Krieger aus dem Kaukasus:"Ein Tschetschene tut, was sein Anführer befiehlt"

Pro-Russian separatist from the Vostok battalion poses for a picture atop a T-64 tank in Donetsk, eastern Ukraine

Männer fürs Grobe: Nahe Donezk posiert ein Kämpfer der prorussischen Einheit "Wostok", bei der Dutzende Tschetschenen mitmachen.

(Foto: Maxim Zmeyev/Reuters)

Kampferprobte Kaukasier machen derzeit in der Ostukraine auf Seiten der russischen Rebellen Karriere. Aber auch im Irak sowie in Syrien auf Seiten der Dschihadisten. Krieger wie "Omar der Tschetschene" sind gefürchtete Exportschlager des Kaukasus.

Von Florian Hassel, Donezk, und Sonja Zekri, Kairo

Sie gelten als Männer fürs Grobe, gestählt im Städtekampf, im Guerillakampf, in Jahren des Krieges gegen Russland: Tschetschenen sind heute der meistgefürchtete Exportschlager des Kaukasus. Sie töten und sterben in Syrien, im Irak, in der Ukraine. Lange war der Kaukasuskrieg ein Magnet für ausländische Kämpfer. Heute ist der Konflikt - nie wirklich befriedet, aber kaum noch beachtet -, ein Motor fremder Kriege.

Dabei könnten die Missionen der Tschetschenen im Nahen Osten und jener in der Ukraine nicht weiter auseinander liegen. Die russische Republik Tschetschenien wird seit 2004 von Ramsan Kadyrow regiert, einst Rebell gegen Russland, heute bedingungsloser Anhänger Präsident Wladimir Putins. In Syrien und im Irak haben sich tschetschenische Gotteskrieger - erbitterte Gegner des Kreml und Kadyrows - in den globalen Dschihad eingereiht.

In der Ostukraine aber kämpfen tschetschenische Kreml-Loyalisten. Aktive oder ehemalige Kämpfer von Einheiten des russischen Innenministeriums oder des Generalstabes fechten für Moskau einen Stellvertreterkrieg aus. Tschetschenen, aber auch Söldner aus den Nachbarvölkern wie Osseten oder Dagestaner mit ihrer Kampferfahrung, auch im Ausland, sind für den Kreml ideal für den mittlerweile kaum noch verdeckten Einsatz in der Ukraine.

Ende Mai paradierten die Tschetschenen erstmals in Donezk

Öffentlich tauchten die Tschetschenen dort erstmals Ende Mai auf. Da inszenierten die prorussischen Rebellen in ihrer Hochburg Donezk eine kleine Militärparade. Fünf russische Militärlastwagen fuhren am Leninplatz auf und präsentierten den Anhängern der von den Rebellen ausgerufenen "Volksrepublik Donezk" erstmals ihre stärkste Waffe: das Bataillon Wostok (Osten), unter ihnen Dutzende erprobte Kämpfer aus Tschetschenien.

Der offiziellen Vorstellung in Donezk folgte ein blutiger Kampfeinsatz. Am 27. Mai versuchte das Bataillon Wostok, den von der ukrainischen Armee kontrollierten Flughafen von Donezk für die Rebellen zu erobern.

Doch ukrainische Fallschirmspringer und Kampfflugzeuge wehrten den Angriff ab und töteten Dutzende Rebellen. Donezks Bürgermeister Anatolij Lukjantschenko sagte, etliche am Flughafen getötete oder verwundete Rebellen hätten "einen russischen Pass und kommen aus Moskau, Grosnij oder Gudermes"; die beiden letzten sind die größten Städte Tschetscheniens. Es war das erste Mal, dass die Teilnahme der Tschetschenen am Krieg in der Ostukraine offiziell bestätigt wurde.

Zur Beerdigung in die Heimat

Mit einem langen Kühllastwagen wurden allein nach diesem Kampf die Leichen von bis zu 45 Tschetschenen aus Donezk zur Beerdigung in ihre Heimat gebracht, berichten in Grosnij Einheimische dem Fachdienst Kawkaskij Uzel (Kaukasischer Knoten).

Seitdem sind freilich offenbar noch mehr Tschetschenen und andere russische Einheiten in die Ostukraine gekommen. In Donezk berichtete ein Unterhändler mit Kontakten zu den Rebellen der SZ Mitte Juli über mindestens 70 Tschetschenen in einer einzigen Rebelleneinheit.

