Krieg in der Ukraine:Die Angst des Westens vor der Eiszeit

Krieg in der Ukraine: Anti-Putin-Proteste rechter Parteien in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Anti-Putin-Proteste rechter Parteien in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

(Foto: AP)

Putins Besuch des Asien-Europa-Gipfels in Mailand gilt als Chance, den Ukraine-Konflikt zu beruhigen. Am meisten fürchten muss der Westen, dass ein eingefrorener Konflikt entsteht - den Russland nach Belieben wieder anheizen kann.

Analyse von Cathrin Kahlweit, Wien, und Stefan Kornelius, Berlin

Der Abzug russischer Einheiten von der ukrainischen Grenze hat ein Schlaglicht auf die Verhandlungen über die Zukunft der Ostukraine und Russlands Beziehungen zum Westen geworfen. Während es im Donbass noch immer sporadisch Kämpfe gibt und Kiew um politische und wirtschaftliche Stabilität ringt, wird in mehreren Runden über einen umfassenden Friedensplan verhandelt. Gleichzeitig zeichnen aber westliche Verhandlungsführer in Washington und in Berlin ein ernüchterndes Bild von der Lage in der Ukraine. Von einem "zweiten Transnistrien" ist die Rede, das entstehen könnte - und von der Sorge, dass Russland den Konflikt jederzeit wieder anheizen könnte.

Als kritische Hürde zeichnet sich dabei der Donnerstag dieser Woche ab, an dem Russlands Präsident Wladimir Putin zum ersten Mal seit der Waffenstillstandsvereinbarung vom 5. September auf eine Reihe von westlichen und asiatischen Regierungschefs treffen und mutmaßlich auch ein Zweiergespräch mit seinem ukrainischen Kollegen Petro Poroschenko führen wird. In westlichen Regierungskreisen wird der Asien-Europa-Gipfel in Mailand zum Testfall dafür erklärt, wie weit Putin in der Lage und auch gewillt ist, der politischen Isolation zu entkommen.

Seit der Waffenstillstandsvereinbarung haben Russland und die Ukraine nach Auskunft westlicher Beobachter zwar Fortschritte in mehreren Verhandlungsrunden erzielt. Der von Putin avisierte Abzug der russischen Manövereinheiten von der ukrainischen Grenze ist Beleg dafür. Allerdings gibt es noch immer keinen Nachweis für den Abzug aller schweren Waffen und der aus Russland eingesickerten Kämpfer aus dem Donbass, so wie es in Minsk verabredet worden war. Wichtiger Verhandlungspunkt besonders für die USA ist die Freilassung ukrainischer Gefangener, vor allem der Pilotin Nadia Sawtschenko, die in Russland gefangen gehalten wird und deren Schicksal Symbol-Charakter hat.

Beobachter fürchten schon ein zweites Transnistrien

Zentrale Bedingung aus dem Waffenstillstandsabkommen ist aus westlicher Sicht die Kontrolle der Ostgrenze der Ukraine zu Russland. Noch ist die OSZE nicht in der Lage, den Grenzverlauf an der von Separatisten besetzten Linie mit eigenen Leuten und vor allem mit Hilfe von Drohnen zu kontrollieren; die Ausweitung der Mission ist geplant. Eine bessere Überwachung soll verhindern, dass Truppen und Waffen aus Russland in die Ukraine gelangen. Freilich machen sich die westlichen Verhandlungsparteien keine Hoffnungen darauf, dass damit die Gebiete, die von den Separatisten als "unabhängige Volksrepubliken" bezeichnet werden, wieder vollständig in den ukrainischen Staat eingebunden werden könnten, im Gegenteil.

Die Rede ist vielmehr von einem zweiten Transnistrien, das derzeit zwischen Russland und der Ukraine entsteht. Die Region Transnistrien gehört formal zur Republik Moldau, hatte sich aber in den Neunzigerjahren für autonom erklärt und wird von prorussischen Kräften und unter russischer Führung regiert.

Zahlreiche Entwicklungen deuten derzeit in der Ostukraine auf die Entstehung eines solchen, von Moskau provozierten "frozen conflicts", eines eingefrorenen Konflikts hin - wie er sich neben Transnistrien auch an dem von Russland kontrollierten, völkerrechtlich Georgien zugerechneten Südossetien festmachen lässt. So haben die Separatisten die Teilnahme der zwei sogenannten Volksrepubliken an den bevorstehenden ukrainischen Parlamentswahlen verweigert und planen derzeit die Abhaltung eigener Wahlen, mutmaßlich im November. Parallel wurde in den von prorussischen Kräften besetzten Bezirken auch mit dem Aufbau einer eigenen, offenbar auf Dauer angelegten Verwaltung begonnen. Renten und Gehälter für Bedienstete der Volksrepubliken sollen an jene ausgezahlt werden, die im Gegenzug ihren ukrainischen Pass abgeben, eine eigene Zentralbank ist in Planung. Zuletzt übernahmen die Separatisten offenbar auch die Gewalt im Stadtrat von Donezk.

