Anlass, ein Ermittlungsverfahren gegen Boere einzuleiten. Der damalige Oberstaatsanwalt Hermann Weissing stellte das Verfahren 1984 ein, weil er die Erschießungen als eine nach der Haager Landkriegsordnung zulässige Repressalie bewertete und weil Boere nur auf Befehl von Vorgesetzten gehandelt habe.

"Ich sehe das anders", sagt Ulrich Maaß, der heute die Sonderabteilung NS-Verbrechen bei der Staatsanwaltschaft Dortmund leitet. Er nahm das Verfahren wieder auf, nachdem die Niederlande im Jahr 2003 beantragt hatten, das Sondergerichtsurteil von 1949 gegen Boere in Deutschland zu vollstrecken. Das wurde zwar abgelehnt, weil Boere damals nicht angemessen verteidigt worden sei, aber im April vergangenen Jahres erhob Maaß gegen Heinrich Boere Anklage wegen Mordes in drei Fällen. Nachdem das OLG Köln nun die Verhandlungsfähigkeit Boeres bestätigt hat, kann der Prozess möglicherweise noch in diesem Herbst beginnen. Einer der damaligen Mittäter Boeres lebt noch und soll als Zeuge aussagen.

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