Krieg in Syrien:Wann hört das auf?

Krieg in Syrien: Zerstörte Häuser in der belagerten Rebellenhochburg Ost-Ghouta.

Zerstörte Häuser in der belagerten Rebellenhochburg Ost-Ghouta.

(Foto: AFP)
  • Seit fast sieben Jahren schon tobt der Krieg in Syrien - und noch immer ist kein Ende in Sicht.
  • Das liegt auch daran, weil zig unterschiedliche Akteure in dem Konflikt mitmischen.
  • Viele kleinere Konfliktherde bilden so einen großen Krieg.

Von Tomas Avenarius

Ein abgebrühter Diplomat lässt sich nicht beeindrucken, da können die Fotos und Videos noch so grausam und blutig sein. Wassili Nebensja, der Moskau bei den Vereinten Nationen in New York vertritt, bezeichnet die seit Tagen einlaufenden Berichte über das große Sterben in der syrischen Rebellenhochburg Ost-Ghouta und die Fotos von den bei Luftangriffen getöteten Frauen und Kindern einfach "als koordinierte Gerüchte und propagandistische Katastrophenszenarios". Basta.

Oder er spricht gleich von "Wahnvorstellungen" der Weltöffentlichkeit. Russlands neuer "Mister Njet" im UN-Sicherheitsrat wollte auch vor der nächsten Syrien-Abstimmung des wichtigsten Gremiums der Weltorganisation am Freitag nichts davon hören, dass bei den Kämpfen des Assad-Regimes gegen die ländliche Rebellenhochburg am Rand von Damaskus vor allem Zivilisten sterben und offenbar sogar Kliniken gezielt bombardiert werden. Originalton Nebensja: "Es wird da der Eindruck erweckt, als bestünde das gesamte Ost-Ghouta aus Hospitälern, und genau nur auf die schießt Syriens Armee." Das, so der Moskauer Diplomat, laufe für ihn unter dem Begriff "Informationskrieg".

Über das Blutbad, das Syriens Machthaber Baschar al-Assad vor den Toren seiner Hauptstadt und Luftlinie keine zehn Kilometer von seinem auf einem Bergrücken liegenden Palast entfernt anrichtet, wird seit Tagen berichtet. Weit mehr als 400 Menschen sollen allein in dieser Woche getötet, ungezählte verletzt worden sein. Kanzlerin Angela Merkel sprach von einem "Massaker" und dem "Kampf eines Regimes nicht gegen Terroristen, sondern gegen seine eigene Bevölkerung". Das trifft die Situation: Aus der Luft bombardieren syrische und angeblich auch russische Jets und Helikopter, am Boden schießt die Artillerie des Regimes die wild hochgezogenen Städtchen in Ost-Ghouta sturmreif.

Eine Bodenoffensive soll folgen. Assads "Tiger"-Division, eine berüchtigte Eliteeinheit der Armee, sammelt sich; ein ebenfalls für seine Brutalität bekannter Tiger-General kündigt an, den Menschen im Rebellengebiet "eine Lektion zu erteilen, die sie nicht vergessen werden". Dass der Offizier nur die in Ost-Ghouta verschanzten Rebellen meint, die zum Großteil beinharte Islamisten sind, muss bezweifelt werden: Das Regime unterscheidet nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten, zwischen Unterstützern der Aufständischen und denen, die sich weder der Armee noch der Rebellen erwehren können.

Das ist die Ausgangslage, in welcher der UN-Sicherheitsrat am Freitagabend erneut versuchte, wenigstens einen 30-tägigen Waffenstillstand für Ost-Ghouta durchzusetzen. Dann könnten Verletzte in Sicherheit gebracht und die hungernden Zivilisten mit Lebensmitteln versorgt werden, während die Diplomaten in und außerhalb des Sicherheitsrats Lösungen suchen.

Es geht um viele kleinere Konflikte, die sich in dem einen großen Krieg verbergen

Nur - das bringt Syrien nach sieben Jahren keinen Frieden. Es geht nicht allein um das Schicksal der 400 000 Menschen in Ost-Ghouta, der Syrienkrieg wird mit dem absehbaren Fall der Rebellenhochburg nicht enden. Es geht ebenso um die belagerten Bastionen der Aufständischen in der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei, dort leben zwischen den Aufständischen viele Hunderttausend Flüchtlinge. Es geht um die Rebellenbasis Deraa an der Grenze zu Jordanien.

Es geht um die umkämpfte Kurdenregion Afrin, in der inzwischen auch die türkische Armee mitbombt; dort sollen nun Hunderte türkische Elite-Polizisten in der Stadt Afrin im Häuserkampf gegen die Kurden zum Einsatz kommen. "So Gott will, werdet ihr eure Pflichten erfüllen und gesund nach Hause zurückkehren", so hat ein hoher türkischer Polizeioffizier in Ankara rund 150 Männer verabschiedet, berichtet jedenfalls die Zeitung Hürriyet online.

Kurz: Es geht um viele kleinere Konflikte, die sich in dem einen großen Krieg verbergen, überlappen, gegenseitig befeuern. Welcher Staatsmann, welche Macht oder welche supranationale Organisation könnte in Syrien also in absehbarer Zeit überhaupt noch Frieden möglich machen? Endet dieser Krieg in einem, in fünf oder erst in zehn Jahren? In Afghanistan wird seit vier Jahrzehnten gekämpft. Der Bürgerkrieg in Libanon fand erst nach 15 Jahren einen Abschluss, ohne je wirklich zu enden: Die alten Konflikte zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen bestimmen und lähmen die libanesische Politik bis heute.

400 000 Menschenleben

hat der Krieg in Syrien nach Schätzungen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch seit Ausbruch der Kämpfe im Frühjahr 2011 mindestens gekostet. Andere gehen von einer halben Million Opfern aus. Allein in der ersten Hälfte dieser Woche dokumentierten Ärzte in der Rebellen-Enklave Ost-Ghouta bei Damaskus mehr als 300 zivile Opfer.

Solche Kriege lassen sich umso weniger beenden, weil so viele zivile Strukturen in den Konflikten zerbrechen. So wird der Staat zur leeren Hülle, in der verschiedenste Gruppen ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen verfolgen.

Der Bürgerkrieg in Syrien begann im Frühjahr 2011 nach den anfangs friedlichen Demonstrationen im Zuge des Arabischen Frühlings als Aufbegehren gegen Assad. Nach Hunderttausenden Toten und Millionen Vertriebenen ist er aber weit mehr als der Kampf zwischen einem ungeliebten Machthaber und unzufriedenen Teilen seines Volkes. Er hat sich gewandelt in einen regional ausstrahlenden Konflikt zwischen ganzen Bevölkerungs- und Religionsgruppen. Gleichzeitig bekriegen sich staatliche Akteure wie das Assad-Regime und nicht-staatliche Kräfte und Gruppen wie die Terrororganisationen al-Qaida, der Islamische Staat oder nicht-staatliche Milizen wie die syrischen Kurden mit ihrer YPG-Truppe.

Umso verhängnisvoller, dass einige dieser Kräfte wechselweise Gegner oder Gefolgsleute mächtiger Nachbarstaaten wie der Türkei, Israel, Iran sind oder gar von Großmächten wie den USA und Russland (siehe unten). Demnächst könnte die Lage zwischen den involvierten Nachbarländern oder den beteiligten Regional- und Großmächten eskalieren: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat Iran jüngst mit Krieg gedroht; bei einem israelischen Luftangriff auf eine iranische Stellung in Syrien war zuvor ein israelisches Kampfflugzeug abgeschossen worden.

Israel will nicht dulden, dass sich die Erzfeinde Iran und Hisbollah nach Libanon eine weitere Basis und ein Aufmarschgebiet in Syrien schaffen. Iran wiederum baut entschlossen an einer Landbrücke zwischen der Islamischen Republik selbst und dem Irak, Syrien und Libanon: Teheran wird sich nicht so leicht davon abbringen lassen, seinen Hebel in Richtung Israel zu stärken. Die Türkei wiederum duldet kein Erstarken kurdischer Autonomie im Nachbarland, weil sie daheim selbst ein hochexplosives Kurdenproblem hat. Deshalb führt sie nun in Syrien Krieg.

Assad wird Krieg führen, bis er jeden Zentimeter des Landes wieder kontrolliert

Noch gewichtigere Außenstehende schießen ebenfalls: Bei einem US-Luftangriff nahe der Stadt Deir al-Sour sollen bis zu 100 Kämpfer der russischen Söldnerarmee "Wagner" umgekommen sein; diese kämpft im inoffiziellen Kreml-Auftrag gegen kurdische Einheiten und gegen den IS. Der Verbesserung des amerikanisch-russischen Verhältnisses dient es nicht, dass die Amerikaner die YPG-Kurden bewaffnen und ihnen 2000 US-Soldaten an die Seite gestellt haben. Offiziell wird deren Präsenz mit dem Kampf gegen den "Islamischen Staat" begründet. Die US-Truppen sind aber erkennbar auch ein Instrument gegen den wachsenden Einfluss Irans.

In Syrien zählt seit sieben Jahren allein das Recht des Stärkeren. Und stärker war in jüngster Zeit das von den Russen und Iranern gepäppelte Assad-Regime. Es hat die Rebellen in den vergangenen Monaten immer weiter in die Ecke gedrängt. Doch besiegt sind sie noch lange nicht, dafür gibt es zu viele Interessen anderer Mächte. Es müsste eine Formel gefunden werden, mit der sich die Interessen der verfeindeten Parteien irgendwie auf einen Status quo bringen ließen.

Aber wie? Eine Lösung liegt noch in weiter Ferne. Wie weit, zeigt der Umstand, dass Assad bis heute alle Aufständischen schlicht als "Terroristen" beschimpft. Laut tönt er in seinem Präsidentenpalast, er werde Krieg führen, bis er "jeden Zentimeter" des Landes wieder unter seine Herrschaft gebracht hat - ein monströser Hinweis darauf, dass das Morden noch Jahre gehen könnte.

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