Krieg im Gaza-Streifen:Schwere Vorwürfe

Angeblich setzt die israelische Armee Phosphorgeschosse im Gaza-Streifen ein - Ärzte berichten von "schweren Brandwunden".

Tomas Avenarius und Thorsten Schmitz

Israel gerät im Gaza-Krieg immer stärker in die Kritik. Die Vorwürfe häufen sich, dass Israel bei der Kriegsführung die Menschenrechte verletze. Obwohl Israel keine ausländischen Journalisten in den Gaza-Streifen reisen lässt, verfügen die amerikanische Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch (HRW) und die Vereinten Nationen laut eigenen Angaben über Belege, dass die israelische Armee beim Kampf gegen die radikalislamische Hamas gegen das Recht auf Unversehrtheit von Zivilisten verstoße.

Krieg im Gaza-Streifen: Bombardierung von Gaza-Stadt: Nach Aussagen von Menschenrechtsorganisationen soll Israel bei seinem Kampf gegen die Hamas auch Phosphormunition einsetzen.

Bombardierung von Gaza-Stadt: Nach Aussagen von Menschenrechtsorganisationen soll Israel bei seinem Kampf gegen die Hamas auch Phosphormunition einsetzen.

(Foto: Foto: AP)

Die Hochkommissarin für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen, Navi Pillay, erklärte, sie vermute, die israelische Armee habe Kriegsverbrechen begangen. Sie forderte eine unabhängige Untersuchung. Pillay nahm Bezug auf einen Fall in Seitun, einem Stadtteil im Osten von Gaza-Stadt. Bei einem Artillerie-Angriff israelischer Panzer auf ein Wohnhaus in Seitun waren mindestens 30 Mitglieder einer Großfamilie getötet und mehr als 15 zum Teil schwer verletzt worden.

Obwohl die israelische Armee nach Angaben von Mitarbeitern des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK) nur 80 Meter von dem beschossenen Wohnhaus entfernt stationiert war, hätten die Soldaten es Hilfsgruppen und Sanitätern drei Tage lang nicht erlaubt, zu den Toten und den Verletzten vorzudringen. In einer dreistündigen Feuerpause hatten Sanitäter des IKRK nach eigenen Angaben vier hungernde Kinder neben den Leichen ihrer Mütter entdeckt. Die Kinder seien zu schwach oder so schwer verletzt gewesen, dass sie keine Hilfe holen konnten.

Pillay sagte am Wochenende: "Soldaten sind verpflichtet, das Leben von Zivilisten zu schützen. In diesem Fall waren die Kinder hilflos, und die israelischen Soldaten waren ganz nahe am Wohnhaus stationiert." Das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten Ocha wirft Israel vor, seine Soldaten hätten zuvor hundert Palästinensern befohlen, in das Wohnhaus in Seitun zu gehen, das anderntags, am 4. Januar, von israelischer Artillerie beschossen wurde. Eine israelische Armee-Sprecherin erklärte am Sonntag auf Anfrage, man prüfe die Berichte.

Nur schwer zu löschen

Schwere Vorwürfe gegen Israel hat am Wochenende Human Rights Watch erhoben. Die Armee verwende wie im Krieg gegen die Hisbollah im Libanon vor zweieinhalb Jahren Phosphorgeschosse. Nach der Auswertung von Filmen und Fotos sowie nach Gesprächen mit Ärzten im Gaza-Streifen sei Human Rights Watch zum Schluss gekommen, "dass Israel gegen internationales Menschenrecht verstößt und Phosphorbomben einsetzt" sagte Marc Garlasco von HRW am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. Auf Fotos sei deutlich zu erkennen, dass Israels Armee im Gaza-Krieg Phosphorgranaten aus amerikanischer Produktion mit der Kennzeichnung M825A1 verwende.

Phosphormunition ist nicht explizit verboten, aber ihr Einsatz ist laut Waffenkonvention von 1980 gegen Zivilisten und in städtischen Gebieten unzulässig. Ärzte im Schifa-Krankenhaus von Gaza-Stadt, so sagte Garlasco, berichteten über Verletzte mit schweren Brandwunden. Die Armee setze offenbar weißen Phosphor ein. Die Bomben explodieren am Himmel, verbreiten weißen Rauch. Danach fliegen kleine Brandsätze ähnlich wie Feuerwerk zu Boden. Diese Geschosse, so erklärte Militärexperte Garlasco, verursachten "entsetzliche Brandwunden".

