Krawalle in Bautzen:Ordnung schaffen nach der Nacht der Steine

Seit Wochen schaukeln sich in Bautzen Konflikte zwischen jungen Asylbewerbern und Einheimischen auf. Nun soll es ein Alkohol- und Ausgehverbot geben - für Flüchtlinge.

Von Cornelius Pollmer, Bautzen

Schon vor der Hatz in Bautzen hatte Sachsens Ministerpräsident eine Stellungnahme verschickt, die sich liest, als wäre sie eine Reaktion auf die Exzesse der Nacht. Der "Internationale Tag der Demokratie" steht bevor, und so erinnert Stanislaw Tillich (CDU) daran, dass Demokratie Rechtsstaatlichkeit brauche. Ihm bereite vor allem die Beobachtung Sorge, dass die Verwahrlosung im Denken von Menschen "immer öfter zu einer Verwahrlosung im Handeln führe". Das müsse den Widerspruch der Mehrheit wecken.

Einen Sonnenaufgang später, am Donnerstagvormittag, steht Robert Böhmer als Vertreter des Oberbürgermeisters auf dem Bautzener Kornmarkt und bemüht sich um Antworten auf Fragen eines Reporters. Das Interview wird live auf Facebook gestreamt, Böhmer wirkt, verständlicherweise, leicht nervös.

Die vergangene Nacht, aber auch die Schreie und Angriffe der vergangenen Wochen markierten eine "verstörende, traurige Entwicklung". Das Sicherheitsgefühl der Bürger gehe verloren, es müssten sich nun alle - und da stolpert Böhmers Stimme - um eine demokratische "Auseinanderzersetzung" bemühen.

Das Wort ist eine Zufallsgeburt, aber es beschreibt doch ganz gut, was sich seit einer Weile in Bautzen hochschaukelt und was in der Nacht zum Donnerstag kulminiert ist. Seit April ist die Polizei zu mehr als 70 Einsätzen auf den Kornmarkt gerufen worden.

Der Platz, sagt sie, habe sich zu einem "Pulverfass" entwickelt und zwar durch wechselseitige Provokationen. Es provozieren junge Asylbewerber und ihre Unterstützer, sowie Rechtsextreme, die wohl teils eigens anreisen. Zudem Jugendliche aus Bautzen, die örtliche Trinkerszene. Eine "brisante Mischung", sagt die Polizei.

Die Frage ist nun, was Mittwochnacht am Kornmarkt passiert sein könnte und welche Konsequenzen dieses Geschehen haben kann. Passiert sein könnte, weil am Donnerstag deutlich mehr Leute zu wissen behaupten, was genau geschehen ist, als überhaupt dabei gewesen sind.

Minderjährige Flüchtlinge - laut Polizei entscheidende Rolle

Die Darstellung der Polizei wird dieser bald den Vorwurf einbringen, jene zu kriminalisieren, welche die eigentlichen Opfer seien. Denn die Darstellung der Polizei beinhaltet den Hinweis, dass der Startpunkt einer Nacht von Hatz und Gewalt durch Asylsuchende gesetzt worden sei, nämlich aus einer Gruppe von 15 bis 20 UMAs. Die Abkürzung steht für "Unbegleitete minderjährige Ausländer", und sie spielen in der Darstellung der Behörden eine entscheidende Rolle.

Schon am vergangenen Freitag habe es bei einer Konfrontation in Bautzen außer Pöbeleien auch Gewalt gegeben, und die sei zunächst von jungen Geflüchteten ausgegangen, sagt Polizeichef Uwe Kilz. Am Dienstag wurde ein Einheimischer bei Ausschreitungen auf dem Kornmarkt durch einen Flaschenwurf verletzt. Am Mittwoch dann sollen teils alkoholisierte Geflüchtete an selber Stelle Flaschen und Steine in Richtung von etwa 80 Personen geworfen haben, einer Gruppe von Einheimischen und Angereisten aus der Umgebung.

