Krieg in Libyen:Wie ein Berliner Student Gaddafi bekämpfte

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Eigentlich sollte Omar al-Bariki gerade in Prenzlauer Berg sein, mit seiner Freundin durch die Clubs ziehen und zwischendrin jobben. Doch der 28-jährige Student verbringt die Semesterferien anders: Er ist beim Sturm auf Gaddafis Palast-Festung Bab al-Asisija dabei.

Tomas Avenarius, Tripolis

Eigentlich sollte Omar al-Bariki in Berlin sein, mit seiner Freundin durch die Clubs ziehen und zwischendrin bei Arbeitsvermittlungen wie "Heinzelmännchen" oder "Effektiv" jobben, um Geld fürs Studium an der Fakultät für alternative Energietechnik an der TU Berlin zu verdienen.

Omar al-Bariki präsentiert seine Waffe: Der Berliner Student eroberte als Rebell in Tripolis Gaddafis Hauptquartier. (Foto: Katharina Eglau)

Stattdessen sitzt der 28-Jährige in Tripolis, Kalaschnikow auf dem Schoß, ausgelatschte Turnschuhe an den Füßen und zupft an seinem dünnen Bart. Am Abend dröhnt das Freudenfeuer, Gewehrsalven knattern. Beim Gewummer der Luftabwehrgeschütze bebt die Luft ein wenig. Ab und an fliegt eine Garbe Leuchtmunition am Abendhimmel entlang. Al-Bariki sagt: "Ich mag Waffen nicht, kannte sie bisher nur aus dem Kino. Aber ich habe so einen Hass auf Gaddafi, dass ich mitkämpfen musste."

Omar al-Bariki, der libysche Revolutionär aus Berlin, Prenzlauer Berg. Er fliegt Anfang August ohne Wissen der Eltern und ohne jede militärischen Kenntnisse in seine Heimat, nimmt zusammen mit ein paar tausend anderen Aufständischen am Sturm auf die Hauptstadt Tripolis teil. So hilft al-Bariki, den libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi nach fast vier Jahrzehnten an der Macht zu stürzen.

Der Sohn eines hohen Gaddafi-Generals ist ein Kind aus begüterter Familie, kann in Deutschland studieren. Der Vater selbst ist so gut mit dem Machthaber bekannt, dass der den verdienten alten Offizier und seine vier Söhne 2003 zu einer Privataudienz auf seinem Landgut empfängt: allerbeste libysche Gesellschaft.

Der General ist ein Mann des Regimes, auch wenn er sich vor Jahren innerlich angewidert abgewendet hat. Sein jüngster Sohn ist einer von denen, die dieses Regime gewaltsam beenden - zehn Tage vor dem 42. Jahrestag der Gaddafi-Herrschaft über das nordafrikanische Wüstenland. Die Erinnerung an Barikis Begegnung mit dem Machthaber 2003 klingt so absurd wie das meiste, was über den libyschen Staatschef bekannt ist: "Er empfing uns in einem roten Adidas-Trainingsanzug. Knallrote Turnschuhe an den Füßen."

Damals hatte er Angst vor dem "großen Bruder" aller Libyer. "Ich dachte mir: Wow, ich treffe Gaddafi. Aber während des Gesprächs mit uns hat er die meiste Zeit einfach nur arrogant in die Luft geschaut."

Neun Jahre später hasst Omar al-Bariki den Machthaber von Herzen: Im Februar verliert er seinen älteren Bruder, als dieser in Bengasi gegen den Despoten demonstrierte: Abdallah al-Bariki stirbt zwei Tage nach Beginn des Aufstands gegen den Revolutionsführer im Beduinengewand. Barikis Bruder wird in Bengasi erschossen, als friedlicher Demonstrant ohne Waffe. Omar al-Bariki sitzt da noch in Berlin, will zurück nach Libyen. Er zögert, studiert weiter. Dann fliegt er Anfang August doch, nimmt vor drei Wochen das erste Mal überhaupt ein Gewehr in die Hand; zehn Tage später nimmt er schon am Sturm auf Gaddafis Palast teil. Am Ende des fünfstündigen Kampfs um die Festung stand der Student aus Berlin mit ein paar anderen Rebellen in den Trümmern von Bab al-Asisija vor Gaddafis Haus, im Allerheiligsten der zerbrochenen Macht. Eine sehr libysche Karriere.

Omar al-Bariki hat nichts Kämpferisches an sich. Er ist kein libyscher Che Guevara und auch kein besinnungslos Frommer, der im Namen Allahs und des Islam sein vorgezogenes Rendezvous mit dem Tod sucht. Bariki hält sein Gewehr nachlässig zwischen den Knien, wirkt friedfertig zwischen all den Kämpfern mit dem Rambo-Gehabe und sagt: "Ich bin ja nicht so professionell mit den Waffen." Aber sein Motiv teilt er mit den anderen Aufständischen. "Die Freiheit kostet. Das können die Deutschen nicht verstehen, wie es ist, wenn man nicht frei leben kann. Unter Gaddafi hatten wir keine Freiheit und keine Chance."

Im Juli und Anfang August laufen im Fernsehen nur noch frustrierende Bilder: Der Kampf kommt nicht mehr voran. Die Nato bombardiert seit vier Monaten, nagelt Gaddafis Armee in Tripolis und den umliegenden Orten fest. Aber der große Sturm auf die Hauptstadt bleibt aus.

Die Einwohner von Tripolis erheben sich nicht. Der Diktator droht den "Ratten und dem Ungeziefer" aus seinem Versteck den Tod an, verhöhnt sein Volk als "Büttel des Auslands", lässt seine Soldaten auf Zivilisten schießen. Aber die Gerüchte gehen, dass der Sturm auf Tripolis bevorstehe, eine Sache von Tagen sei. Der Student reist zurück nach Libyen.

Die tunesisch-libysche Grenze ist an einigen Stellen offen, die nahen Nafusa-Berge sind in der Hand der Regime-Gegner. Das Trainingslager der Aufständischen, das er vorfindet, ist "ziemlich chaotisch. Training auf einem Sportplatz, schlafen in einer Schule."

Bariki ist einer der letzten Freiwilligen, die der "Tripolis-Brigade" zugeteilt werden - die Einheit besteht fast nur aus Einwohnern der Hauptstadt. Er übt eine Woche an der Panzerfaust, lernt halbwegs mit einem Kalaschnikow-Gewehr zu schießen. "Wir haben meistens nur eine Stunde am Tag trainiert. Die meisten Kämpfer waren schon lange da und zu faul, noch früh aufzustehen. Alle wollten endlich kämpfen."

Die Gesellschaft ist gemischt: "Es gab ein paar Bärtige. Sehr fromme Muslime. Die meisten waren aber ganz normale Leute wie ich. Leute, die rauchen und trinken." Und viele, die wie Bariki im Ausland leben. Um seine unzufriedene Sechs-Millionen-Gesellschaft ruhig zu halten, hatte Gaddafi alle studieren lassen, die das wollten: Nutzlose Bildung als Ersatz für fehlende Freiheit, für die meisten ein Angebot ohne spätere Jobchance. Hunderttausende junge Libyer gingen an ausländische Universitäten. Das ist einer der Gründe, weshalb sich unter den Rebellen so viele finden, die ein breites Amerikanisch sprechen, ihr Manchester-Englisch mit Arabisch mischen oder Deutsch reden wie Bariki.

Der libysche Berliner lernt beim Training nur das Allernötigste, ist potentielles Kanonenfutter: "Als es losging, hatten wir weder genug Waffen noch Munition. Wir haben uns alles später von toten und gefangenen Gaddafi-Soldaten genommen." Die Tripolis-Brigade ist in Gruppen zu 30 Mann unterteilt, drei Pritschenwagen mit je zehn Mann. "Jeder von uns zehn hat seine Aufgabe: Ich bin unser Spezialist für die Panzerfaust - gegen Fahrzeuge und gegen Gebäude."

Über das, was in den nächsten Tagen folgt, hat Bariki die Übersicht verloren: Die Aufständischen fuhren los, die ersten Kämpfe gegen die Regierungstruppen, die ersten Toten am Stadtrand von Tripolis. "Die Menschen in der Stadt haben uns geholfen: Sie hatten Gaddafis Leuten ihre eigenen Waffen abgekauft." Es waren Gewehre, die der Machthaber in den Wochen zuvor an seine Unterstützer in Tripolis hatte verteilen lassen.

Der Student kämpft - "es war sehr einfach zu schießen, fast ein Wunder" - und er ist dabei, als die Rebellen Bab al-Asisija stürmen. Gaddafis Palast ist eine Festung: ein fünffacher Mauerring um den Palast, mit Panzerstahltoren, Wachtürmen, Schießscharten. "Erst hat die Nato gebombt, dann sind wir rein."

Die nächsten Stunden müssen hässlich gewesen sein: "Es wurde Mann gegen Mann gekämpft. Die Gaddafi-Soldaten haben sich bis zum Schluss gewehrt." Wie es ihm ergangen ist, dazu sagt Bariki wenig: "Die Zeit lief so schnell. Ja, ich habe auf Menschen geschossen. Ob die tot sind, weiß ich nicht." Und wiederholt: "Ich bin nicht so erfahren mit Waffen."

Dafür erinnert er sich an Gaddafis Privathaus: "Ich habe es gesehen, auch sein Luxuszelt, das Haus seines Sohnes Saadi, die teuren Autos. Gaddafi hat uns angelogen mit seinen Geschichten, dass er bescheiden im Beduinenzelt lebt." Bariki hat neuen Hass empfunden: "In Libyen gibt es solche Armut, aber die Gaddafis schwelgen im Luxus. Angela Merkel lebt so sicher nicht."

In zehn Tagen will der libysche Revolutionär zurück nach Berlin. Das Semester geht weiter. Bariki sagt: "Es ist wegen der Studiengebühren. Die muss ich persönlich einzahlen."

© SZ vom 31.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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