Krieg im Kaukasus:Russland kündigt Rückzug an

Präsident Medwedjew will die russischen Truppen wieder aus Südossetien abziehen. Das sieht ein Sechs-Punkte-Plan zur Befriedung des Südkaukasus vor. Nach georgischen Angaben gingen die russischen Luftangriffe unterdessen weiter.

Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew und sein französischer Amtskollege Nicolas Sarkozy haben einen Sechs-Punkte-Plan zur Befriedung des Südkaukasus präsentiert. Die Politiker riefen bei einer Pressekonferenz in Moskau alle Konfliktparteien zu einem dauerhaften Gewaltverzicht auf.

Krieg im Kaukasus: "Die Streitkräfte haben Georgien bestraft", sagt Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew.

"Die Streitkräfte haben Georgien bestraft", sagt Russlands Präsident Dmitrij Medwedjew.

(Foto: Foto: dpa)

Russland verpflichtet sich nach den Worten Medwedjews, seine Truppen hinter jene Grenzen zurückzuziehen, hinter denen sie sich vor Ausbruch des Konflikts um Südossetien aufhielten. Auch Georgien müsse seine Armee in die Kasernen zurückführen.

Sarkozy: Keine Lösung des Territorial-Konflikts

Der Plan beinhalte auch humanitäre Hilfe für die vielen Flüchtlinge dieses Krieges sowie eine Verpflichtung zum Gewaltverzicht, sagte Sarkozy. Der französische Präsident betonte, dass der Plan einen Ausweg aus der Krise aufzeigen solle, aber keine Lösung des Territorial-Konflikts darstelle. Die Erklärung sei sehr kurz ausgefallen, weil man sich auf Einzelheiten nicht habe einigen können.

Sarkozy erklärte im Kreml, dass er sich vor seiner Reise als EU-Vertreter mit Bundeskanzlerin Angela Merkel abgestimmt habe. Frankreich hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Sarkozy sagte, dass er am Abend in die georgische Hauptstadt Tiflis weiterreisen wolle, um den Plan mit Präsident Michail Saakaschwili abzustimmen.

Noch wenige Stunden zuvor hatte der stellvertretende Generalstabschef Anatoli Nogowizyn nach Angaben der Agentur Interfax angekündigt, die russischen Kampfverbände würden auch nach der verkündeten Waffenruhe in Georgien bleiben.

Nach georgischen Angaben setzte Russland seine Luftangriffe in Georgien im Laufe des Tages trotz des angekündigten Endes des Militäreinsatzes fort. Die Streitkräfte hätten Angriffe gegen zwei Dörfer in der Nähe von Südossetien geflogen, hieß es in Tiflis.

Medwedjew hatte am Vormittag einen Stopp des Einsatzes angeordnet und erklärt, die Streitkräfte hätten Georgien nun bestraft und die Sicherheit für Zivilpersonen und die russischen Friedenssoldaten in Südossetien wiederhergestellt.

Zugleich hatte er angeordnet, die russischen Truppen sollten sich jedoch bei Angriffen verteidigen und jede aggressive Aktion und bewaffneten Widerstand der georgischen Streitkräfte zerstören.

Die georgische Regierung reagierte zurückhaltend auf den Befehl. Bis zur Vereinbarung eines Waffenstillstandes seien die georgischen Truppen auf alles vorbereitet und einsatzbereit, sagte Ministerpräsident Lado Gurgenidse der Nachrichtenagentur Reuters am Nachmittag in einem Telefongespräch. "Wir brauchen mehr Beweise, eine bindende Übereinkunft."

Georgien will aus GUS austreten

Zudem wird Georgien nach Angaben von Präsident Michail Saakaschwili die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) verlassen. Das gab Saakaschwili bei einer Kundgebung im Zentrum von Tiflis bekannt, zu der sich mehr als 70.000 Menschen versammelt hatten. Er habe das Parlament aufgefordert, entsprechende Schritte zu unternehmen, um aus der "von Russland dominierten" Organisation auszutreten

Die GUS ist ein Staatenverbund, dem alle ehemaligen Sowjetrepubliken außer den Staaten Estland, Lettland und Littauen angehören. Zuletzt trat Georgien unter dem damaligen Staatschef Eduard Schewardnadse 1993 bei.

Der Kreml hatte am Morgen Saakaschwilis Rücktritt gefordert. Moskau werde nicht mit Saakaschwili verhandeln, erklärte Außenminister Sergej Lawrow.

Nato sichert Georgien weiter Chancen auf Beitritt zu

In Brüssel stärkte die Nato Georgien den Rücken. Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bezeichnete die Anordnung Medwedjews, den Einsatz in Georgien zu beenden, als nicht ausreichend. Das Ende der russischen Offensive sei "wichtig, aber es ist nicht genug", sagte De Hoop Scheffer nach einem Treffen von Vertretern der Nato in Brüssel.

Der Status vor Ausbruch des bewaffneten Konflikts müsse wieder hergestellt werden, führte der Nato-Generalsekretär aus und forderte damit einen Rückzug der russischen Truppen. Die Botschafter der Nato-Staaten warfen Russland während ihres Treffens nach Angaben von De Hoop Scheffer einen "unverhältnismäßigen" Einsatz von Gewalt bei ihrer Offensive gegen Georgien vor.

