Krieg in Libyen: Der Westen greift ein:Die Illusion vom sauberen Krieg

Mit Luftangriffen unterstützt eine Militärallianz libysche Aufständische. Doch leiden darunter nicht die Zivilisten? Wie lange könnte der Einsatz dauern und was gibt das Völkerrecht vor?

Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Die Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats erlaubt den Mitgliedsstaaten neben dem Erlass einer Flugverbotszone "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um die Menschen in Libyen vor den Milizen und Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi zu schützen.

Activity at UK Military Bases as Multi-national Forces Head for Libya

Zwei Tornados der Royal Air Force (RAF) auf dem Flugplatz Marham im Osten Englands vor dem Start zum Einsatz in Libyen.

(Foto: Getty Images)

Inzwischen hat die westliche Allianz um Frankreich, Großbritannien und die USA mit Flugzeugen und Raketen in den Krieg in dem nordafrikanischen Land eingegriffen. Auf welcher Grundlage und mit welchen Folgen? Hier die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wie viele Zivilisten sind bei den Bombardements getötet worden?

Nach den ersten Angriffswellen der Alliierten ist die Lage im Land unübersichtlich. Ob und wie viele Opfer unter der Zivilbevölkerung möglicherweise zu beklagen sind, scheint zum Gegenstand gegnerischer Propaganda zu werden. Am Wochenende war in libyschen Medien von 64 meist zivilen Opfern die Rede. Auch ein drei Monate altes Baby und ein 29-jähriger Ladenbesitzer seien umgekommen. Tote Soldaten, die neben getroffenen Panzern entlang der Straße zur umkämpften Rebellen-Hochburg Bengasi lagen, gingen wohl in diese Zählung mit ein.

Das russische Außenministerium zählte bisher 48 getötete Zivilisten und 150 weitere Verletzte. Zudem wurde kritisiert, dass bei den Luftangriffen nicht nur militärische Ziele, sondern auch Brücken, Straßen und ein Krankenhaus getroffen worden seien. Russland hatte sich ebenso wie China und die nichtständigen Ratsmitglieder Deutschland, Indien und Brasilien bei der Abstimmung über die UN-Resolution der Stimme enthalten.

Das US-Verteidigungsministerium dagegen hatte am Sonntag "keine Anzeichen" für zivile Opfer in den Gebieten, die von der internationalen Koalition angegriffen worden seien, sagte Vizeadmiral William Gortney im Pentagon. Ähnliches ist aus Paris zu hören. Die britische Regierung erklärte, in der Nacht zum Montag sei ein geplanter Tornado-Angriff auf einen libyschen Luftwaffenstützpunkt wegen einer möglichen Gefährdung von Zivilisten abgebrochen worden.

Möglicherweise werden zivile Opfer von Seiten des Regimes aber auch gezielt provoziert. Darauf deutet ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters: Demnach hat ein Rebellen-Sprecher erklärt, Gaddafi-Truppen brächten Zivilisten in die umkämpfte Stadt Misrata, um sie dort als menschliche Schutzschilde einzusetzen. Bewohnern zufolge ist die Stadt von regimetreuen Truppen eingekesselt und von der Wasserversorgung abgeschnitten. Im Stadtzentrum halten sich demnach bewaffnete Gaddafi-Truppen in zivil auf. Auch in der Hauptstadt Tripolis werden Bürger als menschliche Schutzschilde eingesetzt, wie unter anderem die New York Times berichtet.

Welche Zerstörung haben die Angriffe bislang angerichtet?

Den libyschen Diktator persönlich anzugreifen, lehnt die Militärallianz weiterhin ausdrücklich ab. Ihre Strategie ist die Zerstörung von Kommandozentralen, Armeestützpunkten und strategisch wichtigen Strukturen. Zwar traf in der Nacht zum Montag eine Rakete die Residenz von Machthaber Muammar al-Gadaffi im Süden von Tripolis. Das Gebäude im Stadtteil Bab el Asisija liegt rund 50 Meter von dem Zelt entfernt, in dem Gaddafi häufig seine offiziellen Besucher empfängt. Das Ziel des Angriffs war jedoch nach Angaben eines Vertreters der internationalen Einsatzkräfte ein militärisches "Kommando- und Kontrollzentrum" der libyschen Truppen, das die Residenz des Machthabers beherbergt.

Um die UN-Resolution 1973 zur Einrichtung einer Flugverbotszone durchzusetzen, konzentrierte sich ein Großteil der amerikanischen, französischen und britischen Angriffe auf die libysche Luftwaffe und Luftabwehr - nach Darstellung von US-Streitkräften mit Erfolg. Seit Beginn des Einsatzes sei die libysche Luftüberwachung deutlich geschwächt worden, sagte Vizeadmiral Gortney. Es gebe keine Aktivitäten libyscher Truppen in dem Luftraum mehr. Eigene Flugzeuge seien nicht getroffen worden. Der US-Fernsehsender CBS hatte berichtet, drei US-Tarnkappenbomber hätten einen wichtigen Militärflugplatz in Libyen bombardiert. Sie warfen demnach insgesamt 40 Bomben auf die Anlage ab, um einen Großteil der libyschen Luftwaffe zu zerstören. Zusätzlich feuerten US-Kampfschiffe und ein britisches U-Boot 124 Tomahawk-Marschflugkörper auf Luftabwehrstellungen entlang der libyschen Küste.