Die Sanktionen treiben Russland zunehmend in die Enge

Fortschritte gibt es hingegen offenbar bei den Gesprächen über den genauen Verlauf der Einflusszone, der den ostukrainischen Separatisten und damit Russland im Donbass zugestanden wird. Nachdem bei heftigen Kämpfen der Flughafen Donezk weitgehend zerstört wurde, hat Kiew nun offenbar einem Landtausch zugestimmt, bei dem den Aufständischen die Kontrolle über den Flughafen eingeräumt wird - im Gegenzug für Frontbegradigungen an anderen Orten, unter anderem in Luhansk.

Im Kern der Verhandlungen stehen Vereinbarungen über Gaslieferungen in die Ukraine und - für die russische Seite - natürlich die Aufhebung der Sanktionen. Bei den Gasgesprächen ist der Westen nach Informationen aus Verhandlungskreisen inzwischen von seiner Position abgerückt und besteht nicht mehr auf einem Liefervertrag von anderthalbjähriger Laufzeit. Vielmehr ist nun die Rede davon, eine verlässliche Vereinbarung für diesen Winter zu erhalten. Preisabsprachen und Zahlungsmodalitäten sollen bis zu den ukrainischen Parlamentswahlen in zwei Wochen geregelt sein. EU-Energiekommissar und Vermittler Günther Oettinger hat die nächste Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland auf den 21. Oktober terminiert. Bereits vorher hatte der russische Gaslieferant einen neuen Ratendeal für die Rückzahlung der ukrainischen Schulden vorgeschlagen.

Die Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine laufen auf verschiedenen Ebenen ab. Im Kern steht nach wie vor die Verhandlungsgruppe von Minsk, die sich um die Umsetzung der Vereinbarung kümmert. Ihr gehören die OSZE-Vermittlerin Heidi Tagliavini, Russlands Botschafter in Kiew, Michail Surabow, der ukrainische Ex-Präsident Leonid Kutschma sowie Sprecher der "autonomen Volksrepubliken" in der Ostukraine an. Daneben hat sich ein enger Kontakt zwischen den Präsidenten beider Länder beziehungsweise deren Staatskanzleichefs entwickelt. Poroschenko und Putin kennen sich seit Jahren.

Die Länder der MH-17-Opfer wollen Putin ansprechen

Parallel soll es nach Informationen aus Kiewer Regierungskreisen, aber auch von europäischen Experten weitere, informelle Gesprächsformate geben, in die neben Politikern auch mehrere ukrainische Oligarchen eingebunden sind. Darunter sollen sich der aufgrund eines US-Haftbefehls in Österreich lebende Dmytro Firtasch sowie der Kiewer Unternehmer und Mäzen Viktor Pintschuk, aber auch der als "Mann Putins in Kiew" geltende Politiker und Oligarch Viktor Medwetschuk befinden. Firtasch gilt als Vertrauter Poroschenkos, Pintschuk hat gute Beziehungen zu den USA. Bei diesen Gesprächen soll es vor allem um eine ökonomische Wiederannäherung zwischen Russland und der Ukraine gehen.

Auch die Generalstäbe der Streitkräfte haben Gesprächskontakte ausgebaut. Die westlichen Vermittler, vor allem aus Berlin und aus Washington, begnügen sich zur Zeit mit einer beratenden Rolle. Gleichwohl müssen sie eingebunden werden, weil Russland die schnelle Aufhebung der Sanktionen einfordert. Die dritte Sanktionsrunde hatte wohl stärkere Auswirkung auf die russische Wirtschaft als bisher angenommen. Der Rubel verfällt ungebremst, die Zentralbank musste bereits Stützkäufe tätigen. Die Bundesregierung hat öffentlich immer klargemacht, dass sie eine Aufhebung der Sanktionen so lange nicht für realistisch hält, wie die Minsker Waffenstillstandsvereinbarung nicht umgesetzt ist. Im Zentrum steht dabei vor allem die Grenzkontrolle.

Das Treffen in Mailand hat deswegen eine besondere Bedeutung. Denn: Putin trifft dort auch zum ersten Mal seit dem Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs MH17 auf internationaler Bühne mit Staats- und Regierungschefs betroffener Länder. Unter ihnen ist auch Australien, das bereits angekündigt hatte, das Thema MH17 in Mailand prominent ansprechen zu wollen.

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