Krieg und Staatskunst:Ende der Versöhnungsgesten

Jules Favre mit Otto von Bismarck, 1871

Preußens Ministerpräsident Otto von Bismarck (am Tisch) weist den französischen Außenminister Jules Favre an, wo er den sogenannten Friedensvertrag unterschreiben soll. Das Dokument beendete den deutsch-französischen Krieg, der von einer neuen, republikanischen Regierung weitergeführt wurde.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Von 1814 bis 2014, von Napoleon bis Nahost: Warum es immer schwieriger wird, einen Frieden zu schließen, der mehr ist als eine Feuerpause.

Von Gustav Seibt

In diesem Jahr denkt Europa nicht nur an den Ersten Weltkrieg, es erinnert sich auch an den Wiener Kongress von 1814/15, der die Revolutionskriege seit 1792 beendete. Wer die beiden Daten aufeinander bezieht, muss feststellen: In den hundert Jahren dazwischen hat Europa die Fähigkeit zu dauerhaften Friedensschlüssen verloren.

Schon der Krieg zwischen Preußen-Deutschland und Frankreich im Jahr 1870/71 ließ sich nur noch mit Mühe in einem Vertragswerk beenden. Der Versailler Vertrag, der 1919 nach dem Ersten Weltkrieg eine neue internationale Ordnung begründen sollte, so wie es die Wiener Schlussakte von 1815 geleistet hatte, scheiterte innerhalb weniger Jahre.

1919 wurde der Besiegte diplomatisch brüskiert

Dabei war die Gründung eines Völkerbunds als Versuch einer Verrechtlichung der Staatenordnung 1919 Teil des Vertragswerks, darin vergleichbar dem in Wien verkündeten Prinzip der Legitimität.

Doch anders als 1814/15 wurde 1919 die besiegte Macht nicht als gleichberechtigter Partner zugelassen; Abschluss und Unterzeichnung des Vertrages fanden in Formen diplomatischer Brüskierung statt, die in früheren Jahrhunderten unvorstellbar gewesen wären und einen schneidenden Gegensatz zu der herausgehobenen Rolle darstellen, die der französische Vertreter Talleyrand in Wien hatte spielen dürfen.

Noch Bismarck hatte bei den mühseligen Verhandlungen mit dem geschlagenen Frankreich 1870/71 bei aller Härte der Bedingungen auf maximale Courtoisie im diplomatischen Verkehr geachtet.

Doch Adolphe Thiers, der französische Vertreter, stand unter dem Druck einer national aufgeputschten Öffentlichkeit, und wochenlang war nicht klar, ob er überhaupt die Macht haben würde, einen Frieden mit dem verhassten Feind abzuschließen.

Schon 1814 begleitete die Kämpfer der Hass

Damals geisterte das Gespenst des Volkskriegs durch Frankreich; der preußische Oberbefehlshaber Moltke fürchtete sich davor, einen "Exterminationskrieg" samt vollständiger Besetzung des Landes aufgezwungen zu bekommen.

Auch 1814 war bei den Kämpfern des Befreiungskriegs viel, gern literarisch artikulierter Hass unterwegs - zu opferreich waren die vorangegangenen napoleonischen Jahre vor allem in Deutschland gewesen. Doch anders als 1870 und 1919 waren die nationalen Öffentlichkeiten 1814 noch nicht stark genug, um ihre Unversöhnlichkeit an die grünen Tische in den Staatszimmern zu tragen.

Gneisenau hätte am liebsten die Pariser Brücken gesprengt

Napoleon Bonaparte, 1804

Napoleon Bonaparte (1769-1821), Kaiser der Franzosen, im Krönungsornat. Stich von W. Holl nach einem Gemälde von Francois Gerard.

(Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Die Rachegelüste der preußischen Generäle nach dem zweiten Sieg über Napoleon bei Waterloo - der sensible Gneisenau hätte am liebsten die Brücken von Paris gesprengt - konnten noch abgewehrt werden.

Zwischen 1814 und 1919 vollzog sich der Aufstieg von Nationalismus, Massenpresse und Demokratie. Auch das Umfeld der Außenpolitik demokratisierte sich. Im 20. Jahrhundert hat es in Europa keine großen Friedensschlüsse mehr gegeben, nachdem Zerstörung und Hass die Zivilbevölkerungen in nie gekanntem Ausmaß erreicht hatten.

Das 1945 bedingungslos besiegte Deutschland schied zunächst als Akteur aus, sodass Teilregelungen und der neue Konflikt des Kalten Kriegs das unlösbare Problem eines europäischen Friedens stillstellten.

Auch nach 1945 flossen viele Reparationsleistungen aus dem besetzten Deutschland ab, vor allem aus dem Osten, doch der Anspruch einer umfassenden Wiedergutmachung wurde mit guten Gründen nicht erhoben. Grenzverschiebungen und Umsiedlungen fanden ohne Zustimmung der besiegten Macht statt.

