Krach in der Koalition:Schluss mit lustig

Was es für das Klima im Regierungsbündnis zu bedeuten hat, dass die CDU-Chefin beharrlich schweigt, während ihr Partner von der SPD ziemlich viel redet.

Von Nico Fried und Robert Roßmann

Vor einigen Tagen sprach Sigmar Gabriel über sein Verhältnis zur Bundeskanzlerin. Im noblen China Club, unweit des Brandenburger Tores, wusste der sozialdemokratische Vizekanzler zu berichten, dass man sicherlich politisch unterschiedlich denke, er aber an Angela Merkel den fairen Umgang schätze. Und ihren Humor. Es gibt aber etwas, da versteht Merkel keinen Spaß: Vertraulichkeit. Über die Zusammenarbeit in einer Koalition hat sie schon 2007 gesagt: "Verschwiegenheit ist ein Teil des Verfahrens." Sie sei Voraussetzung für Offenheit. "Diese Offenheit kann nur gewährleistet werden, wenn nicht hinterher alles instrumentalisiert wird."

Doch genau dieser Verdacht steht jetzt im Raum. Gabriel hatte am Montag im Anschluss an die Sitzung des SPD-Präsidiums gesagt, er habe nach den ersten Berichten über die Auftragsarbeiten des Bundesnachrichtendienstes (BND) für den amerikanischen Geheimdienst NSA "zweimal die Kanzlerin gefragt, ob es Wirtschaftsspionage gibt". Merkel habe das verneint. Sollte bei den Untersuchungen herauskommen, so Gabriel weiter, dass es doch solche Fälle gebe, "wäre das eine schwere Belastung auch des Vertrauens der deutschen Wirtschaft in das staatliche Handeln". Waren das vertrauliche Informationen? Und hat Gabriel sie instrumentalisiert?

Ein offener Zwist zwischen der Kanzlerin und ihrem Vize ist die höchste denkbare Form des Koalitionskrachs. Das menschliche Verhältnis Merkels und Gabriels gilt als ausgesprochen gut. Aber beide sind lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass persönliche Sympathien zurückstehen müssen, wenn es der politische Geländegewinn erfordert.

Wie tief der aktuelle Disput zwischen Merkel und Gabriel geht, ist noch nicht abschließend erkennbar. Beide Seiten bemühten sich am Dienstag um eine Beruhigung der Situation. Am heutigen Mittwoch treffen sie sich vor der Kabinettssitzung in ihrer üblichen Besprechung unter vier Augen - ein vertrauliches Gespräch, in dem sie sich womöglich darüber austauschen, was ein vertrauliches Gespräch eigentlich ist. Denn genau darum geht es.

Kabinettssitzung

"Vom selben Notenblatt gesungen": Sigmar Gabriel und Angela Merkel bemühten sich am Dienstag, keine Dissonanzen erkennen zu lassen.

(Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa)

Sigmar Gabriel fürchtet, dass die TTIP-Verhandlungen Schaden nehmen könnten

Der Vizekanzler fühlte sich unter Druck von Firmen und Medien, als er am Montag in die Offensive ging. Als Wirtschaftsminister betrifft es sein Ressort in besonderer Weise, wenn deutsche Konzerne ausgespäht worden sein sollten. Da möchte er sich nicht der Feigheit zeihen lassen. Außerdem ist aus Sicht des Ministeriums nicht auszuschließen, dass auch die Verhandlungen über das deutsch-amerikanische Freihandelsabkommen TTIP von der Spionage betroffen sein könnten. Das würde dem in Deutschland ohnehin ungeliebten Vorhaben weiteren Schaden zufügen.

Vor allem aber wollte Gabriel vermeiden, dass die Regierung als Ganzes für die Aktivitäten des BND in Haftung genommen wird, so wie es mancher Zeitungskommentar am Wochenende schon nahegelegt hatte. Aus Sicht der SPD ist die Affäre ein alleiniges Problem des Kanzleramtes als Aufsichtsbehörde des BND und mithin ein Problem der amtierenden Hausherrin Angela Merkel. So soll es auch bleiben. Die Sozialdemokraten haben nicht vergessen, dass Edward Snowdens Enthüllungen und die Fragen nach der möglichen Verwicklung des BND 2013 Merkel und der Union im Wahlkampf nicht geschadet haben.

In der Sitzung des SPD-Präsidiums am Montag machte Gabriel die BND-Affäre zum Thema. Er berichtete, dass er in der letzten Zusammenkunft des Koalitionsausschusses am vorvergangenen Sonntag Merkel nach dem Thema Wirtschaftsspionage gefragt habe. Nach dieser Präsidiumssitzung soll es dann sogar Kontakt zwischen SPD-Zentrale und Kanzleramt gegeben haben, in dem Merkel über die Ergebnisse der Beratungen des Koalitionspartners informiert wurde - einschließlich der zu erwartenden Äußerungen des Vizekanzlers.