Flüchtlinge, Betrunkene, "Erlebnisorientierte"

Der Kornmarkt, genannt Platte, ist in Bautzen der zentrale Platz - zumal im Sommer, gerade auch für Geflüchtete, die dort einen freien Wlan-Hotspot vorfinden. So waren beide Seiten am späten Mittwochabend am Ort, auf beiden Seiten laut den Behörden auch Betrunkene und unter den Asylgegnern einige "Erlebnisorientierte".

Nach den Würfen nahmen Rechtsradikale die Verfolgung auf, teilweise hatten sie sich dazu im Netz verabredet. Flüchtlinge griffen auch Polizisten an, ehe sie sich in ihre Unterkunft zurückzogen. Ihre Gegner folgten ihnen auch dahin, belagerten die Unterkunft und stoppten einen Krankenwagen. Die Polizei vergrößerte ihr Aufgebot auf zeitweise 100 Beamte. Sie habe versucht, die Lager zu trennen, doch sei es zu kleineren Ausbrüchen gekommen, hieß es.

War das schon Anarchie, wird Polizeipräsident Kilz am Donnerstag gefragt. Das nicht, sagt er, chaotisch sei es eine Zeit lang aber schon gewesen. Ansonsten: durchaus auch Zufriedenheit mit dem Einsatz. Dieser sei zwar "nicht optimal" verlaufen, sagt der leitende Kriminaldirektor Klaus Mehlberg, vor allem mit Blick auf die anfänglich verfügbaren Kräfte. Andererseits habe sich die Großlage spontan entwickelt.

In der Unterkunft der Jugendlichen soll nun hart durchgegriffen werden, der zuständige Landkreis Bautzen verhängte ein Alkoholverbot und eine Ausgehsperre von 19 Uhr an. Für den Kornmarkt erwägen die Behörden ebenfalls ein Alkoholverbot.

Oberbürgermeister bricht Dienstreise ab

Es bleibt für den Moment wieder ein Schlaglicht auf Sachsen, wieder ein Schlaglicht auf Bautzen. Im Februar war ein einstiges Hotel, in dem eine Asylbewerberunterkunft entstehen sollte, angezündet worden und niedergebrannt. Schaulustige hatten die Löscharbeiten behindert. Die Polizei stellte fest: ein offenbar ausländerfeindlicher Anschlag. Der Täter ist bis heute nicht gefunden. Vom Besuch des Bundespräsidenten Joachim Gauck in Bautzen Monate später sind vor allem jene 20 Schreiköpfe in Erinnerung, die Gauck und seine Lebensgefährtin schmähten, statt sie, wie die Mehrheit, freundlich zu begrüßen.

Bautzens parteiloser Oberbürgermeister Alexander Ahrens sagte am frühen Donnerstag aus der Ferne erst, er sei "entsetzt und sehr besorgt" über die Gewalt. Er kündigte den verstärkten Einsatz von Streetworkern und Polizisten an. Am Ende seiner Entladung steht ein PS: Alles Gesagte beziehe sich auf die Nacht von Montag auf Dienstag, über die Ereignisse der Mittwochnacht müsse er sich erst noch informieren.

Später bricht Ahrens dann eine Dienstreise nach Düsseldorf ab, um nach Bautzen zurückzukehren, für den Abend hat sich auch Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) angekündigt. So geht das Geschehen über von einer undurchsichtigen Nacht in die Frage, wie es nun weitergeht.

Ahrens sagt: "Ich verurteile die Gewalt - unabhängig von wem sie ausgeht - auf das Schärfste." Ähnlich äußert sich der CDU-Landtagsabgeordnete Marko Schiemann, der am Abend am Ort gewesen war, sowie die Polizei und der Landkreis. Dieser will einzelne Flüchtlinge nun an andere Standorte verlegen. Es geht Politik und Verwaltung, so der Eindruck, im Wesentlichen um eine Wiederherstellung öffentlicher Ordnung, weniger um ausführlichste Ursachenforschung und -betrachtung.

Nicht nur die Linken-Politikerin Caren Lay sagt aber auch, das Problem mit rechter Gewalt bestehe im Osten Sachsens seit Jahren. Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) sagt, es müsse nun "alles dafür getan werden", die Situation zu deeskalieren. Zumindest dafür dürfte es nicht den Wider-, sondern den Zuspruch der Mehrheit in Sachsen durchaus geben.

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