Krieg in Libyen:Rebellen ohne Regierung

Solange die internationale Allianz bombardiert, ist der Fall von weiteren Städten an die Rebellen nur eine Frage der Zeit. Aber wer sind die Aufständischen eigentlich? Eine transparente Gegenregierung gibt es nicht, auch keine Vorstellung darüber, wie ein künftiges Libyen aussehen könnte.

Tomas Avenarius, Bengasi

Der Siegeskonvoi startet um vier Uhr morgens. Über die Hauptstraßen Bengasis fahren Jeeps, begleitet vom infernalischen Lärm in die Luft schießender Männer. Die libyschen Aufständischen feiern einen Sieg, der so noch gar nicht stattgefunden hat. Regierungstruppen verteidigen weiter Sirte, den Heimatort des seit 41 Jahren herrschenden Machthabers Muammar al-Gaddafi. In der Nacht zuvor haben französische und britische Flugzeuge die Stadt erstmals bombardiert. Rebellenkämpfer waren kurzzeitig in die Außenbezirke eingedrungen, bevor sie sich zurückziehen mussten. In ihren Wunschvorstellungen waren die Gaddafi-Gegner wieder einmal weiter als am Boden. "Sirte einzunehmen wird schwer", sagt der Rebellen-General Hamdi Hassi. "Aber dank der Nato-Angriffe kämpfen wir nun mit fast gleichen Waffen."

Krieg in Libyen: Die internationale Militärallianz agiert mittlerweile als Quasi-Luftwaffe der Rebellen. Aber wer sind die Kräfte eigentlich, die gegen das Gaddafi-Regime kämpfen.

Die internationale Militärallianz agiert mittlerweile als Quasi-Luftwaffe der Rebellen. Aber wer sind die Kräfte eigentlich, die gegen das Gaddafi-Regime kämpfen.

(Foto: AFP)

Solange die westlichen Piloten bombardieren und die schweren Waffen der Regierungstruppen zerstören, ist der Fall von Gaddafis Heimatort wohl nur eine Frage der Zeit. Schon in den vergangenen Tagen haben westliche Jets den Aufständischen den Weg freigebombt: Die Städte Adschdabija, Brega und Ras Lanuf wurden in wenigen Tagen eingenommen. Gleichzeitig zerstören Tomahawk-Marschflugkörper der US-Marine weiter die militärische Infrastruktur der Gaddafi-Regimes. Die Libyen-Koalition der Willigen, unterwegs im schwammig umrissenen Auftrag der Vereinten Nationen, bombt den Rebellen den Weg nach Westen frei.

Die Einnahme von Sirte wäre ein Sieg von großer militärischer Bedeutung: Von hier aus stünde den Aufständischen erstmals der Weg offen in den Westen des Landes. Damit droht dem Machthaber der Sturm auf die Hauptstadt Tripolis, der Fall des Gaddafi-Regimes wäre denkbar.

Die wichtigste Frage aber bleibt unbeantwortet: Mit wem hat es die Militärallianz, die inzwischen ihre Einsätze als Quasi-Luftwaffe der Aufständischen fliegt, eigentlich zu tun? Die Zeiten der Rebellion zorniger Jugendlicher und aufrechter Bürgerrechtler sind vorbei, das Land befindet sich im Bürgerkrieg. Der Machthaber Gaddafi ist international isoliert, seine Gegner haben die mächtigsten Militärmächte der Erde an ihrer Seite: Die USA, Frankreich und Großbritannien, dazu die Nato. Hinzu kommen zwei arabische Staaten, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate. Kaum sind die Ölstädte Brega und Ras Lanuf zurückerobert, wird schon über zukünftige Partnerwahl beim Rohstoffexport eines neuen Libyens spekuliert. Frankreich, Vorreiter der Militärintervention, ist der Lieblingskunde aller Libyer.

Wirrwarr unklarer Kompetenzen

Doch die Gaddafi-Gegner haben noch immer keine transparente Gegenregierung aufgebaut - obwohl Frankreich und inzwischen auch Katar sie als einzige legitime Vertreter Libyens anerkennen. Der nach Beginn des Aufstands ins Leben gerufene Provisorische Nationalrat wurde von den Räten der "befreiten Städte" im Osten im Schnellverfahren bestimmt; er ist inzwischen eine Honoratiorenveranstaltung. Neben ihm gibt es nun eine Exekutivregierung der "Spezialisten". Dieses "Krisenteam" soll die Strategie des Nationalrats umsetzen. Bisher sind nur wenige Posten besetzt. Mit welcher Legitimation die beiden Institutionen handeln, ist ebenso offen wie Strategie und politisches Endziel.

Das hat Gründe: Zumindest nach außen hin wollen die Rebellen keine Vorentscheidung treffen, wie das zukünftige Libyen aussehen könnte. Mustafa al-Gheriani, einer ihrer Sprecher, sagt nur: "Wer jetzt im Nationalrat und im Exekutivrat einen Posten hat, darf später nicht mehr für ein politisches Amt antreten." Die Rebellen kennen die Geschichte ihres Landes. Libyen ist ein junger Nationalstaat, der sich erst 1951 von den Kolonialmächten unabhängig machte. Bruchlinien verlaufen bis heute entlang der historischen Landesteile Tripolitanien, Cyrenaika und Fezzan, die Stämme haben noch immer Macht, bestimmte Familien großen Einfluss. Es gibt wenig gesamtstaatliche Institutionen - außer denen des Gaddafi-Regimes mit seinen Volksräten und Revolutionskomitees. Mit der Zurückhaltung wollen die Aufständischen ihren Anspruch auf ein geeintes Libyen aufrechterhalten. Ihre Parole war seit Beginn des Aufstands am 17. Februar: "Ein Libyen ohne Gaddafi, ein einiges Libyen, ein Libyen mit der Hauptstadt Tripolis."

