Krach in der Koalition:Gurkentruppe vs. Wildsäue in Neuauflage

Nach alten Beleidigungen bereichert die CSU das zerrüttete Verhältnis zwischen Schwarz und Gelb jetzt damit, den FDP-Chef als begriffsstutzig darzustellen. Damit eskaliert der Streit der Koalitonäre mal wieder. Vor allem, weil einer von ihnen dringend Erfolge braucht.

Thorsten Denkler, Berlin

Motivwagen mit Merkel und Rösler für Kölner Rosenmontagszug

Herrin und Hund: FDP-Chef Rösler möchte nicht an der Leine von Kanzlerin Merkel laufen, wie seine Karikatur auf einem Wagen des Kölner Rosenmontagszugs.

(Foto: dpa)

Manche in der Koalition glauben ja noch immer daran, dass zusammenwachsen müsse, was zusammengehöre. Und CDU, CSU, FDP, die gehörten eben zusammen. Nur zusammenwachsen wollen sie nun mal partout nicht. Als im Juni 2010 der Streit zwischen den "Wildsäuen" und der "Gurkentruppe" eskalierte, war das nur einer der vielen Höhepunkte der öffentlichen Auseinandersetzung. Die gönnen sich gegenseitig die Butter auf dem Brot nicht, so schien es.

Die FDP hatte und hat berechtigte Sorge, von der übermächtigen Kanzlerin Angela Merkel zermalmt zu werden wie weiland die SPD in der großen Koalition. FDP-Chef Philipp Rösler schafft es einfach nicht, die Liberalen im Bund aus dem Umfragekeller herauszuholen. Von seinen katastrophalen persönlichen Werten mal abgesehen.

Darum tun sie es jetzt wieder. In der Welt am Sonntag watscht Rösler sämtliche Lieblingsprojekte von CSU und CDU als zu teuer ab - von Betreuungsgeld über Zuschussrente bis zum Elterngeld für Oma und Opa. Das kommt einer Kampfansage an die Koalitionspartner gleich, wobei Koalitionsgegner wohl inzwischen der treffendere Begriff wäre.

"Den Schuss nicht gehört"

Rösler will jetzt Profil gewinnen. Als Kämpfer für solide Staatsfinanzen. So richtig abnehmen will ihm diese Seriosität aber keiner. Auch Rösler gehörte zu denen, die an der Seite seines Amtsvorgängers Guido Westerwelle Steuersenkungen um scheinbar jeden Preis gefordert hatten. Seinen plötzlichen Kampf gegen das Betreuungsgeld will ihm auch so recht keiner abnehmen. Es ist kaum ein Jahr her, da hat Rösler am 7. November 2011 dem Betreuungsgeld im Bundeskabinett noch entspannt zugestimmt.

Und so grätscht CSU-Vizegeneralsekretärin Dorothee Bär fröhlich via Twitter dazwischen: Der Rösler habe wohl "den Schuss nicht gehört" - was allgemein als Umschreibung für Begriffsstutzigkeit gilt. Damit ist auch geklärt, was weite Teile der CSU von Rösler halten. Die Geschlossenheitsappelle vom CSU-Parteitag gelten offenbar nur unionsintern. Also: Feuer frei, wenn es um den liberalen Koalitionspartner geht.

Am Abend dann der Auftritt von Unions-Fraktionschef Volker Kauder im ARD-"Bericht aus Berlin". Kauder lässt Rösler wie einen Schulbub dastehen, dem einfach mal gehörig der Kopf gewaschen gehört. "So geht es nicht gut voran", schulmeistert er. Die FDP müsse "auch wissen, dass wir zu Erfolgen kommen müssen". Vor einem Koalitionsgipfel "kann man nicht Bedingungen stellen. Das hat auch überhaupt keinen Sinn."

Zum Schluss sagt er noch, es gebe "dazu ja auch wirklich keine Alternative, als dass wir jetzt uns endlich mal mit den offenen Fragen befassen". Er klingt dabei so deprimiert, als hätte gerade ein Grüner die Bürgermeisterwahl in seiner geliebten Landeshauptstadt Stuttgart gewonnen. Moment ... ein Grüner hat soeben die Bürgermeisterwahl in seiner geliebten Landeshauptstadt Stuttgart gewonnen.

