Dokumentarfilmfestival Thessaloniki:So viel Lebensfreude wie möglich

Lesezeit: 3 min

Luana Muniz - bildgewaltig, wie ganz Rio de Janeiro. (Foto: Festival)

In unserer krisenbehafteten Welt bemüht sich das Dokumentarfilmfestival in Thessaloniki um Nachweise für Menschlichkeit, Hoffnung und Lebensfreude.

Feierlaune am Thermaischen Golf: Das Dokumentarfilmfestival Thessaloniki zelebrierte in diesem Jahr seine 20. Auflage. Das TDF, wie es kurz gerufen wird, ist das Beiboot des Internationalen Filmfestivals Thessaloniki (TIFF), das mit seiner knapp 60-jährigen Geschichte zu den traditionsreichsten Filmschauen auf dem Balkan zählt und jedes Jahr im November stattfindet. Doch das TDF hat sich gemausert und hat das Kindesalter mit seinem 20. Jubiläum nun deutlich hinter sich gelassen, dessen Schlussvorhang am 11. März fiel.

Während sich das TIFF zu einer der wichtigsten Plattformen für die Arbeiten neuer und aufstrebender Filmemacher in Südosteuropa entwickelt hat, nimmt das TDF diese Rolle nun im Bereich des Dokumentarfilms ein.

Das wurde allein schon durch die Vergabe des Hauptpreises "Goldener Alexander" an den dänischen Regisseur Simon Lereng Wilmont deutlich, der für seinen Film "The Distant Barking of Dogs" ausgezeichnet wurde.

Denn die Würdigung von Wilmonts Dokumentation belegte, dass seine letztjährige Auszeichnung mit dem "First Appearance Award" beim Internationalen Dokumentarfilmfestival Amsterdam - dem weltweit wichtigsten Schaufenster für Dokus - kein Zufall war. Schließlich ist der "Goldene Alexander" ein ähnlich ausgestalteter Preis, der junge und vielversprechende Filmemacher würdigen und bestärken soll, weswegen nur Erstlings- und Zweitlingswerke für den Wettbewerb in Thessaloniki zugelassen sind.

Für "The Distant Barking of Dogs" begab sich der dänische Regisseur ein Jahr lang an die Seite des zehnjährigen Oleg, der im Kriegsgebiet der Ost-Ukraine lebt, wo das Zischen von Luftabwehrraketen und der Lärm von Granateinschlägen zum Alltag gehören.

Menschlichkeit in einer inhumanen Welt

Wilmont legt den Akzent seines Filmes auf die enge Beziehung zwischen Oleg und seiner Großmutter, die seit dem Tod seiner Mutter für ihn sorgt. Die tiefe Menschlichkeit, die hier über die Generationen hinweg in einer zutiefst inhumanen Welt aufrecht erhalten wird, macht "The Distant Barking of Dogs" zu einem besonderen Film. Wilmont zeigt eindrücklich, welchen Preis die Zivilbevölkerung zu zahlen hat, wenn die Vertreter der Staatsräson in fernen Amtsstuben Krieg führen wollen.

Der Balkan, der beim TDF naturgemäß einen Schwerpunkt bildet, wurde in diesem Jahr vor allem durch griechische Filmemacher repräsentiert: Stolze 78 Beiträge unter den insgesamt 227 gezeigten Filmen waren griechischer Herkunft.

Demgegenüber zeigte das Festival nur wenige Arbeiten aus anderen Ländern des Balkans. Immerhin bereicherte Nicolas Wagnieres den Wettbewerb mit einer Dokumentation, die sich einem der tiefsten Traumata vieler Gesellschaften der Region stellte - dem Zerfall Jugoslawiens in den 1990er-Jahren.

Jury ignoriert starke Beiträge

In seiner Doku "Hotel Jugoslavia" befasst sich der Schweizer Filmemacher und Sohn einer serbischen Mutter mit der stürmischen Geschichte des Drei-Sterne-Hauses in Belgrad, das einst als mondäne Herberge die Größe des Vielvölkerstaates Jugoslawien symbolisieren sollte. Für ihn ist die 1969 gebaute Ikone des Modernismus ein Sinnbild für das Land und seine Menschen, die in den vergangenen 40 Jahren massiven Umbrüchen ausgesetzt waren.

Wagnieres begreift die Verwahrlosung des Gebäudes vor dem Hintergrund der einst hochfliegenden Pläne für seine Zukunft als eine Analogie für den Verfall sozialer Werte, die er in Jugoslawiens Nachfolgestaat Serbien wahrnimmt. Obwohl "Hotel Jugoslavia" zu den stärkeren Beiträgen des Wettbewerbs zählte, ging er bei der Preisvergabe leer aus.

Dasselbe widerfuhr der Dokumentation "Obscuro Barroco" der aufstrebenden Athener Filmemacherin Evangelia Kranioti, für die sie bei der Berlinale mit dem "Teddy Award" ausgezeichnet worden war.

Ein Transvestit, der für ganz Rio de Janeiro steht

Eine Auszeichnung hätte ihr auch in Thessaloniki gebührt, denn sie belegte einmal mehr, dass sie zu den innovativeren Filmemachern der Gegenwart zählt. Bereits in ihrem Debütfilm "Exotica, Exotica, Etc." demonstrierte sie 2015 ihren talentierten Blick für starke Bilder. Mit "Obscuro Barroco" präsentierte sie in Thessaloniki nun Rio de Janeiro als visuelles Universum, durch das ihr transsexueller Erzähler Luana Muniz streift, eine Galionsfigur der homosexuellen Subkultur Brasiliens.

Für Kranioti steht Muniz für ganz Rio - eine Traumfabrik, aber auch ein Ort des Elends. Eine Stadt im stetigen Wandel, die uns daran erinnert, dass wir uns viel zu häufig nicht für das öffnen, was an Lebensfreude möglich ist.

Doch zumindest in Thessaloniki wird 2018 als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem es ein rauschends Geburtstagsfest gab.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: