Krankenversicherung:Schwarz-Gelb stellt die Systemfrage

Die neue Koalition kramt aus der Mottenkiste die Pauschalprämien hervor. So soll das Gesundheitssystem gerettet werden. Die Opposition reagiert heftig.

T. Denkler, Berlin

Das böse Wort nimmt nur die CSU-Politikerin Barbara Stamm in den Mund, nebenbei nur und versehentlich vermutlich. "Prämie" lautet das Unwort. Nur wer es schon vergessen hat: Prämie steht synonym für die als neoliberal verschrienen Beschlüsse vom Leipziger Parteitag der CDU im Jahr 2003. Die Idee: weg vom einkommensabhängigen Beitrag zur Krankenversicherung hin zu einer festen Pauschale, unabhängig vom Einkommen.

Noch-Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), Landtagspräsidentin Stamm und Niedersachsens FDP-Wirtschaftsminister Philipp Rösler stellten am Vormittag den in der Nacht zuvor gefundenen Gesundheitskompromiss der kommenden schwarz-gelben Koalition vor.

Von "Prämie" wollen Rösler und von der Leyen in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalens nicht sprechen. Sie reden lieber von einem "einkommensunabhängigen Beitrag" der in Zukunft erhoben werden soll. Wie auch immer der ausgestaltet wird: Das bedeutet an sich schon einen radikalen Systemwechsel. FDP-Mann Rösler formuliert das so: "Langfristig werden wir das bestehende Ausgleichssystem in eine neue Ordnung überführen".

Die soll so aussehen: Die Arbeitnehmer werden künftig einen von ihrer gesetzlichen Krankenkasse festgelegten Pauschalbetrag überweisen müssen. Der Betrag wird grundsätzlich für alle Mitglieder der Kasse gleich hoch sein, egal ob Gering- oder Spitzenverdiener. Jede Kasse kann aber regional unterschiedliche Tarife anbieten.

In sich haben dürfte es auch die Verabredung, dass die Versicherten auf "Basis des bestehenden Leistungskatalogs soweit wie möglich ihren Versicherungschutz selbst gestalten können". Das klingt nett, bedeutet aber, dass es neben einer Grundversorgung Zusatzversicherungen geben wird, über die Sonderrisiken abgedeckt werden müssten.

Sozial Schwachen wird mit einem Steuerzuschuss geholfen, den Beitrag zu zahlen. Über diesen Weg der Steuerfinanzierung sollen alle Einkommensbezieher am sozialen Ausgleich beteiligt werden. Also auch jene, die mehr als 3675 Euro monatlichverdienen und sich somit privat krankenversichern können.

Rösler verspricht sich davon ein "robustes Gesundheitssystem, dass nicht mehr alle zwei Jahre reformiert werden muss". Vor allem aber werde es "definitiv nicht teurer werden". Von der Leyen nennt das System gerechter.

Die CSU war eigentlich nie für das Pauschalmodell. Und Barbara Stamm wird sich auf die Zunge gebissen haben, dass sie es war, die von Prämie sprach. Bevor kurze Zeit später CSU-Genrealsekretär Alexander Dobrindt zu Beginn der abschließenden großen Koalitionsrunde in die Mikrophone sprechen konnte, fing sie ihn am Auto ab und nahm ihn ins Gebet.

Dobrindt sagte dann, dass es ein "reines Prämienmodell" nicht geben werde. Ob das Teil des Interpreationspielraumes ist, den sich die Verhandler gegenseitig zugebilligt haben, wird die Regierungskommision zeigen müssen, die ab 2010 das Konzept für das neue Gesundheitssystem ausarbeiten soll.

Gewinner der Reform könnten die Arbeitgeber werden. Sie sollen künftig pro Arbeitnehmer nur noch einen einheitlichen Festbetrag an die Krankenversicherungen überweisen müssen. Derzeit teilen sich die Arbeitnehmer und Arbeitgeber den Krankenkassenbeitrag. Unklar ist, wie hoch dieser Festbetrag ausfallen könnte und ob im Schnitt die Arbeitgeber insgesamt weiterhin knapp die Hälfte der Gesundheitskosten finanzieren. Vermutet wird aber, dass die Arbeitgeber über diesen Schritt entlastet werden sollen.

Neues System ab 2011

Von der Leyen will das System bereits 2011 installieren. Bis dahin soll sich erst mal nichts ändern. Weder soll der Einheitsbeitrag zur Krankenkasse von 14,9 Prozent angehoben werden, noch die Deckelung des Zusatzbeitrages von bis zu einem Prozent, den die Krankenkassen aufschlagen dürfen.

Wie damit das zu erwartende Milliardendefizit der Krankenkassen im kommenden Jahr ausgeglichen werden soll, ließen die künftigen Koalitionäre offen. Rösler deutete nach der Pressekonferenz aber an, dass sie schlicht von besseren Zahlen aufgrund eines höheren Wirtschaftswachstums ausgingen.

Unklar ist, ob es damit auch zu einer Kopfpauschale kommen wird, also möglicherweise die Familienmitversicherung aufgelöst wird. Das war Bestandteil früherer Pläne der CDU. Dann müsste die neue Pauschale für jeder Person in einem Haushalt bezahlt werden.

Kritik kommt erwartungsgemäß von der Opposition. Carola Reimann, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte, die neue Koalition wolle, dass die Versicherten "die Zeche für die Entlastung der Arbeitgeber" zahlten.

Nur Privatversicherer freuen sich

Grünen-Chefin Claudia Roth teilte mit, durch die Hintertür wolle "die neue Koalition den Gesundheitsmurks der großen Koalition noch verschlimmern". Den angekündigten Sozialausgleich über das Steuersystem nannte Roth ein "Sozialmäntelchen", mit dem lediglich die "die soziale Kälte" der Vereinbarung verdeckt werden solle.

Die Gesundheitsexpertin der Linken, Martina Bunge, sagte, Schwarz-Gelb sei dabei, die Solidarität im Gesundheitswesen ausfzulösen. "Die Einführung einer Kopfpauschale bedeutet im Klartext: Die Arbeitgeber werden entlastet, Geringverdiener werden von selbstbewussten Versicherten zu Bittstellern beim Staat."

Die Sozialverbände scheinen über die Vorentscheidung der Koalition in helle Aufregung zu geraten. Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher, nannte die geplante Pauschale eine Zumutung für Geringverdiener und Rentner. Johannes Vöcking, Vorstandsvorsitzender der Barmer Ersatzkasse, bezeichnete die Pläne als "sozialpolitisch fatal und ökonomisch falsch".

Einzig der Chef des Verbandes der privaten Krankenversicherungen, Volker Leienbach, fand die schwarz-gelben Ideen gut. Das sei der "überfällige Richtungswechsel in der Gesundheitspolitik". Die Bürger erhielten mehr Gestaltungsfreiheit.

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