Schlimmer als mit der FDP kann es nicht werden

Klar ist jetzt: Am 4. November wollen sich die Koalitionsspitzen zum Krisengipfel im Kanzleramt treffen. Um dann die "Themen abzuräumen", wie Kauder es ausdrückt.

So wie Rösler aber jetzt schon die Wangen aufbläst, muss wohl erst mal einer die Luft bei ihm rauslassen. FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle versucht das schon mal, indem er die FDP als vertragstreu positioniert. Klingt gut, aber im Koalitionsvertrag ist einzig das Betreuungsgeld namentlich verankert. Von Zuschussrente und Großelterngeld ist da nichts zu lesen.

"Entscheidende Tage für die Koalition"

Immerhin: Brüderle lässt - strategisch geschickter als sein Parteichef - ein Hintertürchen offen. Und sogar FDP-Generalsekretär Patrick Döring sieht plötzlich vor allem Gemeinsamkeiten: Die Positionen in der Koalition seien nicht unvereinbar, sagte er. "Man kann daraus ein gutes Paket machen." Döring hatte zuvor noch verlauten lassen, jetzt stünden "die entscheidenden Tage für die Koalition" an, was ein wenig nach Drohung klang.

Worauf er und Brüderle hinauswollen ist klar: Die Praxisgebühr soll weg. Da kann es auch im Vorfeld eines Koalitionsgipfels helfen, ein bisschen den Druck zu erhöhen, um der Union eine Paketlösung abzuringen, zu der sie im Moment überhaupt keine Lust hat.

Den schönen Plan macht Rösler an diesem Montag wieder zunichte. Von Paketen will er nichts wissen. Jedes Thema müsse einzeln und für sich mit den Koalitionspartnern diskutiert werden, sagt er nach der Präsidiumssitzung. Betreuungsgeld gegen Praxisgebühr, so ein Deal sei mit ihm nicht zu machen

Es stimmt zwar, was Kauder sagt: Die Regierung braucht Erfolge. Doch aus Sicht der FDP braucht in der Regierung vor allem die FDP Erfolge. CDU und CSU sind in den Umfragen auf Siegkurs. Die FDP dagegen schmiert ab. Darüber können auch Einzelerfolge wie in Nordrhein-Westfalen oder Schleswig-Holstein nicht hinwegtäuschen.

Rösler würde sich deshalb gerne die Haushaltskonsolidierung mit einer schwarzen Null schon ab 2014 auf die Fahnen schreiben. In der Union sehen sie das entspannter. Schuldenbremse einhalten ja. Aber päpstlicher sein als der Papst, das dann doch nicht.

Doch wer den Fortbestand der einst so ersehnten bürgerlichen Koalition sichern möchte, der muss der FDP wohl oder übel Luft zum Atmen geben. Die große Frage ist nur: Wer in der Union will das noch? Nach drei Jahren Schwarz-Gelb ist selbst manch hartgesottenem Konservativen klar: Mit der SPD war nicht alles toll. Aber so schlimm wie mit der FDP kann es gar nicht werden.

Und so werden vermutlich die Wildsäue weiter auf die Gurkentruppe eindreschen - und umgekehrt. Ob das eine kluge Taktik ist, wird sich in einem Jahr zeigen, wenn der Bundestag neu gewählt wird.

Völlig unklar ist, ob es dann Rösler sein wird, der die FDP als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl führt. Bis auf die Linke werden bis Jahresende alle anderen Parteien ihre Spitzenkandidaten gekürt haben. Die FDP nicht. Erstmal muss sie - respektive Rösler - die Landtagswahl in seiner Heimat Niedersachsen Anfang Januar politisch überleben. Wenn nicht, dürfte auch Rösler ausgedient haben. Der freut sich jetzt erstmal, dass er den Wahlkreis Hannover Land I "erobert" habe, wie er sagt.

Stimmt natürlich nicht ganz. Er ist dort jetzt lediglich als Direktkandidat nominiert und will sich Anfang November auf Platz eins der Landesliste Niedersachsen für den Bundestag wählen lassen. Aber was nützt das, wenn seine Partei den Einzug in den Bundestag verpasst? Die Chancen dafür stehen gut oder schlecht - je nach Blickwinkel. Merkel dürfte inzwischen sogar diese Frage egal sein.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: