Krieg in Syrien:USA und Russland geraten immer tiefer in den Syrien-Konflikt

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Zeichen des Krieges: Ein kurdischer Kämpfer blickt Richtung Raqqa, wo nach einem Bombenabwurf eine Rauchsäule aufsteigt. (Foto: Goran Tomasevic/Reuters)
  • Ein amerikanischer Flugzeugträger hat auf einen syrischen Jagdbomber gefeuert. Es ist der erste Angriff eines US-Kampfjets seit 18 Jahren.
  • In den vergangenen Wochen kam es in Syrien bereits mehrmals zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen regimetreuen Milizen und den Amerikanern.
  • Das russische Verteidigungsministerium setzte nun den mit Washington vereinbarten Informationsaustausch zu Syrien aus.

Von Julian Hans, Moskau, und Paul-Anton Krüger, Kairo

Es ist 18 Jahre her, dass ein US-Kampfjet eine feindliche Maschine abschoss. Damals holte eine amerikanische F-15 einen Abfangjäger der jugoslawischen Luftwaffe vom Himmel. Das verdeutlicht, wie seltensolche Zwischenfälle sind. Am Sonntagabend nun feuerte ein vom US-Flugzeugträger George H. W. Bush im Persischen Golf gestarteter Jet auf einen syrischen Jagdbomber, ein Flugzeug, das zum Angriff auf Bodenziele entwickelt wurde.

Nach US-Angaben hatte der syrische Pilot trotz Funk-Warnungen Bomben auf Stellungen der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) südlich Tabqas bei Raqqa abgeworfen. Laut syrischem Verteidigungsministerium wurde die Maschine zerstört. Der Pilot konnte sich mit dem Schleudersitz retten, wird aber vermisst in einem Gebiet, das nach russischen Angaben die Terrormiliz Islamischer Staat (IS)

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kontrolliert. Die SDF sind ein Bündnis kurdischer, arabischer und christlicher Milizen, die unterstützt von US-Soldaten und Militärberatern derzeit eine Großoffensive zur Rückeroberung von Raqqa führen, der Hauptstadt des IS. Laut dem Pentagon hatten am Nachmittag "regimefreundliche Kräfte" Stellungen der SDF südwestlich von Raqqa angegriffen. Die Amerikaner forderten daraufhin von ihrem Hauptquartier in Katar über eine Hotline die russischen Streitkräfte auf deren Flugplatz im syrischen Khmeimim auf, für ein Ende der Attacken zu sorgen. Dies geschah zunächst auch.

Abends attackierte das syrische Flugzeug die Stellungen der SDF. Nachdem es auf Warnungen auf einer Notruffrequenz nicht reagierte, schoss der US-Pilot die Maschine laut Pentagon ab. Es rechtfertigte dies als "Teil der kollektiven Selbstverteidigung" der syrischen Partner. Die Koalition strebe nicht an, gegen Syriens Regime zu kämpfen, gegen Russland oder andere regimetreue Kräfte, werde aber nicht zögern, sich und seine Partner zu verteidigen.

Russland fordert, die USA müssten Abstand nehmen von "unilateralen Aktionen"

Moskaus Außenminister Sergej Lawrow reagierte erst nur mit der allgemeinen Forderung, die USA sollten Abstand nehmen von "weiteren unilateralen Aktionen" in Syrien. Später teilte das Verteidigungsministerium in Moskau aber mit, es setze den mit Washington im Oktober 2015 vereinbarten Informationsaustausch zu Missionen über Syrien aus. Von sofort an würden alle Flugzeuge der US-geführten Koalition ins Visier genommen, wenn sie westlich des Euphrat fliegen. Raqqa liegt am nordöstlichen Ufer, die attackierte SDF-Stellung etwa 35 Kilometer südwestlich. Flugzeuge und Drohnen der internationalen Koalition würden "von landgestützten wie luftgestützten Mitteln der Luftabwehr erfasst und begleitet", so die Erklärung.

