Krieg im Gaza-Streifen:Ägyptens Verantwortung

Israels Bodenoffensive macht den Krieg im Gaza-Streifen unkalkulierbar. Ägypten kann aber noch vermitteln - und sich der Aufgabe angesichts des innenpolitischen Drucks kaum erwehren.

Tomas Avenarius, Kairo

Israels Verteidigungsminister Ehud Barak war General in einer der besten Armeen weltweit. Er kennt die Binse jedes Krieges: Es ist einfacher, in feindliches Gebiet einzumarschieren, als es mit Siegesfanfaren zu verlassen.

Krieg im Gaza-Streifen: Rauchschwaden nach einem israelischen Luftangriff in Rafah: Mit jeder abgefeuerten Rakete steigt der Druck auf die arabischen Nachbarstaaten, den Palästinensern zu helfen.

Rauchschwaden nach einem israelischen Luftangriff in Rafah: Mit jeder abgefeuerten Rakete steigt der Druck auf die arabischen Nachbarstaaten, den Palästinensern zu helfen.

(Foto: Foto: AP)

Trotz der Risiken einer Bodenoffensive haben Barak und die israelische Führung jetzt Soldaten und Panzer in den Gaza-Streifen vorstoßen lassen. Die Frage ist, was Israel in diesem Krieg gegen die Hamas erreichen will und kann.

Die Hamas-Islamisten kennen die klassische Kriegsbinse auch. Sie haben auf den Angriff gewartet. War Hamas während des israelischen Luftkriegs fast wehrlos, können ihre rund 20.000 Kämpfer dem Feind jetzt entgegentreten.

Hamas hat sich seit 2006 auf einen Häuserkampf in einem der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde vorbereitet: Die Militanten haben Sprengfallen in den Städten und Flüchtlingslagern des Palästinensergebiets angelegt. Hamas am Boden zu bekämpfen ist möglich. Es dürfte aber verlustreich werden für die israelische Armee und einen hohen Blutzoll fordern unter der palästinensischen Bevölkerung.

Israel muss sich also nach seinem langfristigen Kriegsziel befragen lassen. Den Gaza-Streifen besetzen will niemand. Armee und Siedler haben sich 2005 von dort zurückgezogen. Die Regierung hatte eingesehen: Eineinhalb Millionen Palästinenser, auf kleinstem Gebiet gedrängt, lassen sich kaum durch eine Besatzungsmacht kontrollieren.

Also kann die neue Bodenoperation nur auf eines abzielen: Ehe sich die israelischen Soldaten zurückziehen, sollen Hamas vernichtend geschlagen und in Nord-Gaza eine Sicherheitszone eingerichtet werden, um die Gefahr durch Raketenbeschuss zu reduzieren. Ob es den israelischen Soldaten gelingt, die palästinensischen Militanten rasch niederzuringen, wird sich zeigen. Garantiert ist es keinesfalls.

Israels Regierung dürfte außerdem von der Überlegung gesteuert sein, mit dem Krieg die leidende Bevölkerung gegen Hamas aufzubringen. Die Gaza-Machthaber konzentrieren sich auf das Kämpfen. Sie lassen ihre Bevölkerung alleine. Aber die Menschen wissen, wer ihre Häuser bombardiert, wer ihre Frauen und Kinder tötet. Sie werden eher selbst auf israelische Soldaten schießen, als ihren für Hamas kämpfenden Söhnen, Brüdern und Vätern in den Rücken zu fallen. Die Aussicht auf eine heimliche oder offene Rebellion ist gering.

Israels strategisches Kalkül dürfte vor allem von politischen Motiven geleitet sein. Der Gaza-Streifen grenzt an Israel und an Ägypten: Mit jeder explodierten Bombe, mit jeder abgefeuerten Kugel steigt der Druck auf den arabischen Nachbarstaat, den Palästinensern zu Hilfe zu kommen. Mit Waffen wird Ägypten nicht einschreiten; es hält sich an den Friedensvertrag mit den Israelis. Bleiben humanitäre und diplomatische Hilfe.

Humanitäre Hilfe ist in einem Krieg oft nicht mehr als ein Symbol. Und diplomatisch hat Ägypten seine Karten ausgereizt. Der von Kairo vermittelte Waffenstillstand zwischen Israel und Hamas hat nicht gehalten. Auch der Versuch, die verfeindeten Palästinenser-Fraktionen in Gaza und im Westjordanland zu versöhnen, blieb fruchtlos. Jeder neue Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel wäre also wenig belastbar.

Ägypten war nie unparteiischer Mittler: Präsident Hosni Mubarak fürchtet die radikal-islamischen Ideen der Hamas. Er weiß, dass sie auch in seinem Land auf fruchtbaren Boden fallen. Jetzt sterben direkt hinter seiner Grenze unschuldige Menschen. Die ägyptische Bevölkerung und die Araber in der ganzen Region fordern, dass die Palästinenser nicht im Stich gelassen werden. Sollte der Krieg länger als ein paar Tage dauern, wird Mubarak die Grenze für die Opfer in irgendeiner Form öffnen müssen.

Damit würde Ägypten Verantwortung übernehmen für die Gaza-Palästinenser. Die Situation wäre fast vergleichbar mit der im Sechs-Tage-Krieg von 1967: Arabische Kriegsflüchtlinge flohen damals vor israelischen Truppen in benachbarte arabische Staaten - und bleiben für immer dort. Im aktuellen Fall könnte Israel ein Ende der Kämpfe anbieten, wenn eine unbeteiligte Macht die Waffenruhe überwacht. Ägypten wäre ein naheliegender Kandidat. Kairo müsste Hamas im Zaum halten. Und dafür Sorge tragen, dass die Menschen zu essen haben. Es würde den Gaza-Streifen quasi mitverwalten.

Hier zeichnet sich ein realistisches Kriegsziel des Strategen Barak ab: Mit diesem Krieg könnte Israel die Verantwortung für die 1,5 Millionen Gaza-Palästinenser ein Stück weit den Ägyptern zuschieben. Präsident Mubarak könnte sich dem kaum verwehren. Seine Bevölkerung klagt Solidarität ein. Und die USA würden ihn unter Druck setzen: Sie sind Israels enger Bundesgenosse und Kairos wichtigster Geldgeber. Mubarak weiß, dass kein anderer zur Verfügung steht. Oder sollen etwa deutsche, französische und andere EU-Soldaten eine Gaza-Waffenruhe garantieren?

Aus der Sicht Israels wäre eine Verlagerung der Verantwortung für Gaza ein lohnendes Kriegsziel. Noch sind die Opfer des Kriegs palästinensische Frauen und Kinder. Bald aber könnte auch Ägypten einen Preis bezahlen.

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