Begonnen hatte der Einsatz der internationalen Koalition am Wochenende mit Angriffen französischer Kampfjets auf Regierungstruppen vor der Rebellenhochburg Bengasi im Osten des Landes. Bei den Luftangriffen auf eine Straße etwa 35 Kilometer westlich der Stadt wurden Dutzende Fahrzeuge der regierungstreuen Truppen, darunter auch zahlreiche Panzer, zerstört. Das russische Außenministerium kritisierte, dass bei den Angriffen nicht nur militärische Ziele, sondern auch ein Krankenhaus, Straßen und Brücken getroffen worden seien.

Wie lang wird der Militäreinsatz noch dauern?

An der Überlegenheit der Militärallianz besteht kein Zweifel. Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr und langjährige Chef des Nato-Militärausschusses, Klaus Naumann, urteilte in der Süddeutschen Zeitung: "Weder die veralteten libyschen Kampfflugzeuge noch die meist sowjetischen Flugabwehrwaffen sind für Nato-Kräfte ein ernstzunehmender Gegner."

Wie stark die bisherigen Bombardements den Verlauf des Bürgerkriegs zwischen Gaddafis Milizen und den Aufständischen schon beeinflusst haben, lässt sich momentan schwer beurteilen. Auf dem Papier verfügt Libyen über relativ große Streitkräfte mit fast 300 Kampfflugzeugen, 700 Kampfpanzern und Tausenden Truppentransportern. Die Mannschaftsstärke des Heeres wird mit 45.000 Soldaten und Offizieren angegeben, dazu kommen noch 8000 Luftwaffenangehörige. Ein Teil der Armee ist aber zu den Rebellen übergelaufen. Loyaler zu Gaddafi stehen die 40.000 Milizionäre, die eine eigene Streitmacht neben der Armee bilden.

Fest steht, dass der Vormarsch der Gaddafi-Truppen auf Bengasi gestoppt wurde. Aussagen wie jene von US-Präsident Barack Obama, der Krieg sei "eine Angelegenheit von Tagen", hält Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, allerdings für zu optimistisch.

Perthes sagt einem Interview mit Deutschlandradio Kultur: "Es gibt eine Illusion, dass ein Krieg, wenn er ein legitimes Ziel verficht, sauber ist. Es gibt aber keinen sauberen Krieg und auch keine kurzen Kriege, wie man sich das wünscht."

Was sagt das Mandat über das Ziel der Militäraktion?

Wichtigster Punkt der Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats neben dem Erlass einer Flugverbotszone über Libyen: Sie erlaubt den Mitgliedsstaaten "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um die Menschen in Libyen vor den Truppen von Machthaber Muammar al-Gaddafi zu schützen.

Allerdings ist das am vergangenen Donnerstag verabschiedete Mandat nach der Einschätzung vieler Experten nicht sehr präzise. Perthes nannte dies "beunruhigend". Es sei möglich, dass sich "während der sich entfaltenden Militäroperation Ziele verselbständigen oder erweitern". So forderten einige Politiker nun, das Regime von Muammar al-Gaddafi zu entfernen. Für den Juristen Perthes steht fest: Dieses Ziel des regime change mag zwar politisch legitim sein, doch es sei "nicht vom Sicherheitsrat mandatiert".

Welche völkerrechtlichen Bedenken gibt es?

Reinhard Merkel, der an der Universität Hamburg Strafrecht und Rechtsphilosophie unterrichtet, sagte bereits vor einigen Tagen im ARD-Brennpunkt: "Der Sicherheitsrat hätte deutlicher klarstellen müssen, wie weit sein Mandat reicht." Die Alliierten dürften Verbrechen gegen die Menschheit - vor allem solche, die in den Statuten des Internationalen Strafgerichtshofs festgelegt sind - verhindern. Allerdings sei es illegal, "in einen Bürgerkrieg zu intervenieren, um eine Partei zu schwächen".

Der Jurist verwies darauf, dass die Militärallianz nach der Logik der Resolution auch militärische Gewalt zum Schutz der Zivilbevölkerung einsetzen müsste, wenn die Rebellen nach der Ausschaltung der libyschen Armee bewaffnet in Richtung Tripolis ziehen, um den Despoten Gaddafi zu stürzen. Französische Rafale-Jets müssten dann die Soldaten jener selbsternannten Regierung bombardieren, die Präsident Nicolas Sarkozy als erster Politiker weltweit anerkannt hatte.

Gibt es einen Abzugsplan?

Spätestens seit den Kriegen in Vietnam und Afghanistan gilt: Rein kommt man leicht, aber nur schwer wieder heraus. Politiker, Analysten und Militärs sprechen gern von der "Exit-Strategie", die es stets zu bedenken gelte. Beim aktuellen Libyen-Einsatz ist das Urteil von Volker Perthes eindeutig: "Es gibt noch sehr viel weniger eine klare Exit-Strategie als eine Definition des Kriegsziels."

Im Interview mit Deutschlandradio Kultur entwickelte der Politikberater folgendes "Positivszenario": Nach einem Sturz Gaddafis könnten die Rebellen, die der Westen zuvor unterstützt hatte, die Alliierten bitten, Truppen zu schicken, um "das Land zu stabilisieren, etwa gegen verbliebene Milizen oder Anhänger des Gaddafi-Stamms". Es sei Spekulation, ob die involvierten Staaten die Bitte überhaupt annehmen würden - und ob sie im Sicherheitsrat ein neues Mandat einholen würden.

Nicht nur Perthes kann keine "Klarheit und Einigkeit" unter den beteiligten Nationen erkennen.

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