Man erwarte eine "gründliche Untersuchung" des Vorfalls durch den US-Kommandostab und wolle "über die Ergebnisse und die getroffenen Maßnahmen" unterrichtet werden. Laut russischem Militär waren auch seine Flugzeuge in der Luft, als der US-Jet die syrische Maschine abschoss. Trotzdem habe das Kommando der US-geführten Koalition den Kanal zwischen dem russischen Flugplatz und dem amerikanischen Hauptquartier nicht genutzt. Das sei eine "bewusste Nichterfüllung" der Pflichten aus dem Memorandum, das Zwischenfälle im syrischen Luftraum verhindern soll.

Russland hatte diese Hotline schon einmal ausgesetzt, nachdem US-Präsident Donald Trump Anfang April einen Angriff mit 59 Marschflugkörpern auf einen syrischen Luftwaffenstützpunkt befohlen hatte. Er reagierte damit auf einen Chemiewaffen-Angriff mit mehr als 80 Toten, den die USA und andere westliche Staaten dem RegimePräsident Baschar al-Assads anlasten. Wenige Tage später wurde die Verbindung geräuschlos wieder in Betrieb genommen, nur um intensiver genutzt zu werden als je.

In den vergangenen Wochen kam es dennoch mehrmals zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen regimetreuen Milizen und den Amerikanern. US-Kräfte bombardierten zweimal Konvois mit Panzern, die sich Stellungen verbündeter Milzen und einem US-Feldlager an der syrisch-irakischen Grenze genähert hatten, und schossen zwei iranische Drohnen ab. Eine hatte das Feldlager in al-Tanf beobachtet, die andere beschoss es mit Raketen.

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Verschärft wurde die Situation durch Raketenangriffe der iranischen Revolutionsgarden auf Ziele in der Region um Deir al-Sour südlich von Raqqa, die Iran als Vergeltung für die IS-Anschläge in Teheran mit 18 Toten deklarierte. Der IS belagert dort eine von der Regierung kontrollierte Enklave, in der etwa 200 000 Zivilisten gefangen sind. Eine "Reihe Boden-Boden-Raketen mittlerer Reichweite" seien von Stützpunkten in den westlichen Grenzprovinzen Kermanschah und Kurdistan abgefeuert worden, erklärten die Revolutionsgarden.

Russland will weiter Gespräche in Astana führen

Zugleich hieß es, die Operation habe nur "einen sehr kleinen Teil der iranischen Fähigkeiten genutzt"; sie sei eine Warnung an Terroristen und Feinde Irans. Teheran macht die USA und Saudi-Arabien für die Anschläge verantwortlich.

Die Geschosse, laut iranischen Medien ballistische Raketen mit einer geschätzten Reichweite von 700 Kilometer, eignen sich wegen ihrer beschränkten Treffgenauigkeit kaum für Angriffe auf Punkt-Ziele wie Verstecke des IS - sehr wohl aber für eine Machtdemonstration in einem strategisch wichtigen Gebiet in Syrien. Israel unterstützt laut Medien in geringem Umfang gemäßigte syrische Rebellen auf der syrischen Seite der Golan-Höhen, um ein Vorrücken der Hisbollah und der Revolutionsgarden dorthin zu verhindern. Ungeachtet der Eskalation in Syrien will Moskau am 10. Juli neue Gespräche über eine offiziell in vier Zonen geltende Waffenruhe in Astana führen. Russland fungiert mit Iran und der Türkei als Garantiemacht der Feuerpause, die aber vielfach gebrochen wird. So kam es in zu heftigen Kämpfen um die Stadt Deraa im Süden , von der 2011 der Aufstand gegen Assad ausging. Auch der UN-Sondergesandte Staffan de Mistura strebt eine Runde von Friedensgesprächen Mitte Juli in Genf an.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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