Der NSA zu Diensten

Der BND half der NSA bei der gezielten Spionage gegen befreundete europäische Regierungen und europäische Institutionen. Das hat der Stabschef des BND in einem dreiseitigen "Testat" für den Deutschen Bundestag selbst eingeräumt. Betroffen waren davon bis zum August 2013 "Persönlichkeiten der europäischen Politik" und "Dienststellen europäischer Mitgliedstaaten", vor allem aus Ministerien und EU-Vertretungen.

Die Liste der Betroffenen umfasst mehr als 2000 Personen. Weil ihre Mail-Adressen in verschiedenen Schreibweisen in die Computer eingegeben worden waren, handelt es sich um insgesamt 12 000 Suchbegriffe der NSA. Auch einzelne deutsche Firmen sollen abgehört worden sein, aber laut dem Testat belegt dies keine "Wirtschaftsspionage". Der NSA sei es schließlich nicht darum gegangen, "Wettbewerbsvorteile" für amerikanische Unternehmen zu erlangen.

Diese enge Definition der Wirtschaftsspionage, die das Kanzleramt teilt, ist in der Fachwelt indes umstritten. Zudem behautet der BND, dass es faktisch wohl nur selten zu Überwachungen gekommen sei, weil die Anlage in Bad Aibling ausschließlich Satelliten-Kommunikation aus und in Krisengebiete auswerte. Zur Überprüfung dieser Angaben will der NSA-Untersuchungsausschuss Zeugen vernehmen und verlangt Einsicht in die von der NSA gelieferten Suchbegriffe. Inzwischen spricht viel dafür, dass eine wirksame Kontrolle der Suchbegriffe zumeist nur dann stattfand, wenn Deutsche betroffen waren. Im März 2015 fanden sich in den BND-Computern 4,6 Millionen Suchbegriffe, die sich auf 1,267 Millionen Personen und Unternehmen bezogen. Georg Mascolo

Noch keine Affäre hat so nahe bei der Kanzlerin eingeschlagen

Aus der Union gab es am selben Tag nur Reaktionen aus der zweiten Reihe. Merkel selbst ließ ihren Regierungssprecher Steffen Seibert ausrichten, die Kanzlerin gebe keine Auskunft zu "vertraulichen Gesprächen". Freilich steckte darin schon der Hinweis, dass Merkel und Gabriel mindestens in diesem Fall unterschiedliche Auffassungen darüber haben, was ein vertrauliches Gespräch eigentlich ist - und ob zum Beispiel der Koalitionsausschuss dazugehört.

Die Kanzlerin sah gleichwohl keinen Bedarf, die Sache zu eskalieren. Am Montagabend trafen sie und ihr Vize hochrangige Vertreter der europäischen Energiewirtschaft - die sogenannte Magritte-Gruppe. Dabei hätten Merkel und Gabriel einträchtig "vom selben Notenblatt gesungen", hieß es danach. Auch in einem Interview mit Radio Bremen vermied die CDU-Vorsitzende am Dienstag jeden Kommentar zu Gabriel und lobte stattdessen die Zusammenarbeit der Koalition als harmonisch. In Bremen finden am Sonntag Landtagswahlen statt, und niemand weiß besser als Merkel, dass die Leute Streitereien in einer Regierung nicht schätzen.

An Heinrich Bölls Satire Dr. Murkes gesammeltes Schweigen fasziniere sie, so Angela Merkel 2007, "dass Schweigen eine Form der Kommunikation ist und dass man, wenn man fantasievoll mit Schweigen umgeht, viel hineininterpretieren kann". So muss man nun wohl auch mit Merkels Schweigen über ihren Vize umgehen: Die Kanzlerin weiß aus Erfahrung, dass die mediale und politische Dynamik in Koalitionskonflikten auch ohne ihr Zutun meistens so verläuft, dass der Angriff verpufft, je länger sie sich nicht provozieren lässt. Zudem weckt der Vorwurf des Vertrauensbruches zwischen Merkel und Gabriel sofort Assoziationen an einen SMS-Wechsel der beiden aus dem Jahr 2010, in dem es um die Nachfolge des zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler ging. Die Kurznachrichten gelangten an die Öffentlichkeit, wofür Gabriel verantwortlich gemacht wurde.

Der wichtigste Grund für Merkels Zurückhaltung dürfte jedoch darin liegen, dass noch keine Affäre in den zehn Jahren ihrer Kanzlerschaft so nahe bei ihr eingeschlagen hat. Das Geheimdienstzeug, so die verbreitete Einschätzung in der Union, tauge zwar nicht zur Massenmobilisierung. Gleichwohl hat Merkel kein Interesse, die Geschichte durch innerkoalitionären Streit in den Schlagzeilen zu halten.

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