Völker müssen sich versöhnen

An die Stelle von Friedensschlüssen traten provisorische Regelungen, die sich in eine neue übernationale Ordnung einfügten, deren Grundriss sich sogar übers Ende des Kalten Kriegs und die Wiedervereinigung Deutschlands hinaus halten konnte. Voraussetzung der nachhaltigen Beruhigung war, dass sich im Schatten der friedensvertragslosen Weltordnung während der Blockkonfrontation etwas Neuartiges abgespielt hatte, nämlich Versöhnungen.

Denn die Versöhnung der Völker musste im Zeitalter von Demokratie und Nationalstaat das diplomatische Instruments des Friedensvertrags ersetzen. Völker müssen sich versöhnen, während Könige mit Verträgen vorlieb nehmen konnten, gern besiegelt mit einer Eheschließung.

Und so fanden schon im Kalten Krieg Versöhnungen Deutschlands mit den beiden Nachbarnationen statt, die am meisten unter den Deutschen gelitten hatten, mit Frankreich und mit Polen.

Wie aber gelang dies? Natürlich durch viele kleinteilige Regelungen, vor allem mit Frankreich, durch Jugendwerke, Regierungstreffen, Handel, Verkehr, durch die europäische Integration; im Falle Polens durch Ostpolitik, Verzicht auf alte Rechnungen, Nichtangriffsversprechen, 1990 dann eine definitive Grenzregelung, keine Selbstverständlichkeit nach der Westverschiebung Polens.

Abbau des Hasses durch symbolische Akte

Elysee-Vertrag

Versöhnungsgeste im Élyseé: Bundeskanzler Konrad Adenauer (Vordergrund, l) und der französische Präsident Charles de Gaulle (Vordergrund, r) umarmen sich nach Unterzeichnung des des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages am 22. Januar 1963 in Paris.

(Foto: dpa)

Am Ende stand auch hier die Eingliederung in eine gemeinsame internationale Ordnung mit EU und Nato. Doch der Abbau des Hasses vollzog sich durch symbolische Akte. Der gemeinsame Gottesdienst und die Umarmung von Adenauer und de Gaulle 1962 in der Kathedrale von Reims, die die Deutschen 1914 beinahe zerstört hätten, die gemeinsame Trauer von Mitterand und Kohl in Verdun schufen starke Bilder, die auf beiden Seiten wirkten. Noch überboten wurden sie vom Kniefall Willy Brandts in Warschau.

Die Wirkmacht solcher Gesten und Bilder zeigte, dass hier nicht nur beauftragte Politiker agierten, sondern Staatsmänner, die das persönliche Gewicht hatten, stellvertretend für ihre Gesellschaften zu handeln. De Gaulle, Adenauer, Brandt - sie traten unter den Bedingungen von nationalen Öffentlichkeiten, ihrer Medien und ihrer Bildkanäle, an die Stelle früherer Könige, die durch Minister Verträge schreiben ließen.

Die Zeitgeschichte hat auch später noch solche Momente gesehen: Camp David mit Rabin und Arafat war ein Anlauf, auf diese Weise den israelisch-palästinensischen Konflikt zu beruhigen. Selbst Nixons Reise nach China 1972, nicht umsonst Opernstoff geworden, gehört als Medienereignis in diese Reihe.

Lässt sich aus den europäischen Erfahrungen mit Krieg und Völkerhass, mit Frieden und Versöhnung, etwas lernen für den israelisch-palästinensischen Konflikt, den Henry Kissinger einmal trocken "unlösbar" nannte? Wenn die ineinander verkrallten Völker sich nicht gegenseitig auslöschen oder vertreiben wollen, dann werden sie sich versöhnen müssen.

Kühle Sicherheitsfachleute behaupten, dass die sachlichen Regelungen für ein gedeihliches Miteinander längst erörtert seien, aber das bedeute nicht, dass man sich deshalb mögen müsse. Am Ende müsse eine regionale Ordnung den Konflikt rahmen. Das könnte sich als Illusion erweisen.

Ohne gemeinsame Gefühle keine Befriedung

Zwar führte der Weg zum Frieden Deutschlands mit seinen Nachbarn auch über die Internationalisierung der Beziehungen zwischen den einzelnen Staaten. Auch stellte die gemeinsame deutsch-französische Aufsicht über die Schwerindustrie an Ruhr und Saar seit den späten vierziger Jahren eine bedeutende Garantie dar; etwas ähnliches könnte zwischen Israel und den Palästinensern ein gemeinsames Wasserregime bedeuten.

Aber ganz ohne Gefühle, ohne Gesten, gemeinsame Trauer, Anerkennung der Leiden des Anderen, ohne glaubwürdiges stellvertretendes Handeln wird es nicht gehen.

Es ist bitter, dass außer ein paar mutigen Intellektuellen, darunter auch großartigen Journalisten vor allem in Israel, derzeit kein Personal für diese Dimension der Verständigung sichtbar ist. Israel und die Palästinenser haben keine Staatsmänner. Das ist in seinem solchen Konflikt, der täglich neue Traumata erzeugt, furchtbar.

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