Krankenkassen:Fett abgesaugt

Müssen Krankenkassen stets Fristen einhalten, bei denen es darum geht, wann eine Behandlung automatisch als genehmigt gilt? Darüber verhandelt das Bundessozialgericht in einem ungewöhnlichen Fall.

Von Kim Björn Becker

Es sei "ein guter Tag für die Patienten in Deutschland", da war sich der Bundesgesundheitsminister sicher. Ein Tag im September 2012, der Minister hieß Daniel Bahr (FDP) und er stand im Plenum des Bundestages, um das Patientenrechtegesetz der schwarz-gelben Bundesregierung vorzustellen. Das Gesetz sollte unter anderem die Rolle der Patienten gegenüber der Krankenkasse verbessern. So gilt seitdem, dass der Antrag eines Kassenpatienten auf eine Behandlung automatisch als genehmigt gilt, wenn die Kasse sich nicht binnen drei oder ausnahmsweise fünf Wochen dazu äußert. Was auf dem Papier einfach klingt, beschäftigt nun allerdings das Bundessozialgericht.

Die Richter in Kassel verhandeln von diesem Dienstag an zwei Fälle, in denen Patientinnen gegen ihre Krankenkasse vorgegangen sind. Beide Frauen hatten massiv an Gewicht verloren und beantragten bei ihrer Kasse daraufhin eine chirurgische Straffung der Bauchhaut. Die Frist von fünf Wochen verstrich jeweils, ohne dass die Kasse den Antrag beschied. Erst danach schickte sie den Frauen eine Absage - und diese klagten, die eine in Nordrhein-Westfalen, die andere im Saarland.

Gesetzliche Fristen einhalten? Nicht zwingend nötig, urteilte das Landessozialgericht Essen

Die Landessozialgerichte beurteilten die Sache überraschenderweise unterschiedlich. Die Richter in Saarbrücken waren der Meinung, dass die Kasse die Kosten für die Operation übernehmen muss, da sie zweifellos die gesetzlich vorgegebene Frist nicht eingehalten hatte. Die Patientin habe deshalb einen Anspruch darauf, dass die Kasse für die Kosten einer Bauch- Operation aufkommt - entweder müsse sie die Leistung unmittelbar bezahlen oder ihr den Betrag nachträglich erstatten.

Ganz anders argumentierten die Richter in Essen. Sie stellten einerseits fest, dass es nicht zwingend nötig ist, dass die Kassen die vorgegebenen Fristen auf den Tag genau wahren müssen - es sei nämlich "zweifelhaft", so die Richter, dass dieses penible Vorgehen "den Umständen einer Massenverwaltung" von Patienten durch die Kassen angemessen sei. Mehr noch, die Essener Richter folgten in einem zweiten Punkt der Sicht der Kasse: Diese hatte argumentiert, dass sie - ganz im Sinne des Gesetzes - mit der versäumten Frist eine fiktive Genehmigung für die erbetene Operation erteilt habe. Allerdings folgerte sie daraus, dass diese fiktive Genehmigung dann auch behandelt werden müsse wie jeder andere Verwaltungsakt - also auch widerrufen werden könne, wenn er sich als sachlich falsch erweist.

Das Bundessozialgericht muss nun entscheiden, wie das Gesetz, das Anfang 2013 in Kraft getreten ist, nun in der Praxis ausgelegt wird. Laut aktuellen Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums überschritten die Kassen die jeweiligen Fristen im vergangenen Jahr in 184 000 Fällen. Nur sehr selten, in 212 Fällen, streckten die Betroffenen die Behandlungskosten selbst vor und bekamen sie daraufhin von der Kasse erstattet.

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