De Hoop Scheffer sicherte der Regierung in Tiflis zu, Georgiens Chancen auf einen Beitritt zur Nato blieben ungeachtet des bewaffneten Konflikts um Südossetien bestehen. Die Zusage der Bündnisstaaten beim Nato-Gipfel vor vier Monaten in Bukarest, wonach langfristig die Möglichkeit einer Aufnahme Georgiens besteht, sei weiter gültig. "Das war die Lage und das ist die Lage und hat sich nicht geändert", sagte der Nato-Generalsekretär. Auf dem Nato-Gipfel in Bukarest im April hatte die Mehrheit der 26 Bündnisstaaten einen raschen Beitritt Georgiens abgelehnt und auf die langfristige Beitrittsperspektive verwiesen.

100.000 Menschen auf der Flucht

Durch den Krieg zwischen Georgien und Russland wurden nach UN-Angaben nunmehr rund 100.000 Menschen in die Flucht getrieben. Das UN-Flüchtlingshilfswerk in Genf (UNHCR) rief die Verantwortlichen vor Ort auf, humanitäre Korridore zur Versorgung der Menschen zu öffnen.

Unter Berufung auf Angaben der georgischen und der russischen Regierung nannte das UNHCR die Zahl von rund 30.000 Menschen, die von Südossetien nach Nordossetien flohen. Zudem seien innerhalb Südossetiens noch rund 12.000 Flüchtlinge unterwegs. Aus der georgischen Stadt Gori, die mehrere Tage lang das Ziel russischer Luftangriffe war, flohen 56.000 Georgier Richtung der Hauptstadt Tiflis.

Bush fordert sofortigen Waffenstillstand

Noch bis zum Morgen flog die russische Luftwaffe Angriffe auf Gori in Georgien. Dabei wurden mindestens fünf Zivilisten getötet und weitere verletzt. Augenzeugenberichten zufolge ist die Stadt wie ausgestorben. Teile der Universität und der Post stehen in Flammen.

Russland kündigt Rückzug an

Unterdessen ist das Sondertreffen des Nato-Russland-Rats in Brüssel abgesagt worden. Ein Sprecher der russischen Vertretung bei der Nato in Brüssel nannte die Position der USA als Begründung. Ein Nato-Sprecher nannte Zeitprobleme und Schwierigkeiten bei der Vorbereitung als Grund. Zuvor hatte schon die georgische Außenministerin Eka Tkeschelaschwili ihr Kommen abgesagt.

US-Präsident George W. Bush forderte Russland in scharfen Worten zum Rückzug seiner Truppen aus Georgien und zur Zustimmung zu einem sofortigen Waffenstillstand auf. Russland sei "in einen souveränen Nachbarstaat eingefallen" und bedrohe eine demokratisch gewählte Regierung, erklärte Bush am Montag. Eine solche Handlung sei im 21. Jahrhundert inakzeptabel.

Die USA seien wegen der "dramatischen und brutalen Eskalation" der Gewalt sehr besorgt. Moskau setze die Beziehungen zu den USA und Europa aufs Spiel, erklärte Bush. Es gebe Hinweise darauf, dass Russland die demokratisch gewählte Regierung Georgiens aus dem Amt drängen wolle.

Georgien appelliert an UN-Sicherheitsrat

Während Bushs Erklärung dauerte die inzwischen fünfte Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats in New York wegen des Kriegs weiter an. Das Gremium müsse jetzt handeln, forderte der georgische UN-Botschafter Irakli Alasania. Nach Angaben zweier UN-Mitarbeiter drangen russische Truppen weit über die beiden abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien hinaus auf georgisches Gebiet vor. Luftlandetruppen stießen von Abchasien nach Georgien vor. Alasania sprach von einer umfassenden militärischen Invasion Georgiens.

Bundeswehrangehörige in Georgien

Vor den Angriffen in Abchasien am Dienstag seien die UN-Beobachter in der Region gewarnt worden, sagte ein Sprecher der Separatisten, Sergej Schamba. Das Hauptquartier der UN-Beobachtermission (Unomig) in Suchumi sei nicht betroffen.

Im Rahmen von Unomig sind zwölf Bundeswehrangehörige in Georgien eingesetzt. Russische Truppen waren am Montag von Abchasien aus nach Georgien vorgestoßen.

Die Botschafter der 26 Mitgliedstaaten der Nato haben inzwischen in Brüssel mit Beratungen über den Konflikt zwischen Georgien und Russland begonnen. Die Sondersitzung des Nato-Rates war von Georgien beantragt worden, das seit 1994 ein Mitglied der Nato-Partnerschaft für den Frieden ist. Die georgische Außenministerin Eka Tkeschelaschwili nahm entgegen ihrer ursprünglichen Absicht nicht teil: Sie begründete dies nach Angaben von Diplomaten mit Schwierigkeiten, aus der Hauptstadt Tiflis auszufliegen.

Zu Beginn des Treffens war noch ungewiss, ob die Bündnismitglieder eine Erklärung beschließen würden, in der Russland zum Abzug aus Georgien aufgefordert wird. Russland hat seinerseits eine Sondersitzung des Nato-Russland-Rates beantragt, um den Nato-Staaten seine Sicht des Konflikts darzulegen. Dafür wurde nach Angaben von Diplomaten zunächst noch kein Termin festgelegt, sagten Nato-Diplomaten.

Die US-Präsidentschaftskandidaten John McCain und Barack Obama verurteilten die russische Offensive in Georgien einhellig. McCain forderte entschiedene Gegenmaßnahmen der USA. Obama erklärte, es gebe keine Rechtfertigung für das russische Vorgehen.

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