Weißer Phosphor dürfe nicht im Gaza-Streifen eingesetzt werden, da die Region zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde gehöre und Armeen verpflichtet seien, Zivilisten zu schützen. Diese Granaten setzten Häuser und Menschen in Brand. Die Feuer seien nur schwer zu löschen. Die Phosphorgeschosse streuten nach der Explosion am Himmel bis zu 116 Brandsätze und fielen im Umkreis von 250 Metern zu Boden.

Im Krieg werden Phosphorgeschosse üblicherweise zur Desorientierung des Gegners eingesetzt. Der Rauch macht den Feind blind, zusätzlich fügen ihm die Brandsätze, wenn sie die Haut treffen, schwere Wunden zu. Besonders bei Bodenoffensiven werden Phosphorgranaten eingesetzt, auch von britischen und amerikanischen Truppen im Irak.

Israelische Armee-Sprecher bestreiten allerdings, dass Israel Phosphorbomben einsetze. Gleichzeitig geben sie aber auch keine Auskunft darüber, welcher Art die feuerwerksähnlichen Granaten sind, die von Kampfhubschraubern nachts über dem Gaza-Streifen abgeschossen werden und den Himmel für kurze Momente taghell erleuchten.

Anders als Human Rights Watch bezweifelten die norwegischen Ärzte Mads Gilbert und Erik Fosse, die in den vergangenen Tagen in Gaza arbeiteten, am Wochenende, dass die israelische Armee Phosphorbomben einsetze. Fosse sagte, sie hätten keine für Phosphorbomben typischen Verbrennungen bei ihren Patienten gesehen. Es könne aber sein, dass die Sprengköpfe bestimmter Waffentypen leicht mit Phosphor versetzt seien, um das Gefechtsfeld zu beleuchten. Beide Ärzte betonten, dass sie auch keine für Streubomben typische Verstümmelungen gesehen hätten. Im Libanon-Krieg hatte Israels Luftwaffe die international geächteten Streubomben abgeworfen.

Gilbert und Fosse, die während der vergangenen zehn Tage im Gaza-Streifen Verletzte operiert haben, verdächtigen Israel aber des Einsatzes neuartiger Waffen. Die beiden seit zwei Jahrzehnten in Kriegsgebieten arbeitenden Mediziner sagten, sie hätten Patienten mit bisher unbekannten Verletzungsformen gesehen. Sie vermuteten, dass Israel sogenannte Dime-Bomben abwerfe.

Diese neuartigen Anti-Personen-Bomben verschössen bei der Explosion mit höchster Energie winzige Fragmente auf einem eng begrenzten Raum. Die nadelförmigen Fragmente perforierten den Körper und ließen umliegende Räume unbeschädigt. Die beiden Ärzte betonten aber: "Wir haben Indizien für den Einsatz derartiger Bomben. Wir haben aber keine Beweise."

"Fehlgeleitete Granate"

Bis zum Wochenende wurden im Gaza-Krieg nach palästinensischen Angaben etwa 830 Menschen getötet, darunter 260 Kinder und Jugendliche. Der palästinensische Regierungschef Salam Fajad schockierte auf einer Pressekonferenz vor wenigen Tagen in Ramallah mit einem Bild, das im Gaza-Streifen nach einem Luftangriff der israelischen Armee aufgenommen worden sein soll. Es zeigte den vom Körper eines Mädchen abgetrennten Kopf inmitten einer zerstörten Wohnsiedlung. Fajad klagte Israel an, es verübe Kriegsverbrechen.

Israel hat unterdessen eine fehlgeleitete Granate für die Explosion vor einer Schule der Vereinten Nationen verantwortlich gemacht, bei dem nach palästinensischen Angaben vergangene Woche 39 Menschen getötet wurden. Ermittlungen der Streitkräfte hätten ergeben, dass eine fehlgeleitete Mörsergranate eingeschlagen sei, verlautete am Sonntag aus Kreisen des Verteidigungsministeriums in Jerusalem.

Nach dem Angriff in Dschabalija am Dienstag hatte Israel erklärt, die Truppen hätten das Feuer von Hamas-Kämpfern erwidert. Laut den Ermittlungen schossen die militanten Palästinenser eine Rakete ab, die Soldaten reagierten mit drei Mörsergranaten. Eines der Geschosse habe sein Ziel um etwa 30 Meter verfehlt und mehrere Zivilisten getötet, hieß es in der Untersuchung.

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