"In der ganzen Stadt Tschetschenen"

In der Nachbarstadt Makeewka tauchten tschetschenische Kämpfer in größerer Zahl "zum ersten Mal erst im Juni auf", berichtet die Einwohnerin Wika Sadoraschnju. Und auch im 100 Kilometer entfernten Slawjansk bestätigen etliche Einwohner, dass bis zur Rückeroberung der Stadt durch die ukrainische Armee am 5. Juli "in der ganzen Stadt Tschetschenen" unter den Separatisten kämpften.

Kreml-Propagandisten verbrämen den Einsatz russischer "Freiwilliger" in der Ukraine als patriotischen Kampf gegen angeblichen Faschismus. Tatsächlich folgt das Vorgehen der sowjetischen, dann auch in Russland gepflegten Tradition maskierter Stellvertreterkriege, von Abchasien und Transnistrien bis zu Georgien.

Wie man einen blühenden Staat in Chaos verwandelt

Russlands Generalstabschef Walerij Gerasimow erläuterte die modernisierte Variante des verdeckten Krieges Ende Februar 2013 im Fachblatt Militärisch-Industrieller Kurier: Durch politischen und wirtschaftlichen Druck, massive Propaganda, das Aufstacheln von Protesten der einheimischen Bevölkerung sowie "verdeckte Militärmittel" und Spezialeinheiten könne selbst "ein blühender Staat innerhalb von Monaten oder selbst Tagen in eine Arena erbitterten bewaffneten Konflikts verwandelt werden, Opfer fremder Intervention werden und in ein Netz von Chaos, humanitärer Katastrophe und Bürgerkrieg sinken".

Einige Monate später trat auf einer dem "verdeckten Krieg" gewidmeten Veranstaltung in Moskau der Geheimdienstoberst Igor Girkin (Kampfname "Strelkow") auf. Girkin, von der EU und Washington als aktiver Offizier der Spionage- und Sabotageabteilung des russischen Generalstabes identifiziert, hat das Oberkommando über die Rebellen - und über die aus Tschetschenien angereisten Kämpfer.

Erfahrung bei der Invasion Georgiens

Nach dem offiziellen Ende des zweiten Tschetschenienkrieges 2001 wurden Tausende Ex-Rebellen als Bataillone "Nord" und "Süd" nominell Russlands Innenminister unterstellt, dem Spezialisten Mark Galeotti zufolge mehr als 5000 Mann. Zwei weitere, abermals Tausende Ex-Rebellen zählende Einheiten unterstanden als Bataillone Sapad (Westen) und Wostok der GRU, der Spionage- und Sabotageabteilung des russischen Generalstabes, zu der auch Igor Girkin gehört.

Im Ausland sammelten Wostok-Kämpfer schon vor dem Ukrainekonflikt Erfahrung: Im Sommer 2008 setzte Russlands Generalstab Wostok bei der Invasion Georgiens ein. Ende 2008 wurden Sapad und Wostok angeblich aufgelöst. Zumindest Wostok erlebt indes in der Ostukraine mit offenbar hervorragender Finanzierung seine Wiederauferstehung. Dem Kaukasischen Knoten sagten Einheimische zudem, dass die in der Ukraine kämpfenden Tschetschenen aus Sapad und Wostok und aus weiteren tschetschenischen Sicherheitseinheiten stammen.

Republikchef Kadyrow hat nun humanitäre Hilfe von 7,5 Millionen Dollar für die Rebellenrepubliken in der Ostukraine angewiesen. Das Geld sei für die medizinische Versorgung der Bevölkerung, teilte er im sozialen Netzwerk Instagram mit. Er reagiere damit auf die Ankündigung der USA, der Führung in Kiew für den Wiederaufbau der zerbombten Regionen im Osten sieben Millionen Dollar bereitzustellen, berichteten russische Medien.

Karriere im Exil: Omar der Tschetschene

Die Tschetschenen im Nahen Osten hingegen könnten kremlfeindlicher kaum sein. Das bekannteste Gesicht des tschetschenischen Dschihad trägt hier einen roten Bart und den bürgerlichen Namen Tarchan Batiraschwili, für seine Mitstreiter aber ist er nur "Omar al-Schischani", Omar der Tschetschene. Er ist einer der mächtigsten Kommandeure, vielleicht sogar der wichtigste militärische Führer der Terrortruppe "Islamischer Staat" (IS).

Omar al-Schischani hasst Russland, aber ebenso hasst er Amerika, und beides ist Folge seiner Biografie. Geboren wurde er im Pankisi-Tal, einer malerischen, doch kargen Ebene in Georgien. Das Pankisi-Tal ist lange schon eine Zuflucht für Tschetschenen, die vor den russischen Bombern flohen, aber auch eine Brutstätte des Extremismus.