Dieses Kalkül spiegelt sich im Wirrwarr unklarer Kompetenzen und dem Auftreten oft unerfahrener Rebellen-Politiker wider. Den Vorsitz im Nationalrat führt Mustafa Abdel Dschalil, Ex-Justizminister Gaddafis. Er kann von sich behaupten, innerhalb enger Grenzen gegen permanente Menschenrechtsverletzungen vorgegangen zu sein. Eine breite politische Basis fehlt ihm jedoch. Zur Seite steht ihm Abdel Hafith Ghouga, Rechtsanwalt und Bürgerrechtsaktivist. Ghouga stammt aus Bengasis Bürgerrat, er hat nie zum Regime gehört und zählt zu den Revolutionären der ersten Stunde. Er und Dschalil sind keine Freunde.

Neben dem Nationalrat arbeitet die Exekutivregierung der "Spezialisten". Das Gremium ist überschaubar. Es gibt einen Vorsitzenden, den Finanzfachmann Mahmud Dschibril. Dazu kommen ein Militärsprecher, ein weiterer Finanz- und Wirtschaftsexperte sowie in dem Ex-Botschafter Ali Al-Issawi ein Ansprechpartner für internationale Kontakte. Das freie Libyen beschränkt sich in Zeiten des Bürgerkriegs auf das absolute Minimum an Regierungsstrukturen.

Gaddafis Ex-Innenminister: "Ich träume von Demokratie"

Die wirkliche Macht liegt derzeit beim Militär. Generalstabschef ist Gaddafis früherer Innenminister Abdul Fattah Junis. Junis kennt den Diktator seit 40 Jahren. Er kommandierte dessen Spezialeinheiten und wurde vor drei Jahren Innenminister. Nach längerem Zögern schlug er sich auf die Seite der Rebellen. Junis mit seinen Soldaten half ihnen, die Milizen des Regimes aus Bengasi zu vertreiben - der eigentliche Beginn des Aufstands gegen den "Bruder Führer". Der Wendehals Junis dürfte politische Ambitionen haben, obwohl er dies bestreitet. Dem Spiegel sagte er: "Ich träume von einer wirklichen Demokratie." Der Ölreichtum des Landes, der Tripolis vor Beginn von Revolution und Bürgerkrieg täglich um die 130 Millionen Euro einbrachte, müsse dem Volk zugutekommen: "Wir Libyer könnten ein Fünf-Sterne-Leben führen."

Doch Junis muss durchaus mit Konkurrenten rechnen. Unter ihm agiert ein "Kommandierender im Feld". Es ist der frühere Gaddafi-General Khalifa Heftar, der nach einem Streit mit dem Diktator im Exil war. Er dürfte Zukunftspläne haben, genau wie die bürgerlichen Revolutionäre der Räte. Zudem laufen immer mehr Repräsentanten des Regimes über. Ex-Botschafter und Minister verdrängen die jugendlichen Rebellen mit ihren Che-Guevara-Baskenmützen. Alte Gaddafi-Offiziere mit Bauchansatz entscheiden über den Fronteinsatz der Kämpfer in ihren zusammengeklaubten Phantasieuniformen, die an Hollywood-Filme oder Videospiele erinnern.

Fällt Gaddafi, brauchen die Aufständischen Vertreter, die Rückhalt im gesamten Land finden können. Doch deren Gesichter zeichnen sich bisher nicht ab. Im Westen, wo der Diktator weiter herrscht, kann sich keiner aus der Deckung trauen: Er wäre sofort tot oder im Gefängnis. Die Sprechvorlage der Rebellen lautet: "Im Nationalrat gibt es auch Vertreter aus dem Westen, aber wir können ihre Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen." Fakt ist, dass praktisch alle Führer des Aufstands aus der Cyrenaika stammen, dem Osten des Landes. Die wenigen anderen sind übergelaufene Gaddafi-Leute.

Vorerst werden die Geschicke Libyens militärisch entschieden. Nach dem absehbaren Fall der Gaddafi-Heimatstadt Sirte können die Rebellen auf Misrata vorstoßen. Die Hafenstadt wird seit Wochen von Regierungsmilizen beschossen. Die humanitäre Lage soll verheerend sein, es soll zu schweren Menschenrechtsverletzungen durch die Gaddafi-Truppen gekommen sein. Mit dem Fall von Misrata könnte der Diktator die letzte Legitimität verlieren, soweit er über den Kreis seiner engsten Anhänger hinaus noch welche genießt. Dann liegt seine Hauptstadt zum Greifen nahe: Von Misrata sind es 250 Kilometer bis Tripolis.

Dort droht dem Machthaber der Kampf um die letzte Bastion. Auf gesichtswahrende Verhandlungen hoffen kann der Diktator in keinem Fall: "Wir wollen ihn, seine Söhne und seine engen Mitarbeiter vor Gericht sehen. Gaddafi muss sich für die Verbrechen der letzten 41 Jahre verantworten", sagt Rebellensprecher Gheriani. "Wenn er ins Exil fliehen kann, soll er es tun. Er kennt den Weg zum Flughafen."

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