Altmodisches Hocharabisch, putziges Russisch

Omar al-Schischani, geboren 1984 als Sohn einer muslimischen Mutter und eines christlichen Vaters, war Soldat der georgischen Armee, die Washington mit Millionen Dollar ausgerüstet und ausgebildet hat. Im kurzen russisch-georgischen Krieg 2008 soll er die Stellungen russischer Panzer an Georgiens Artillerie verraten haben, erkrankte später an Tuberkulose, wurde entlassen, geriet auf die schiefe Bahn und kam wegen illegalen Waffenbesitzes ins Gefängnis.

Als er entlassen wurde, sagte er zu seinem Vater Teimuras Batiraschwili: "Niemand braucht mich hier", so erinnerte sich der Alte gegenüber der BBC. Dann zog er als Omar der Tschetschene nach Syrien. Das Regime des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist ein Verbündeter Russlands. Für den Russlandhasser Omar war Assads Syrien ein gutes Ziel, für den Gotteskrieger aber natürlich irgendwann, irgendwie auch der Westen.

Heute ist Omar-Tarchan eine der prominentesten Figuren der IS-Dschihadisten und womöglich nicht nur Kommandeur der syrischen Abteilung, sondern militärischer Chef der ganzen syrisch-irakischen Operation. Während der Anführer des "Islamischen Staates", Abu Bakr Al-Baghdadi, eher medienscheu ist, posiert sein tschetschenischer Kommandeur an der syrisch-irakischen Grenze in erbeuteten Humvees im Kreise Vermummter.

Vertrieben von der Armut?

Er spricht ein altmodisches Hocharabisch voller religiöser Wendungen, allerdings so schlecht, dass es untertitelt ist, oder ein, nun ja, putziges Russisch. Seine Botschaft aber ist klar wie der Tod: Gott selbst werde das neu ausgerufene Kalifat zum Triumph führen "oder uns das Märtyrertum schenken".

Seinen Vater Teimuras überzeugt das alles nicht besonders: Die Armut im Pankisi-Tal habe seinen Sohn vertrieben, die Perspektivlosigkeit, nicht der Fanatismus.

Aber drei seiner anderen Söhne wurden auch radikale Islamisten. Wie viele andere. 201 tschetschenische Kämpfer sollen aus dem Pankisi-Tal nach Syrien gezogen sein, schätzt die BBC. Und der russische Geheimdienstchef Alexander Bortnikow vermutet, dass 500 Militante aus Russland nach Syrien gegangen sind und Hunderte weitere aus früheren sowjetischen Republiken.

"Ein Tschetschene tut, was sein Anführer ihm befiehlt"

Verglichen mit den Tausenden übereifrigen, aber schlecht ausgebildeten Jung-Dschihadis aus dem Westen sind die Tschetschenen nicht sehr zahlreich. Aber dafür sind sie auch nicht nur Kanonenfutter. Omar al-Schischani gewann den Respekt seiner Mitstreiter durch Angriffe auf Militärbasen im syrischen Aleppo, vor allem auf einen Luftwaffenstützpunkt im vergangenen August. Lange hatten die Rebellen die Anlage vergeblich einzunehmen versucht. Dann kamen die Tschetschenen.

"Ein Tschetschene hat keine Ahnung, worum es in einem Land geht, aber er tut, was sein Anführer ihm befiehlt", beschreibt Hussein Nasser, Sprecher der syrischen Rebellen-Gruppe "Islamische Front" gegenüber Medien seine Beobachtung: "Selbst wenn sein Emir ihm befiehlt, ein Kind zu töten - er würde es tun."

Neid und Abscheu

Natürlich weckt das Abscheu, Neid ohnehin. Im syrischen Rakka, wo die IS-Dschihadisten monatelang Kraft sammelten für ihren Angriff auf den Irak, zogen die Tschetschenen mit Frau und Kind ein. Manche Syrer kritisierten, dass die Kaukasier in Saus und Braus lebten, Restaurants besuchten, haufenweise Lebensmittel kauften, westliche Schokolade für ihre Kinder. Und teure Handys und Computer sollen sie auch haben. Besser als den Tschetschenen, heißt es, gehe es nur den Saudis.

Das kann stimmen oder nicht. Sicher ist nur, dass Omar der Tschetschene mehr Feinde als Anhänger hat. Im Internet nennt ihn ein anderer Tschetschene "Omar die Ratte".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: